Wie funktioniert die tibetische Exildemokratie?

Enstehungsgeschichte und Anfang: 1959– 1963

Bereits seit seiner Inthronisation im Jahre 1951, im Alter von 15 Jahren, war dem 14. Dalai Lama die Dringlichkeit mehrerer Reformen bewusst, welche für Tibet notwendig waren, um das Land politisch zu festigen. Diese basierte auf dem modernen demokratischen System mit klarer Gewaltentrennung, bestehend aus den drei Organen Judikative,  Legislative und Exekutive.

Im Jahre 1963 verkündete der Dalai Lama in Dharamsala, dem Hauptsitz der Exilregierung, eine demokratische Verfassung für ein künftig freies Tibet. Dies ebnete somit den Weg für die Entwicklung eines der jüngsten Demokratien dieser Welt. Die tibetische Demokratie hat sich in den letzten 50 Jahren schrittweise entwickelt und wurde nicht nur von den Prinzipien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geleitet, sondern auch von den tibetischen kulturellen Werten.

Kommentar des 14. Dalai Lama zur Verfassung:

„Veränderungen nehmen auch im tibetischen System der Politik Einzug. Es ist bedauerlich, dass dies im Exil stattfindet, doch es wird uns nicht daran hindern das Wesen der Demokratie zu erlernen. Ich habe lange auf den Zeitpunkt gewartet ein politisches System einzuführen, welches sich mit unserer Tradition und den Anforderungen der modernen Welt vereinbaren lässt. Seit wir im Exil sind haben wir versucht ein Parlament (Chithü) aufzubauen. Die gewählte Versammlung von Vertretern stellt den Schlüsselfaktor dar, um ein solches System zu entwickeln. Wir durchlaufen Veränderungen, welche den Demokratisierungsprozess vorantreiben und unsere Administration im Exil stärken. Ich hoffe, dass diese Veränderungen dem tibetischen Volk es erlauben werden, eine klare Bestimmung über die Zukunft unseres Landes zu haben.

Dieser Demokratisierungsprozess erreicht alle Tibeter auf der ganzen Welt. Ich glaube das die zukünftige Generation von Tibetern diese Veränderungen zu einer der wichtigsten Erfolge unserer Erfahrung im Exil betrachten wird.“

 

Aufbau und Organisation der tibetischen Exilregierung in Dharamsala

Staatsoberhaupt:

S.H. der 14. Dalai Lama

Premierminister (Kalon Tripa):           Executive

Samdhong Rimpoche

Ministerrat (Kashag):

7  Minister

Parlament (Chithü):

46 Parlamentarier                                   Legislative

Oberster Gerichtshof/

Justiz- und Gerichtskommission :

1 Richter                                                   Judikative

 

3 Geschworene

Exekutive:

Die ausführende Gewalt ( Exekutive ) der tibetischen Verwaltung steht dem Dalai Lama zu und wird entweder von ihm direkt oder durch ihm unterstellte Amtsträger ausgeführt, gemäss den Bestimmungen dieser Verfassung.

Der Kashag (Kabinett) oder die Ratsversammlung der Minister, ist das höchste exekutive Organ, welches direkt dem Dalai Lama unterstellt ist. Der Kashag besteht aus sieben Kalons (Minister) welche durch die Vollversammlung des Exilparlamentes (ATPD) für 5 Jahre in geheimer Abstimmung gewählt werden.

Die Wahl des Premierministers, auch Kalon Tripa genannt, wird innerhalb des Kashag gesetzmässig von bereits gewählten Kalons mittels geheimer Abstimmung durch eine einfache Mehrheit gewählt. Die Amtszeit dauert ebenfalls 5 Jahre.

Legislative:

Die Legislative der Tibetischen Regierung im Exil und bildet das Parlament (Chitü). Die Mitglieder dieses Parlaments werden von den Wahlberechtigten auf dem indischen Sub-Kontinent sowie den tibetischen Exilgemeinschaften in den westlichen Ländern direkt gewählt.

