Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo
Ein „Zeichen der Hoffnung für die gewaltlosen politischen Gefangenen in Tibet“. Diese Einschätzung teilten viele, wenn die Verleihung des Friedensnobelpreises an den inhaftierten chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo zur Sprache kam. Denn wie Liu sitzen auch zahlreiche Tibeter alleine deswegen in chinesischen Gefängnissen, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hatten. Der Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo würdigt daher alle gewaltlosen politischen Gefangenen in der Volksrepublik China einschließlich Tibets. Und so war der diesjährige Internationale Tag der Menschenrechte nicht nur der Tag der feierlichen Zeremonie in Oslo sondern auch ein Tag des Miteinanders der Menschen- und Bürgerrechtler. In einer gemeinsamen Erklärung beglückwünschten mehrere Nichtregierungsorganisationen – neben ICT unter anderem Amnesty International, Human Rights Watch und Human Rights in China – das Nobelpreiskomitee für seine „mutige Haltung gegenüber der chinesischen Regierung in einer Frage grundlegender Prinzipien“. In der Erklärung fordern die Organisationen die Freilassung Liu Xiaobos sowie all derjenigen, die für die Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert wurden. Weitere Einzelheiten finden Sie hier.
Nicht so viel Gemeinsamkeit war dagegen auf dem Feld der Politik zu beobachten. Zahlreiche Länder hatten dem unverhohlenen Druck aus Peking nachgegeben und ihre Botschafter in Norwegen angewiesen der Nobelpreiszeremonie fernzubleiben. Anders zwar die europäischen Staaten, sie alle hatten ihre Botschafter ins Rathaus von Oslo entsandt. Die EU-"Außenministerin" Catherine Ashton hingegen war den an ihre Adresse gerichteten Aufforderungen nicht gefolgt, sie fehlte bei der weltweit übertragenen Veranstaltung und vergab so die große Chance, vor aller Welt Europas unbedingtes Eintreten für die universellen Menschenrechte zu untermauern; dahin die Möglichkeit eines starken Signals an die chinesische Zivilgesellschaft. Damit unterstrich Catherine Ashton ungewollt die Erkenntnisse eines neuen Berichts der International Campaign for Tibet, der die Reaktionen der 27 Mitgliedsstaaten der EU auf die Verleihung des Nobelpreises an Liu Xiaobo untersucht und vergleicht. Vincent Metten, Autor des Berichts und Leiter des ICT-Büros in Brüssel, kam zum Schluss, dass nur knapp die Hälfte der Staaten (13 von 27) überhaupt eine öffentliche Stellungnahme zu der Auszeichnung abgegeben hat. Die veröffentlichten Stellungnahmen seien zudem von sehr unterschiedlicher Stärke, nur wenige davon finde man auch auf Chinesisch auf den Webseiten der jeweiligen Pekinger Botschaften. Wie Vincent Metten unterstrich, fehle es der europäischen Außenpolitik erkennbar an Kohärenz und einer gemeinsamen Strategie. Erst dadurch jedoch werde es der chinesischen Regierung möglich, einzelne europäische Staaten und die EU als Ganzes unter Druck zu setzen.
Der englischsprachige Bericht mit dem Titel "Reactions to Liu Xiaobo’s Peace Prize in Europe" wurde von ICT im Europaparlament in Brüssel auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Daniel Cohn-Bendit von der Fraktion der Grünen sowie Vertretern von Reporter ohne Grenzen und dem Menschenrechts-Dachverband FIDH der Öffentlichkeit vorgestellt. Weitere Informationen finden Sie in der ICT-Pressemitteilung. Den englischsprachigen Bericht können Sie hier ansehen.
