Erneute Selbstverbrennung
Zu befürchten ist nun eine Wiederholung der Ereignisse vom Frühjahr 2011 im Kloster Kirti und dessen Umgebung in der benachbarten Präfektur Ngaba. Auch im März hatten die chinesischen Behörden mit massiven Repressionen auf die öffentliche Selbstverbrennung des Mönchs Phuntsog reagiert. Phuntsog aus dem Kloster Kirti hatte auf die gleiche Weise wie Tsewang Norbu seine Unzufriedenheit über die politische Situation zum Ausdruck gebracht. Die Behörden hatten daraufhin Mönche verschleppt und „patriotische Erziehungsmaßnahmen“ in dem abgeriegelten Kloster Kirti angeordnet. Zahlreiche Tibeter wurden bei der Auflösung friedlicher Demonstrationen und dem Versuch, sich schützend vor die Mönche zu stellen, teils schwer verletzt, zwei ältere Tibeter verloren ihr Leben. Es kam zu vielen Verhaftungen, Beobachter beschrieben die Lage um das Kloster wie „unsichtbares Kriegsrecht“, das über die Region verhängt worden sei.
Nach Einschätzung der ICT belegt die erneute Selbstverbrennung eines tibetischen Mönchs die andauernde Unzufriedenheit der Tibeter mit der politische Situation in Tibet. Anstatt mit Repression zu reagieren, müsse sich die chinesische Regierung ernsthaft mit den Ergebnissen ihrer Politik in Tibet auseinandersetzen.
Kathmandu – Ein gefährlicher Ort für Tibeter
Gastbeitrag von Kate Saunders
Nepal ist für tibetische Flüchtlinge das wichtigste Transitland auf ihrem Weg nach Indien. Zugleich leben dort geschätzte 20.000 Tibeter, die bereits vor längerer Zeit nach Nepal geflüchtet waren. In den letzten Jahren hat China seinen Einfluss in Nepal massiv ausgeweitet. Kate Saunders, die Kommunikationschefin der International Campaign for Tibet, berichtet in der indischen Zeitung „Sunday Guardian“ über die prekäre Situation tibetischer Flüchtlinge in Nepal.
Kathmandu ist in den vergangenen Wochen zu einem gefährlichen Ort für die tibetische Gemeinschaft geworden. Den roten Teppich ausgerollt hatte die nepalesische Regierung für den chinesischen Spitzenfunktionär Zhou Yongkang. In seinem Schlepptau die hochrangigste Delegation, die das kleine Himalajaland seit Jahren besucht hat.
Im von Touristen und Pilgern überlaufenen Stadtteil rund um die heilige Stupa von Boudha – umgeben von tibetischen Läden, die Gebetsmühlen und Weihrauch verkaufen – war die Stimmung angespannt. Angst und Besorgnis herrschten unter den dort lebenden Tibetern. Nur wenige Menschen waren auf den sonst lebhaften Straßen zu sehen, die der niemals schlafende Buddha der heiligen Stupa überblickt. Vor der Ankunft Zhous, der im aus neun Personen bestehenden Ständigen Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas für die Kontrolle der „sozialen Stabilität“ zuständig ist, waren vor allem führende Personen der Tibetergemeinschaft in Kathmandu von den nepalesischen Behörden gezielt eingeschüchtert worden. Sie wurden gewarnt, keine Mahnwachen abzuhalten oder „anti-chinesische Aktivitäten“ zu unternehmen. Acht scheinbar zufällig ausgewählte Tibeter wurden verhaftet, andere tauchten unter.
Die Vorgänge in Kathmandu sind der jüngste Beleg dafür, wie groß der Einfluss Pekings auf die nepalesische Regierung mittlerweile ist … weiter
Der neue Kalon Tripa
Der Wahl des Harvard-Juristen Sangay in das höchste politische Amt war der Wunsch des Dalai Lama vorausgegangen, von seinen in der tibetischen Exilverfassung festgelegten politischen Befugnissen entbunden zu werden. Nach teilweise aufwühlenden Debatten war die Verfassung schließlich geändert worden. Lobsang Sangay ist somit der erste tibetische Exilpremierminister, der umfassende Vollmachten im Exil innehat. Allen chinesischen Versuchen einer Informationsblockade zum Trotz nahmen auch die Menschen in Tibet lebhaften Anteil an den Debatten um die geänderte Rolle des Dalai Lama und am Wahlkampf im Exil.
