Kommunistische
und nationalistische
Propaganda
Quelle: ChinaNews.com
Vor Kurzem konnte man in den chinesischen Staatsmedien Berichte lesen, die zusammengenommen ein interessantes Licht auf ein außerhalb der Volksrepublik China wenig bekanntes Phänomen werfen – den sogenannten „roten Tourismus“. Offenbar nimmt dieser in Tibet nun gezielt tibetische Schulkinder ins Visier, eine Gruppe, die durch die chinesischen Zwangsinternate ohnehin schon unter enormem Druck steht.
So wurden kürzlich in Tibets Hauptstadt Lhasa neun Institutionen als „patriotische Stützpunkte für die Integration von politischer und ideologischer Bildung in Grund- und Sekundarschulen“ ausgezeichnet. Die vom Bildungsbüro der Stadt Lhasa organisierte Preisverleihung fand im Naturhistorischen Museum der sogenannten Autonomen Region Tibet (TAR) statt, das ebenfalls zu den ausgezeichneten Einrichtungen gehörte.
Dass ausgerechnet ein naturhistorisches Museum als aus KP-Sicht vorbildlicher Ort der ideologischen Erziehung gelten soll, lässt sich leicht erklären. Schließlich beherbergt der Bau auch die „Gedenkhalle für die Befreiung von Millionen tibetischer Leibeigener“ (Foto) und damit einen zentralen Ort des chinesischen Propaganda-Narrativs von der vorgeblich „friedlichen Befreiung Tibets“ durch die kommunistischen Streitkräfte in den 1950er Jahren.
Gleichfalls ausgezeichnet wurden bei dieser Gelegenheit auch so unterschiedliche Orte wie das Yak-Museum, das Tibet Museum, der Potala Palast und der Friedhof der „Revolutionsmärtyrer“ in Lhasa. Einige davon fanden sich bereits zwei Jahre zuvor auf einer Liste von insgesamt 21 Orten, die laut offiziellen Verlautbarungen eine wichtige Rolle im Konzept des „Roten Tourismus“ in Tibet spielen sollten.
Auch in den nördlichen und östlichen Regionen Tibets, die von den chinesischen Behörden verwaltungsmäßig den Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan zugeschlagen wurden, hat Peking Erinnerungsorte des „Roten Tourismus“ benannt. Dazu zählen etwa der Schauplatz einer mythologisch verklärten Schlacht der Roten Armee in der Präfektur Kardze und die Gedenkhalle für das verheerende Erdbeben von Jyekundo in der Präfektur Yushu. Dem „Roten Tourismus“ ist gar eine eigene Internetseite gewidmet.
Aktionsplan für die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen
Knapp drei Wochen nach der Preisverleihung in Lhasa berichteten die chinesischen Staatsmedien dann über einen „Aktionsplan für die Erzeugung einer neuen talentierten Generation“. Gemeinsam verfasst hatten diesen das Ministerium für Kultur und Tourismus, das Bildungsministerium, das Zentralkomitee der Kommunistischen Jugendliga, der Nationale Frauenverband und die Chinesische Zollkommission.
In der wie üblich verquast anmutenden Sprache des KP-Apparats war zu lesen, welches Ziel der „Aktionsplan für die Erzeugung einer neuen talentierten Generation in der Ära der guten Nutzung der roten Kulturressourcen und der Seele durch den roten Tourismus 2023-2025″ konkret verfolgt. Ganz offensichtlich soll dem „Roten Tourismus“ eine wichtige Rolle zukommen bei der ideologischen Erziehung der Jugend, nicht nur in Tibet übrigens, sondern in der gesamten Volksrepublik China.
So sollen „Studienrouten“ zum Thema „Roter Tourismus“ eingerichtet werden und eine Vielzahl von „Aktivitäten zur Förderung des roten Tourismus“ durchgeführt werden, um damit „landesweit Hunderte Millionen Lehrer und Schüler der Grund- und Sekundarschulen zu erreichen“. Klares Ziel sei es, die Kinder und Jugendlichen in „ihrem Glauben und ihrem Vertrauen in die ständige Gefolgschaft der kommunistischen Partei zu stärken“.
Wachstumsmarkt „Roter Tourismus“?
Zumindest in der Vorstellung der kommunistischen Machthaber in Peking soll der „Rote Tourismus“ künftig eine immer größere Rolle spielen. So heißt es etwa auf der Seite eines chinesischen Reiseveranstalters mit Tibet-Schwerpunkt:
„Der ‚Rote Tourismus‘ ist ein aufstrebender Tourismusmarkt in China, der sich auf Reiseziele konzentriert, die eine historische Bedeutung für die Gründung des Kommunismus in China und der Kommunistischen Partei Chinas haben. Der ‚Rote Tourismus‘ hat nicht nur eine große historische Bedeutung für das heutige China, sondern die chinesische Regierung hofft auch, dass der Aufschwung des ‚Roten Tourismus‘ die Wertschätzung der Chinesen für den Kampf des Landes wieder aufleben lässt und dazu beiträgt, die Welt über die Geschichte Chinas zu informieren.“
Offensichtlich unternimmt die kommunistische Führung mit der Förderung des „Roten Tourismus“-Konzepts auch den Versuch einer Verschränkung ihrer KP-Ideologie mit der Han-chinesischen Kultur. In jener steht die Farbe Rot in China symbolisch sowohl für Glück und „verheißungsvollen Segen“, während sie politisch als Symbol für die Kommunistische Partei Chinas und deren bewaffneten Arm, die sogenannte Volksbefreiungsarmee, gedeutet werden kann.
Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass auf den einschlägigen Listen des „Roten Tourismus“ in Tibet auch Orte verzeichnet sind, die auf eine Zeit vor der kommunistischen Invasion des Landes hinweisen. Sowohl die Ausstellungshalle am früheren Sitz des Büros der kaiserlichen Gesandten der Qing-Dynastie in Lhasa, als auch die Gedenkstätte zur Erinnerung an eine Schlacht mit Truppen der britischen Younghusband-Expedition im Jahr 1904, machen deutlich, dass im Narrativ der KP-Führung eine nationalistische Komponente zunehmend größeren Raum einnimmt.
Gerade in Tibet ist dies von enormer Bedeutung, integriert doch die Propaganda Pekings hier eine viel ältere Geschichte in ihre kommunistische Ideologie: die Vorstellung nämlich einer selbst imaginierten Mission Chinas, die angeblich unterentwickelten Tibeter auf die eigene – selbstverständlich überlegene – Zivilisationsstufe zu heben. Es steht leider zu befürchten, dass diese Geschichte bei den Millionen chinesischer Touristen, die jedes Jahr nach Tibet reisen, verfangen könnte.