Offenbar soll sich auch
die Wirtschaft Pekings
«Neusprech» beugen
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Berlin, 17.10.2023. Künftig soll in den offiziellen Dokumenten des chinesischen Außenministeriums das Wort Tibet nicht mehr vorkommen. Stattdessen soll „Tibet“ flächendeckend durch den Kunstbegriff „Xizang“ ersetzt werden, wie „Radio Free Asia“ (RFA) berichtet. Dem Sender zufolge verkündeten die chinesischen Medien und die Abteilung für Einheitsfrontarbeit der Kommunistischen Partei Chinas übereinstimmend, dass „es in den offiziellen Dokumenten des chinesischen Außenministeriums kein Tibet mehr“ geben solle.
Diese Entwicklung hatte sich schon seit Längerem abgezeichnet, etwa wenn Wissenschaftler der Kommunistischen Partei Chinas für die Namensänderung plädierten. Die „Sinisierung“ des Landesnamens soll offenkundig dazu dienen, der chinesischen Herrschaft über Tibet den Anschein von Legitimität zu verleihen. Der von Peking nunmehr offiziell propagierte Begriff „Xizang“ lässt sich auf Deutsch in etwa mit „westliches Schatzhaus“ übersetzen – angesichts von Tibets wirtschaftlichem und strategischem Potenzial ein durchaus verräterischer Begriff.
Ostturkestan als mahnendes Beispiel
Etwas ähnliches spielt sich auch in der Heimatregion der Uiguren ab, die von diesen selbst als Ostturkestan bezeichnet wird. Peking hingegen verwendet stattdessen die Bezeichnung „Xinjiang“, was so viel wie „neue Grenze” bedeutet. Allen Protesten der Uiguren zum Trotz wird Xinjiang heute von vielen als Bezeichnung für Ostturkestan benutzt, ein Schicksal, das die Strategen in Peking anscheinend auch für Tibet vorgesehen haben.
Damit Tibet weiterhin Tibet bleibt, dürfte es nicht zuletzt darauf ankommen, wie die internationale Gemeinschaft auf Pekings „Neusprech“ reagiert, wie George Orwell einst die gezielt betriebene Sprachmanipulation durch staatliche Machthaber bezeichnete. Dawa Tsering vom Tibet Policy Institute in Dharamsala spricht deshalb auch zu Recht von einem „Lackmustest, um zu sehen, ob die internationale Gemeinschaft der Tyrannei der KPCh nachgeben wird“.
Dass selbst ein EU-Spitzendiplomat wie Josep Borrell in Gefahr ist, auf Pekings sprachliche Nebelkerzen hereinzufallen, zeigt eine Rede, die dieser jüngst in Peking hielt. Darin sagt Borrell: „Im UN-Menschenrechtsrat versucht China, die Idee zu fördern, dass wirtschaftliche und soziale Rechte Vorrang vor politischen Rechten und individuellen Freiheiten haben.“ Borrells Worte offenbaren leider ein grundsätzliches Missverständnis.
Denn wie können wirtschaftliche und soziale Rechte „existieren ohne das Recht, seine abweichende Meinung zu äußern, sich frei zu versammeln und schließlich vor unabhängige Gerichte zu ziehen“, fragt ICT-Geschäftsführer Kai Müller auf LinkedIn: Ohne diese Rechte handele es sich „in Wirklichkeit um von oben verordnete politische Programme“ und nicht um „Rechte“.
Wirtschaftsunternehmen unter Druck
Wenig überraschend versuchen die Pekinger Machthaber, auch die Wirtschaft für ihre Zwecke einzuspannen. Einem Bericht der in Hongkong erscheinenden „South China Morning Post“ zufolge hat der chinesische E-Commerce-Dienstleister Weidian seinen Plattform-Händlern geraten, bei Produktübersetzungen Tibet durch „Xizang“ zu ersetzen. Eine entsprechende Anweisung Weidians sei den Händlern in der vergangenen Woche übermittelt worden. Die Plattform habe die Händler gewarnt, dass ihre Produkte entfernt würden, sollten sie das Wort Tibet enthalten.
Die chinesische KP-Diktatur beschränkt ihre sprachlichen Manipulationen keineswegs auf geographische Begriffe. So nutzt Peking etwa die UN-Institutionen immer deutlicher für den Versuch, „die Menschenrechte umzuschreiben“. Exemplarisch hierfür steht eine Rede des chinesischen Außenministers, der vor dem UN-Menschenrechtsrat erklärte, sein Land werde „einen chinesischen Weg der Menschenrechtsentwicklung“ einschlagen.
Der Minister ließ dabei keinen Zweifel daran, dass die bestehenden Menschenrechtsnormen abgeschafft werden sollten.
Schon bisher war Pekings „Tibet“ nur die halbe Wahrheit
Eins darf man bei alldem übrigens nicht vergessen. Auch die bislang von Peking verwendete Bezeichnung Tibet war eine Mogelpackung und stand in Wahrheit nur etwa für das halbe Land, nämlich die sogenannte Autonome Region Tibet (TAR). Die andere Hälfte Tibets – und damit auch deren Bewohner – wurden schon vor Jahrzehnten als sogenannte Autonome Landkreise und Präfekturen den chinesischen Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan zugeschlagen.
* Unser Bild zeigt ein steingewordenes Symbol von Chinas Herrschaftsanspruch in Lhasa: das sogenannte Denkmal für die angebliche „friedliche Befreiung Tibets“. Zur Einweihung im Jahr 2002 urteilte die tibetische Exilregierung, das chinesische Monument sei eine „tägliche Erinnerung an die Demütigung des tibetischen Volkes“.