Die International Campaign for Tibet wertet die Amtseinführung Lobsang Sangays als Beleg für die gewachsene demokratische Legitimation der politischen Führung der Exiltibeter. Tibeter in aller Welt hätten intensiv und kontrovers über Kandidaten und politische Programme diskutiert. Dies stehe in scharfem Kontrast zur autoritären Politik der chinesischen Regierung in Tibet, die Meinungsfreiheit und echte demokratische Partizipation massiv unterdrückt. Nach Einschätzung der ICT ist es nun an Peking, die Stimmung unter den Tibeterinnen und Tibetern ernst zu nehmen und sich in Gesprächen mit Vertretern des Dalai Lama um eine wirkliche Lösung der Tibetfrage zu bemühen.
Doppelter Führungswechsel in Tibet
Der August 2011 brachte gleich zwei für die Tibeter bedeutende Veränderungen in der politischen Führung mit sich. Am 8. August wurde Lobsang Sangay in Dharamsala als neuer Kalon Tripa (Exilpremierminister) vereidigt und auch in Lhasa, Hauptstadt der Autonomen Region Tibet (TAR), vollzog sich ein Führungswechsel: Am 25. August wurde bekannt, dass Chen Quanguo die Nachfolge von Zhang Qingli als Chef der Kommunistischen Partei in der TAR antreten wird.
Für viele Tibeter dürfte diese Nachricht ein Grund zur Freude gewesen sein. Zhang war besonders wegen seiner aggressiven Rhetorik gegenüber dem Dalai Lama aufgefallen, den er als „Wolf in Mönchsrobe“ sowie als „Teufel mit menschlichem Antlitz“ bezeichnet hatte. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2006 hatten sich die Spannungen in Tibet verschärft, die ohnehin kritische Haltung der Tibeter gegenüber der politischen Führung hatte sich nicht zuletzt durch die massive Zunahme an „patriotischen Erziehungsmaßnahmen“ in den buddhistischen Klöstern der Region verstärkt.
Nach dem Hardliner Zhang tritt nun ein Politiker an die Spitze der Kommunistischen Partei in der TAR, der für die Tibeter ein unbeschriebenes Blatt ist. Ebenso wie alle seine Vorgänger ist Chen Quanguo kein Tibeter, der Han-Chinese verfügt bislang auch über keinerlei Erfahrung in der Nationalitätenpolitik. Offensichtlich hat er Tibet noch nicht einmal als Tourist einen Besuch abgestattet. Ob sich unter dem ehemaligen Gouverneur der Provinz Hebei etwas an der chineischen Tibetpolitik ändern wird, bleibt abzuwarten. Politisch wird er sich zunächst wohl mit der Umsetzung des 12. Fünfjahresplans Pekings befassen, der die umfassende Industrialisierung der urbanen Zentren Tibets, sowie weitreichende Eingriffe in die traditionelle Lebens- und Wirtschaftsweise besonders der tibetischen Nomaden vorsieht. Ziel des Plans ist die vollständige Integration Tibets in die Volksrepublik China und die Erschließung der Bodenschätze der Region.
Sowohl in Lhasa, als auch im Exil in Dharamsala könnten sich also weitreichende politische Änderungen bezüglich Tibets vollziehen. Während die Exiltibeter mit dem politischen Programm Lobsang Sangays recht gut vertraut sind, können sie im Fall Chens nur hoffen, dass in seiner Amtszeit die Anliegen der Tibeter endlich Gehör finden und sich die Lage in der TAR entspannt.
Lesen Sie zu diesem Thema hier auch den englischsprachigen Beitrag unseres Kollegen Bhuchung Tsering aus Washington auf unserem ICT-Blog.
Dalai Lama in Deutschland
Der Kongress Achtsamkeit in Hamburg war ausverkauft – kein Wunder bei dem Gastredner auf der Abschlussveranstaltung am 21. August: Der Dalai Lama persönlich hielt eine Ansprache. Vor 1.600 Menschen im voll besetzten Audimax der Universität Hamburg betonte er, dass materieller Reichtum oft mit emotionaler Armut einhergehe. In einer anschließenden Diskussion erörterte der Dalai Lama mit buddhistischen Gelehrten und Universitätsprofessoren das Thema des Kongresses und seine Anwendung in der Praxis. Das Publikum zeigte sich begeistert vom geistlichen Führer der Tibeter, der sich trotz seines bemerkenswerten Reisepensums in guter körperlicher Verfassung präsentierte.