Zwangsumsiedlung wegen Staudamm
Für ein Staudammprojekt in der Autonomen Region Tibet (TAR) müssen mehrere Tausend Tibeter ihre Dörfer verlassen und sich an anderen Orten ansiedeln, wie Radio Free Asia meldete. Dem Bericht zufolge soll die Zwangsumsiedlung bis kommenden September abgeschlossen sein; betroffen sind circa 500 Familien in der Gemeinde Phodo im Kreis Lhundrup, nördlich von Lhasa. Den Tibetern wurde verboten, ihr Land weiter zu pflügen oder zu bewässern, einen geschlossenen Umzug der Dorfgemeinschaft lehnten die Behörden ab – die meisten der Betroffenen sollen sich auf drei andere Landgemeinden verteilen, ein Teil sich in der Hauptstadt Lhasa ansiedeln. Für Letztere dürfte es in der Stadt unmöglich sein, ihren landwirtschaftlichen Lebensstil weiter zu pflegen. Wie die tibetischen Quellen mitteilten, soll der Bau des Staudamms ausschließlich durch han-chinesische Arbeitskräfte erfolgen. Die chinesische Armee habe in der Gemeinde Phodo bereits jetzt 1.000 Soldaten stationiert, den Berichten zufolge sollen 2.000 weiter hinzukommen. Möglicher Hintergrund dieser Maßnahme könnten befürchtete Zusammenstöße mit der tibetischen Bevölkerung sein, wie sie sich in der Vergangenheit im Zusammenhang mit geplanten Infrastruktur- oder Bergbauprojekten regelmäßig ereigneten.
Passend dazu teilte die chinesische Regierung unlängst mit, dass zwischen 2006 und 2010 allein in der Autonomen Region Tibet (TAR) insgesamt 43.359 tibetische Nomadenfamilien in feste Behausungen umgesiedelt worden seien. Das Projekt habe mehr als 1 Milliarde Yuan gekostet, umgerechnet mehr als 120 Millionen Euro. Diese Politik der Zwangsansiedlung tibetischer Nomaden ist seit langem Grund zu großer Besorgnis, ist sie doch mit fatalen Folgen für die Betroffenen verbunden. Sie werden ihrer Lebensgrundlage beraubt, sind aber gleichzeitig für den Arbeitsmarkt ungenügend qualifiziert, was sie von staatlicher Hilfe abhängig macht und zu einer entwürdigenden Lebensweise zwingt. Verloren geht stattdessen eine Jahrhunderte alte und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise. Dies ist umso bedrohlicher für das Ökosystem des tibetischen Hochlandes, als die Nomaden in der Regel großen Infrastruktur-, Bergbau oder Wasserkraftprojekten weichen müssen, die zumeist ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgen vorangetrieben werden.
Demokratie nur im Exil
Während die Vorwahlen in Indien, Europa und Nordamerika reibungslos über die Bühne gingen, wurden sie in Nepal und Bhutan von den dortigen Behörden behindert. In Nepal wurden mehrere Wahlurnen beschlagnahmt und offenbar bislang nicht zurückgegeben, in Bhutan hinderte die Regierung die tibetische Gemeinde daran, die abgegebenen Stimmen nach Dharamsala weiterzuleiten. Die Bedeutung des demokratischen Prozesses für die Exiltibeter dürfte deutlich zugenommen haben, mit der Ende November publizierten Erklärung des Dalai Lama, sich im kommenden Jahr von formell-politischen Funktionen zurückziehen zu wollen. Stärker als bislang wird damit der „Kalon Tripa“ das „politische Gesicht“ des tibetischen Volkes darstellen und als solches versuchen müssen, den Dialogprozess mit der chinesischen Führung voran zu treiben. Deutlich mehr Verantwortung wird auch auf dem tibetischen Exilparlament lasten, die Regierung verantwortungsvoll zu kontrollieren. Zu den Hintergründen für die Entscheidung des Dalai Lama und den Folgen für das tibetische Volk können Sie hier einen englischsprachigen Kommentar vom Weblog unserer US-Kollegen lesen.
