Kathmandu – ein gefährlicher Ort für Tibeter
Die chinesischen Behörden haben von der politischen Instabilität in Nepal, dem Aufstieg der nepalesischen Maoisten und dem Entwicklungsbedarf der maroden Infrastruktur des Landes profitiert. Im Ergebnis beeinflusst die chinesische Regierung so stark wie noch nie den Umgang Kathmandus mit seiner seit langem im Land lebenden tibetischen Gemeinschaft. Pekings Einfluss auf die nepalesische Regierung, auf Grenzposten, auf das Rechtssystem und die Zivilgesellschaft zu einer Zeit des politischen Umschwungs in Nepal verdeutlichen, dass Tibeter in Nepal zunehmend gefährdet und entmutigt sind. Sie sind der Gefahr ausgesetzt, verhaftet oder ausgewiesen zu werden. Im vergangenen Jahr mussten sich tibetische Flüchtlinge, überwiegend Frauen und auch zwei kranke Kinder, in einem Wald in Nepal verstecken, während bewaffnete chinesische Polizisten nach ihnen suchten. Dies alles, nachdem die nepalesische Polizei begonnen hatte, sie zur tibetisch-nepalesischen Grenze zurückzubringen. Tibeter in Nepal – die zweitgrößte tibetische Exilgemeinschaft der Tibeter nach Indien – sind mehr denn je Drangsalierung und Repression ausgesetzt. In dem früher gegenüber Tibetern so freundlichen Land gibt es immer weniger Chancen für sie, eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz zu bekommen.
Bei einem gut belegten Vorfall aus dem Jahr 2003 wurden 18 Tibeter, die unter dem Schutz des UN-Flüchtlingskommissariats standen, auf Betreiben der chinesischen Botschaft aus einem Gefängnis in Kathmandu geholt und über die Grenze nach Tibet gebracht. Einige Monate später traf ich einen jungen Tibeter aus dieser Gruppe in einem Übergangslager, das im nepalesischen Exil angekommenen Tibetern Schutz und Nahrung bietet. Zwischen den Matratzen auf dem Fußboden und dem wenigen Eigentum, das die Flüchtlinge in Papiertüten und Plastikkoffern irgendwie über die unwirtlichste Hochgebirgskette der Welt getragen hatten, lag ein tibetischer Junge zusammen gerollt in einer Ecke und schrieb englische Buchstaben in ein Notizbuch. Der 18-jährige Gyaltsen sagte uns, dass er und der Rest der Gruppe direkt nach Überqueren der Grenze gefesselt und in ein Gefängnis gefahren worden seien. Er sei misshandelt, gefoltert und zu harter Arbeit gezwungen worden. Nach seiner Freilassung habe er seine erneute Festnahme riskiert, indem er über Nepal die lange Reise ins Exil erneut antrat – entschlossen, zu seinen Eltern zu gelangen, die sicher in Indien angekommen waren.
Trotz seines trostlosen Äußeren sah Gyaltsen tadellos aus in einer eleganten zugeknöpften grauen Weste sowie einer gebügelten Hose. Ich notierte mir seine Worte: „Leben in Tibet ist so, als sei man in einem dunklen Raum mit nur einem kleinen Lichtschein, welcher die Möglichkeit der Flucht nach Indien ist. Ich musste zu diesem Licht gehen.“
Nepal ist ein entscheidendes Tor zum Exil für Tibeter, die der Verfolgung in Tibet entkommen wollen. Seitdem von März 2008 an mit Gewalt und Unterdrückung auf die Proteste in Tibet reagiert wird, hat sich die Zahl der tibetischen Flüchtlinge, die Nepal erreichen, drastisch von etwa 2.500-3.500 pro Jahr auf weniger als Tausend pro Jahr reduziert. Heute sind sie nicht nur auf der chinesischen Seite der Grenze gefährdet, sondern sehen sich auch auf der nepalesischen Seite neuen Risiken gegenüber – trotz eines bestehenden Übereinkommens mit dem UN-Flüchtlingskommissariat, das ihren Transit nach Indien sicherstellen soll.