Auch die International Campaign for Tibet war mit einem Stand in Hamburg vertreten. Viele Standbesucher kannten die Arbeit der ICT bereits recht gut, nicht wenige „outeten“ sich als regelmäßige Spender. Für die drei ICT-Mitarbeiter war es schön, einmal einige ICT-Förderer persönlich sprechen zu können.
Bereits am Vormittag hatte sich der Dalai Lama bei einer Pressekonferenz besorgt über die Situation in Tibet geäußert, besonders in Anbetracht der Selbstverbrennung eines Mönches im Kloster Nyitso. Im Anschluss an den Kongress reiste er weiter nach Hessen, wo er ein Kloster in Seligenstadt und eine Blindenschule in Friedberg besuchte. Höhepunkt seines Aufenthalts in Hessen war eine Rede vor dem Hessischen Landtag. Darin ging der Dalai Lama auch auf die Änderungen in der tibetischen Exilverfassung ein, in der nun seine politischen Befugnisse und seine Stellung als Staatsoberhaupt auf den gewählten Premierminister im Exil übergegangen sind. Er sei stolz und glücklich auf diese Entwicklung, sagte er, sie sei ein bedeutender Beitrag zur Demokratisierung Tibets. Viele hundert Menschen hatten sich eigens vor dem Gebäude des hessischen Landtags versammelt, um den Dalai Lama zu begrüßen.
Während seines Deutschland-Aufenthalts gab der Dalai Lama mehreren deutschen Medien Interviews. Einen Link zu einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung finden Sie
Irmtraut Wäger: Amala – Mein Leben für Tibet
Unsere Arbeit
Tibetische politische Gefangene brauchen unsere Unterstützung!
Seit den landesweiten Protesten im letzten Jahr befinden sich immer noch mehr als 1.200 Tibeter in Haft oder sind „verschwunden“ – und müssen mit großer Wahrscheinlichkeit Folter und Misshandlungen hinnehmen. Der Grund: viele haben auf friedliche Weise gegen die Verhältnisse in Tibet und die Politik Pekings auf dem Hochland protestiert. Grundlegende Rechte werden ihnen damit systematisch vorenthalten.
Die Situation in Tibet ist eine Menschenrechtskrise, die uns alle angeht. Helfen auch Sie wie Schauspieler Hannes Jaenicke bei unserer Kampagne für tibetische Gefangene auf www.missingvoices.net oder sehen Sie ein Statement von Hannes Jaenicke auf unserer Webseite, laden Sie ein eigenes Videostatement hoch oder nehmen Sie an unserer Appellaktion an Staatspräsident Hu Jintao teil!
So können Sie helfen!
ONLINE SPENDEN
So können Sie helfen!
Mit 50 € können 5 warme Decken gegen die Kälte bezahlt werden.
Mit 250 € könnten fünf zusätzliche Betten angeschafft werden.
ICT – News April 2009 Chinesisches Gericht verhängt Todesstrafe gegen Tibeter
Der Meldung zufolge seien zwar alle fünf Angeklagten von Rechtsanwälten vertreten worden. Aus früheren Fällen ist jedoch bekannt, dass eine freie Wahl des Anwalts häufig unmöglich ist. So wurden im vergangenen Jahr 18 engagierte Bürgerrechtsanwälte massiv bedroht, sollten sie ihre Dienste Angeklagten in politisch sensiblen Verfahren anbieten. Generell muss davon ausgegangen werden, dass in solchen Fällen internationale Mindeststandards nicht eingehalten werden. Folter und Einschüchterung der Angeklagten sind an der Tagesordnung, die Gerichte stehen unter hohem Druck, ihre Urteile entsprechend den Erwartungen der politischen Führung zu fällen. ICT fordert die chinesischen Behörden auf, alle Urteile, die gegen Teilnehmer an den Protesten in Tibet vom März 2008 ergangen sind, unter der Teilnahme unabhängiger Beobachter zu überprüfen und in jedem Fall von der Anwendung der Todesstrafe abzusehen. Die Härte der ergangenen Urteile dürfte in keiner Weise geeignet sein zu einer Beruhigung der Lage beizutragen. Die Spannungen in Tibet dürften dadurch im Gegenteil nur noch erhöht werden.
ICT-Video „20 Years ICT“.