Xis «Kultur-Ideologie»
soll Tibets Identität
auslöschen

 

Quelle: WeChat/xztzb.com

Der Blick nach Tibet offenbart, dass dort gerade eine neue Kulturrevolution stattfindet. Pekings Kampagne betrifft alle Lebensbereiche der Tibeter und dringt tief selbst in die privatesten Bereiche der Menschen vor. Die seinerzeit von den Roten Garden bekämpften „Vier alten Übel“ werden heute jedoch viel umfassender definiert, im Visier der Machthaber stehen nicht mehr nur die traditionellen gesellschaftlichen Eliten. Denn was die neue Kulturrevolution der chinesischen KP in Tibet zerstören will, ist nichts weniger als die eigenständige kulturelle, religiöse und nationale Identität der Tibeter. Diese soll komplett ausgelöscht, Tibeter zu Chinesen gemacht werden.

Die neue Kulturrevolution in Tibet findet auf vielen Ebenen gleichzeitig statt. Sie benutzt politische, kulturelle und ökonomische Maßnahmen in Verbindung mit einer umfassenden Überwachung und der Kontrolle aller Lebensbereiche. Die chinesischen Machthaber setzen auf die systematische und langfristig orientierte „Sinisierung“, ein Begriff, hinter dem sich die zwangsweise Assimilierung der Tibeter verbirgt. Diesem Ziel dient etwa die erzwungene Unterbringung eines Großteils der tibetischen Kinder und Jugendlichen in staatlichen Internatsschulen. In diesen wird systematisch daran gearbeitet, die Jugend ihrer Muttersprache und ihrer kulturellen und religiösen Traditionen zu entfremden.

Mit der Zwangsansiedlung tibetischer Nomaden betreiben die chinesischen Machthaber die Auslöschung einer für die Tibeter identitätsstiftenden Lebensweise und schaffen zugleich ganz bewusst eine Situation der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Auch die erzwungene Einbindung von Tibetern in staatliche Arbeitsprogramme soll diesem Zweck dienen.

Neue Kulturrevolution will Buddhismus „an die sozialistische Gesellschaft anpassen“

Ein weiterer Schwerpunkt von Pekings neuer Kulturrevolution in Tibet betrifft den tibetischen Buddhismus. Die chinesischen Machthaber wollen erreichen, dass der Buddhismus komplett im Dienst der KP-Herrschaft steht, er soll „sich an die sozialistische Gesellschaft anpassen“.

Zusätzlich betonen KP-Funktionäre bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Verpflichtung tibetisch-buddhistischer Mönche und Nonnen, die Ausführungen des Generalsekretärs Xi Jinping zur religiösen Arbeit zu studieren. „Patriotische Erziehung“ ist in Tibets Klöstern wieder weit verbreitet, Mönche werden sogar gezwungen, den Dalai Lama öffentlich zu diffamieren. Selbst im privaten Bereich werden die so untrennbar mit Tibet verbundenen Gebetsfahnen verboten.

Ein KP-Chef lässt sich wie ein buddhistischer Würdenträger huldigen: Xi Jinping zu Besuch im Kloster Hongjue. (Quelle: xztzb.gov.cn)

Die neue Kulturrevolution in Tibet ist offenkundig Chefsache. Dies wurde jüngst deutlich, als mehrere Spitzenfunktionäre fast zeitgleich Tibet besuchten, unter ihnen mit Xi Jinping und Wang Huning die Nummer 1 und die Nummer 4 des innersten Führungszirkels der KP sowie mit Shi Taifeng auch der Leiter der Vereinigten Arbeitsfront. Die von Pekings Propagandamedien verbreitete Botschaft lautete dabei jedes Mal, dass die „Sinisierung“ Tibets konsequent vorangetrieben werden müsse.

Zerstörung buddhistischer Zentren, Abriss von Buddha-Statuen

Wie zu Zeiten der ersten Kulturrevolution geht Peking in Tibet auch heute noch mit roher Gewalt gegen buddhistische Einrichtungen vor, etwa wenn in den buddhistischen Studienzentren Larung Gar und Yachen Gar die Unterkünfte tausender Mönche und Nonnen abgerissen werden. Oder wenn, wie im Dezember 2021 geschehen, die lokalen chinesischen Machthaber eine 30 Meter hohe Buddha-Statue und 45 große buddhistische Gebetsmühlen zerstören lassen. Im Kern jedoch geht es der KP-Führung darum, den Buddhismus von innen heraus zu zerstören; die äußere Hülle soll oberflächlich betrachtet intakt erscheinen, während die eigentliche Substanz längst verschwunden ist.

Die ihren Statuten nach dem Atheismus verpflichteten kommunistischen Machthaber erheben den Anspruch, über die Nachfolge des Dalai Lama sowie aller anderen Reinkarnationen des tibetischen Buddhismus zu entscheiden. Auch hat Peking die Buddhist Association of China (BAC) zu einem weiteren Baustein seiner Strategie zur zwangsweisen Assimilation und Transformation des tibetischen Buddhismus gemacht. Diese vermeintlich unpolitische Organisation soll dabei helfen, tibetisch-buddhistische Würdenträger im Sinne der Kommunistischen Partei zu benennen.