Zunehmend gibt es Anzeichen dafür, dass viele gebildete Nepalesen über die nachdrücklichen Aktivitäten Chinas in ihrem Land, dem souveränen Nepal, besorgt sind. Sie befürchten, dass die Duldung chinesischer Forderungen die Integrität der noch äußerst jungen und anfälligen Institutionen Nepals untergraben und Nepals mühsamen Weg zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie vereiteln könnte. In der nepalesischen Zivilgesellschaft gibt es daher Initiativen, bislang fehlende Gesetze zu schaffen, die den Status der Tibeter in Nepal regeln und damit auch vor der Einflussnahme Pekings schützen.
Nepalesische Menschenrechtler, die die Tibeter in dieser schwierigen Situation unterstützen, weisen darauf hin, dass die Politik ihrer Regierung den engen kulturellen und religiösen Bindungen zwischen den Nepalesen und den Tibetern zuwiderläuft. Diese können bis auf das 6. Jahrhundert zurückdatiert werden. Sherpas aus dem Himalaja, die Volksgruppen der Tamang, der Dolpo und Mustang und andere Völker des Himalajas teilen die gleiche Verehrung des Dalai Lama und praktizieren den tibetischen Buddhismus. Über Jahrhunderte hinweg hatten nepalesische Händler Tibet mit Gütern aus Indien versorgt und eine starke Handelspräsenz in Lhasa und anderen Städten des Hochplateaus unterhalten. Die Boudhanat-Stupa liegt auf der alten Handelsroute von Tibet; tibetische Händler hatten hier viele Jahrhunderte lang gebetet. Ihre Präsenz und religiöse Kultur haben maßgeblich zum Tourismus in Nepal beigetragen.
Einfache Nepalesen haben die tibetische Gemeinschaft stets respektiert. Die Kultur der Tibeter war aufs Engste verbunden mit dem nepalesischen Leben. Daher ist es umso erschreckender, ihre momentan äußerst unsichere Situation beobachten zu müssen. Der Status dieser Gemeinschaft und ihre historischen Verbindungen müssen in Nepal wiederhergestellt werden, für das nepalesische Volk genauso wie für Tibeter.
Während sich Zhou Yongkang in Nepal aufhielt und Versprechen von nepalesischer Seite einholte, dass es auf ihrem Territorium zu keinen „anti-chinesischen Aktivitäten“ kommen würde, trank ein junger tibetischer Mönch in Osttibet Benzin und steckte sich selbst in Brand. Bevor er starb, rief Tsewang Norbu nach Freiheit und forderte die Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet. Tibetern in Nepal wurde noch nicht einmal erlaubt, eine Mahnwache mit Kerzen abzuhalten, um ihren Schmerz über sein aus der Unterdrückung in ihrer Heimat resultierendes Opfer, Ausdruck zu verleihen.
Die Autorin ist Kommunikationschefin der International Campaign for Tibet. Der Artikel erschien in der indischen Zeitung „Sunday Guardian“.
Doppelter Führungswechsel in Tibet
Der August 2011 brachte gleich zwei für die Tibeter bedeutende Veränderungen in der politischen Führung mit sich. Am 8. August wurde Lobsang Sangay in Dharamsala als neuer Kalon Tripa (Exilpremierminister) vereidigt und auch in Lhasa, Hauptstadt der Autonomen Region Tibet (TAR) vollzog sich ein Führungswechsel Am 25. August dann wurde bekannt, dass Chen Quanguo die Nachfolge von Zhang Qingli als Chef der Kommunistischen Partei in der TAR antreten wird.
Für viele Tibeter dürfte diese Nachricht ein Grund zur Freude gewesen sein. Zhang war besonders wegen seiner aggressiven Rhetorik gegenüber dem Dalai Lama aufgefallen, den er als „Wolf in Mönchsrobe“ sowie als „Teufel mit menschlichem Antlitz“ bezeichnet hatte. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2006 hatten sich die Spannungen in Tibet verschärft, die ohnehin kritische Haltung der Tibeter gegenüber der politischen Führung hatte sich nicht zuletzt durch die massive Zunahme an „patriotischen Erziehungsmaßnahmen“ in den buddhistischen Klöstern der Region verstärkt.