Gegen Abwertung des Tibetischen
Die massiven Proteste gegen die chinesische Sprachenpolitik in Tibet, wie sie vor allem im Monat Oktober zu beobachten waren – wir berichteten – fanden nun auch ihr Echo im fernen Brüssel: Das Europaparlament kritisierte in einer Entschließung vom 25. November die chinesische Sprachenpolitik und verurteilte insbesondere „das zunehmend härtere Durchgreifen gegen die Ausübung der kulturellen, sprachlichen und religiösen Freiheiten und anderer Grundfreiheiten der Tibeter“. Die Abgeordneten verliehen darin auch ihrer Sorge um die Abwertung der tibetischen Sprache Ausdruck. Die Entschließung können Sie hier auf Deutsch nachlesen. Die International Campaign for Tibet begrüßte diese Entschließung ausdrücklich, da für die Tibeter ihre Sprache von kaum zu überschätzender Bedeutung ist. Dies findet seinen Niederschlag beispielsweise auch in dem „Memorandum über echte Autonomie für das tibetische Volk“, das für die Tibeter die Grundlage ihres Dialogs mit der chinesischen Führung. Dort erscheint die tibetische Sprache an erster Stelle des Kapitels über die „Grundbedürfnisse der Tibeter“, noch vor Kultur oder Religion.
Ein Ende der Sinisierungspolitik Pekings scheint indes nicht in Sicht, wie ein Bericht der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua von Anfang Dezember deutlich machte. Darin war zu lesen, dass die Behörden der Tibetischen Autonomen Region (TAR) planten, bis 2015 allen Kindern von Bauern und Nomaden mindestens zwei Jahre „kostenlosen“ Vorschulunterricht in Mandarin und Tibetisch angedeihen zu lassen, dann soll auch die Mehrheit der tibetischen Kinder einen Kindergarten besuchen. Wie in den heftig kritisierten neuen Lehrplänen für die Schulen soll auch in den Kindergärten Mandarin die Regelsprache sein und Tibetisch lediglich als Sprachunterricht stattfinden.
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Tibetische politische Gefangene brauchen unsere Unterstützung!
Seit den landesweiten Protesten im letzten Jahr befinden sich immer noch mehr als 1.200 Tibeter in Haft oder sind „verschwunden“ – und müssen mit großer Wahrscheinlichkeit Folter und Misshandlungen hinnehmen. Der Grund: viele haben auf friedliche Weise gegen die Verhältnisse in Tibet und die Politik Pekings auf dem Hochland protestiert. Grundlegende Rechte werden ihnen damit systematisch vorenthalten.
Die Situation in Tibet ist eine Menschenrechtskrise, die uns alle angeht. Helfen auch Sie wie Schauspieler Hannes Jaenicke bei unserer Kampagne für tibetische Gefangene auf www.missingvoices.net oder sehen Sie ein Statement von Hannes Jaenicke auf unserer Webseite, laden Sie ein eigenes Videostatement hoch oder nehmen Sie an unserer Appellaktion an Staatspräsident Hu Jintao teil!
So können Sie helfen!
ONLINE SPENDEN
So können Sie helfen!
Mit 50 € können 5 warme Decken gegen die Kälte bezahlt werden.
Mit 250 € könnten fünf zusätzliche Betten angeschafft werden.
ICT – News April 2009 Chinesisches Gericht verhängt Todesstrafe gegen Tibeter
Der Meldung zufolge seien zwar alle fünf Angeklagten von Rechtsanwälten vertreten worden. Aus früheren Fällen ist jedoch bekannt, dass eine freie Wahl des Anwalts häufig unmöglich ist. So wurden im vergangenen Jahr 18 engagierte Bürgerrechtsanwälte massiv bedroht, sollten sie ihre Dienste Angeklagten in politisch sensiblen Verfahren anbieten. Generell muss davon ausgegangen werden, dass in solchen Fällen internationale Mindeststandards nicht eingehalten werden. Folter und Einschüchterung der Angeklagten sind an der Tagesordnung, die Gerichte stehen unter hohem Druck, ihre Urteile entsprechend den Erwartungen der politischen Führung zu fällen. ICT fordert die chinesischen Behörden auf, alle Urteile, die gegen Teilnehmer an den Protesten in Tibet vom März 2008 ergangen sind, unter der Teilnahme unabhängiger Beobachter zu überprüfen und in jedem Fall von der Anwendung der Todesstrafe abzusehen. Die Härte der ergangenen Urteile dürfte in keiner Weise geeignet sein zu einer Beruhigung der Lage beizutragen. Die Spannungen in Tibet dürften dadurch im Gegenteil nur noch erhöht werden.
ICT-Video „20 Years ICT“.