In Tibet fand schon vor 1966 eine Kulturrevolution statt

Die Kulturrevolution, wie sie zwischen 1966 und 1976 in Tibet stattgefunden hat, wies von Anfang an beträchtliche Unterschiede zur Kulturrevolution in China auf. Zwar richtete sich auch in Tibet die vor allem von den Roten Garden betriebene Kampagne gegen die sogenannten „Vier alten Übel“, womit „alte Denkweisen“, „alte Kulturen“, „alte Gewohnheiten“ und „alte Sitten“ gemeint waren. Doch mussten sie den Tibetern lediglich wie eine gesteigerte Version der brutalen Unterdrückung erscheinen, die die chinesischen Kommunisten seit Beginn der gewaltsamen Eroberung und Besetzung des Landes von 1949/1950 an begonnen hatten. Im Grunde fand in Tibet schon vor 1966 eine Kulturrevolution statt.

Spätestens nach der brutalen Niederschlagung des tibetischen Volksaufstandes vom März 1959 durch die kommunistischen Streitkräfte entfalteten die chinesischen Machthaber in Tibet eine unumschränkte Gewaltherrschaft. Dieser fielen nicht nur unzählige Menschen zum Opfer, sie ging auch einher mit der systematischen Zerstörung von Klöstern, Tempeln und Kulturdenkmälern. Die Masse der Bevölkerung wurde in neu errichtete Volkskommunen gezwungen, in denen sie zu klassenbewussten Proletariern umformatiert werden sollte, während die Angehörigen der einstigen Oberschicht sich selbst durch Zwangsarbeit „reformieren“ sollten („Reform durch Arbeit“).

Tsadi Tseten Dorje, der ehemalige Bürgermeister von Lhasa, wird während einer „Thamzing“-Kampfsitzung in Lhasa angeprangert. Das Plakat um seinen Hals listet die angeblichen Verbrechen Dorjes auf: „Konterrevolutionär, betrügerischer Rädelsführer und Förderer von Unruhen, Schlächter, Mörder und Schlächter der arbeitenden Massen“. (Foto: Tsering Dorje)

Traumatische Wirkung entfalteten insbesondere die in Tibet unter der Bezeichnung „Thamzing“ bekannten Kampf- und Kritiksitzungen, in denen ausgesuchte Opfer gezielt öffentlich gedemütigt und gefoltert wurden, bis sie ihre angebliche „Schuld“ bekannten. Unter dem Titel „Tibet Under Chinese Communist Rule“ (Tibet unter der kommunistischen Herrschaft Chinas) hat die tibetische Exilregierung bereits im Jahr 1976 eine Sammlung von Zeugenaussagen tibetischer Flüchtlinge aus den Jahren 1958 bis 1975 veröffentlicht, die einen guten Überblick über die chinesische Schreckensherrschaft in Tibet während dieser Zeit liefert. Gemäß ihrer marxistischen Ideologie gingen die Pekinger Machthaber davon aus, dass sich mit diesen Maßnahmen die nationale, kulturelle und religiöse Identität der Tibeter im Rahmen der Volksrepublik China von selbst auflösen würde. Tatsächlich kam es anders. Die Tibeter haben sich trotz allem ihre Identität bewahrt und wollen bis heute in ihrer großen Mehrzahl auch nicht zu Chinesen gemacht werden.

Auch Pekings neue Kulturrevolution betreibt Personenkult

Auch der für die Kulturrevolution kennzeichnende Personenkult ist wiederauferstanden, in seinem Zentrum steht nun allerdings nicht mehr der „Große Steuermann“ Mao Zedong, sondern der „Navigator“ Xi Jinping. Und das „kleine rote Buch“ mit Mao-Sprüchen, die man am besten auswendig herbeten können sollte, wurde von der „kleinen roten App“ abgelöst. Kommunistische Parteizellen veranstalteten seither Wettbewerbe, schrieb Kai Strittmatter in der „Süddeutschen Zeitung“: „Das Volk sammelt Punkte in den Apps: Xi-Reden lesen, Xi-Reden schauen gibt Punkte, Xi-Quizfragen beantworten noch mehr. Nutzungszeit und Punktestand werden direkt weitergeleitet an die Prüfer.“

Insofern kann es kaum verwundern, dass das neue Zauberwort von Pekings neuer Kulturrevolution „Xi Jinpings Kultur-Ideologie“ lautet. Erläuterungen zu dem wahlweise auch mit „Xi Jinpings kultureller Gedanke“ übersetzten Konzept finden sich auf zahlreichen Webseiten der Kommunistischen Partei Chinas und der von der KP dominierten staatlichen Stellen. Ganz offen zielen die chinesischen Machthaber in Tibet damit auf den kulturellen Bereich. So berichteten die chinesischen Propagandamedien jüngst über ein großangelegtes Seminar zu „Xi Jinpings Kultur-Ideologie“ in der osttibetischen Präfektur Kardze. Es steht zu erwarten, dass dieser jüngste Bestandteil von Chinas neuer Kulturrevolution in Tibet künftig auf alle Teile des Landes ausgeweitet wird. Bleibt zu hoffen, dass die Tibeter auch angesichts der neuen Kulturrevolution ihre Resilienz bewahren.

* Das Foto ganz oben zeigt einen „Wissenswettbewerb“ für tibetische Mönche und Nonnen, bei dem diese ihre Kenntnis der Parteiideologie unter Beweis stellen sollten. Organisiert wurde die Zwangsveranstaltung im vergangenen Sommer von der Einheitsfrontabteilung der Kommunistischen Partei Chinas. (Quelle: WeChat/xztzb.com)

Autor: Martin Reiner, International Campaign for Tibet

 

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