Nach dem Hardliner Zhang tritt nun ein Politiker an die Spitze der TAR, der für die Tibeter ein unbeschriebenes Blatt ist. Ebenso wie alle seine Vorgänger ist Chen Quanguo kein Tibeter, der Han-Chinese verfügt bislang auch über keinerlei Erfahrung in der Nationalitätenpolitik. Offensichtlich hat er Tibet noch nicht einmal als Tourist einen Besuch abgestattet. Ob sich unter dem ehemaligen Gouverneur der Provinz Hebei etwas an der chineischen Tibetpolitik ändern wird, bleibt abzuwarten. In seinen Reden hält sich der neue Parteichef der TAR bisher streng an die Partei-Rhetorik. Politisch wird er sich zunächst wohl mit der Umsetzung des 12. Fünfjahresplans Beijing befassen, der die umfassende Industrialisierung der urbanen Zentren Tibets, sowie weitreichende Eingriffe in die traditionelle Lebens- und Wirtschaftsweise besonders der tibetischen Nomaden vorsieht. Ziel des Plans ist die vollständige Integration Tibets in die Volksrepublik China und die Erschließung der Bodenschätze der Region.
Sowohl in Lhasa, als auch in Dharamsala im Exil könnten sich also weitreichende politische Änderungen bezüglich Tibets vollziehen. Während die Exiltibeter mit dem politischen Programm Lobsang Sangays recht gut vertraut sind, können sie im Fall Chens nur hoffen, dass in seiner Amtszeit die Anliegen der Tibeter endlich Gehör finden und sich die Lage in der ART entspannt.
Lesen Sie zu diesem Thema hier auch den englischsprachigen Beitrag unseres Kollegen Bhuchung Tsering aus Washingtoner auf unserem ICT-Blog.
Der neue Kalon Tripa
Der Wahl des Harvard-Juristen Sangay in das höchste politische Amt war der Wunsch des Dalai Lama vorausgegangen, von seinen in der tibetischen Exilverfassung festgelegten politischen Befugnissen entbunden zu werden. Nach teilweise aufwühlenden Debatten war die Verfassung schließlich geändert worden. Lobsang Sangay ist somit der erste tibetische Exilpremierminister, der umfassende Vollmachten im Exil innehat. Allen chinesischen Versuchen einer Informationsblockade zum Trotz nahmen auch die Menschen in Tibet lebhaften Anteil an den Debatten um die geänderte Rolle des Dalai Lama und am Wahlkampf im Exil.
Die International Campaign for Tibet wertet die Amtseinführung Lobsang Sangays als Beleg für die gewachsene demokratische Legitimation der politischen Führung der Exiltibeter. Tibeter in aller Welt hätten intensiv und kontrovers über Kandidaten und politische Programme diskutiert. Dies stehe in scharfem Kontrast zur autoritären Politik der chinesischen Regierung in Tibet, die Meinungsfreiheit und echte demokratische Partizipation massiv unterdrückt. Nach Einschätzung der ICT ist es nun an Peking, die Stimmung unter den Tibeterinnen und Tibetern ernst zu nehmen und sich in Gesprächen mit Vertretern des Dalai Lama um eine wirkliche Lösung der Tibetfrage zu bemühen.
Kathmandu – Ein gefährlicher Ort für Tibeter
Gastbeitrag von Kate Saunders
Nepal ist neben Indien ein wichtiger Anlaufpunkt für tibetische Flüchtlinge. In den letzten Jahren hat China dort jedoch seinen Einfluss ausgeweitet. Kate Saunders, die Kommunikationschefin der International Campaign for Tibet, berichtet in der indischen Zeitung
Dalai Lama in Deutschland
Der Kongress Achtsamkeit in Hamburg war ausverkauft“>
Auch die International Campaign for Tibet war mit einem Stand in Hamburg vertreten. Viele Standbesucher kannten die Arbeit der ICT bereits recht gut, nicht wenige „outeten“ sich als regelmäßige Spender. Für die drei ICT-Mitarbeiter war es schön, einmal einige ICT-Förderer persönlich sprechen zu können.
Bereits am Vormittag hatte sich der Dalai Lama bei einer Pressekonferenz besorgt über die Situation in Tibet geäußert, besonders in Anbetracht der Selbstverbrennung eines Mönches im Kloster Nyitso. Im Anschluss an den Kongress reiste er weiter nach Hessen, wo er ein Kloster in Seligenstadt und eine Blindenschule in Friedberg besuchte. Höhepunkt seines Aufenthalts in Hessen war eine Rede vor dem Hessischen Landtag. Darin ging der Dalai Lama auch auf die Änderungen in der tibetischen Exilverfassung ein, in der nun seine politischen Befugnisse und seine Stellung als Staatsoberhaupt auf den gewählten Premierminister im Exil übergegangen sind. Er sei stolz und glücklich auf diese Entwicklung, sagte er, sie bedeute einen bedeutenden Beitrag zur Demokratisierung Tibets. Viele hundert Menschen hatten sich eigens vor dem Gebäude des hessischen Landtags versammelt, um den Dalai Lama zu begrüßen. Während seines Deutschland-Aufenthalts gab der Dalai Lama mehreren deutschen Medien Interviews. Einen Link zu einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung finden Sie hier.
Irmtraut Wäger: Amala – Mein Leben für Tibet
Das Leben von Irmtraut Wäger zeichnet sich durch ihren unermüdlichen Einsatz für Tibet aus. Die Tibeter nennen sie deshalb "Amala", "verehrte Mutter". Mehr als 30 Jahre widmete sich die langjährige Vorsitzende der Deutschen Tibethilfe der Unterstützung tibetischer Flüchtlinge. Von ihrer kleinen Zweizimmerwohnung in München aus sammelte sie Gelder und vermittelte über 5.000 Patenschaften für Kinder, Studenten, Mönche, Nonnen und alte Tibeter. Dort besuchte sie der Dalai Lama im Jahr 2003.
Ihre im Februar erschienene Biographie beschreibt den Lebensweg einer außergewöhnlichen Frau, die für ihr herausragendes Engagement 1986 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt wurde. Im Jahr 2005 erhielt Wäger den „Light of Truth Award“ der International Campaign for Tibet vom Dalai Lama persönlich überreicht. Mit diesem Preis werden Personen ausgezeichnet, die sich auf besondere Weise für Tibet eingesetzt haben.
Unsere Arbeit
Tibetische politische Gefangene brauchen unsere Unterstützung!
Seit den landesweiten Protesten im letzten Jahr befinden sich immer noch mehr als 1.200 Tibeter in Haft oder sind „verschwunden“ – und müssen mit großer Wahrscheinlichkeit Folter und Misshandlungen hinnehmen. Der Grund: viele haben auf friedliche Weise gegen die Verhältnisse in Tibet und die Politik Pekings auf dem Hochland protestiert. Grundlegende Rechte werden ihnen damit systematisch vorenthalten.
Die Situation in Tibet ist eine Menschenrechtskrise, die uns alle angeht. Helfen auch Sie wie Schauspieler Hannes Jaenicke bei unserer Kampagne für tibetische Gefangene auf www.missingvoices.net oder sehen Sie ein Statement von Hannes Jaenicke auf unserer Webseite, laden Sie ein eigenes Videostatement hoch oder nehmen Sie an unserer Appellaktion an Staatspräsident Hu Jintao teil!
So können Sie helfen!
ONLINE SPENDEN
So können Sie helfen!
Mit 50 € können 5 warme Decken gegen die Kälte bezahlt werden.
Mit 250 € könnten fünf zusätzliche Betten angeschafft werden.
ICT – News April 2009 Chinesisches Gericht verhängt Todesstrafe gegen Tibeter
Der Meldung zufolge seien zwar alle fünf Angeklagten von Rechtsanwälten vertreten worden. Aus früheren Fällen ist jedoch bekannt, dass eine freie Wahl des Anwalts häufig unmöglich ist. So wurden im vergangenen Jahr 18 engagierte Bürgerrechtsanwälte massiv bedroht, sollten sie ihre Dienste Angeklagten in politisch sensiblen Verfahren anbieten. Generell muss davon ausgegangen werden, dass in solchen Fällen internationale Mindeststandards nicht eingehalten werden. Folter und Einschüchterung der Angeklagten sind an der Tagesordnung, die Gerichte stehen unter hohem Druck, ihre Urteile entsprechend den Erwartungen der politischen Führung zu fällen. ICT fordert die chinesischen Behörden auf, alle Urteile, die gegen Teilnehmer an den Protesten in Tibet vom März 2008 ergangen sind, unter der Teilnahme unabhängiger Beobachter zu überprüfen und in jedem Fall von der Anwendung der Todesstrafe abzusehen. Die Härte der ergangenen Urteile dürfte in keiner Weise geeignet sein zu einer Beruhigung der Lage beizutragen. Die Spannungen in Tibet dürften dadurch im Gegenteil nur noch erhöht werden.
ICT-Video „20 Years ICT“.