Traditionell setzt sich das Exilparlament aus den drei tibetischen Provinzen Ü-Tsang, Kham und Amdo zusammen, welche je 10 ParlamentarierInnen stellen. Dazu kommen je zwei Abgeordnete der 4 Buddhistischen Schulen sowie zwei Vertreter der Bönanhänger. Drei weitere Abgeordnete werden von TibeterInnen aus den westlichen Ländern gewählt: 2 aus Europa und 1 Abgeordneter aus Nordamerika. Zu den Mitgliedern werden noch 3 aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Literatur und gemein-nützige Dienste direkt vom Dalai Lama nominiert.

Judikative:

Das höchste Judikative Organ ist die Justiz- und Gerichtskommission und zugleich der Hüter der Exilverfassung. Sie fungiert als das höchste Berufungsgericht betreffend juristischen Angelegenheiten hinsichtlich Einzelpersonen und öffentlichen Einrichtungen der Tibeter im Exil. Sie ist zudem auch die höchste juristische Behörde der tibetischen Verwaltung.

Die Justiz- und Gerichtskommission befasst sich auch mit Klagen gegen die Administration und verhilft den Klägern zu ihren Rechten. Sie besteht aus einem Präsidenten mit gerichtlichen Befugnissen, die den besonderen Bedürfnissen der tibetischen Exilverwaltung und des Volkes angemessen sind. In der höchsten tibetischen Gerichtskommission amtiert ein Mitglied, bis die Versammlung ein Gesetz zur Erhöhung der Anzahl von Mitgliedern erlässt.

Wahlvorgang von Exiltibetern in der Schweiz

Ein Grossteil der tibetischen Gemeinschaft lebt mittlerweile seit mehreren Jahrzehnten im Ausland. Zu einer der grössten Exilgemeinschaften ausserhalb Indiens zählt die Schweiz. Die meisten der knapp 4000 dort ansässigen Tibeterinnen und Tibeter sind jedoch nicht weniger gut informiert als die ansässigen Landsleute in Indien. Ihr engagiertes Wahlverhalten zeugt von einer grossen inneren Verantwortung und dem Interesse, als ein Bestandteil einer bestehenden Exildemokratie, die Geschicke der Regierung und somit die Zukunft Tibets mitbestimmen zu können. Manch ein Aussenstehender mag sich nun fragen, inwiefern sich die Zukunft eines Landes gestalten lässt, das als solches gar nicht mehr existiert, zumindest auf politischer Ebene. Und doch sind entsprechende Abstimmungen und Wahlen mit einer fast 100prozentigen Wählerquote vertreten, im Gegensatz zu Wahlbeteiligungen

Die Gründe dafür sind vielschichtig und rühren zu einem grossen Teil auch von einer patriotischen Haltung her, das insbesondere durch den Verlust der eigenen Identität und dem Land verstärkt wird.

Doch worin unterscheidet sich der Wahlgang im Exil mit dem in Dharamsala?

In der Schweiz beispielsweise existieren 8 verschiedene Tibetergemeinschaften, welche je nach Region und Wohnort unterteilt sind. Es werden zwei Sektionsvorsteher in einem geheimen Wahlgang gewählt, welche dieses Amt zwei Jahre ausüben. Dieses Amt beinhaltet die Organisation und die Leitung örtlicher Entscheidungen, welche die Sektion betreffen. Aus diesen werden wiederum alle zwei Jahre ein oder zwei Vertreter gewählt, welche zusammen ein Regionalparlament stellen. Dieses Parlament bildet eine direkte Schnittstelle zum Exilparlament und leitet wichtige Informationen und Neuigkeiten wie bevorstehende Wahlen an die regionalen Gemeinschaften weiter. Sitzungen finden mindestens einmal im Monat statt.

Wahlen werden an Sitzungen nach dem alten Prinzip der traditionellen Stimmenabgabe in Form von Namensgebung durchgeführt, wovon jeder Wahlgang mindestens zweimal durchgeführt wird.

 

Wahl des Kalon Tripa 2011: Der Beginn einer neuen Ära?

Am 20. März 2011 ist es soweit: Die Wahl des neuen Kalon Tripa findet statt.

Nach fast 10 Jahren wird somit ein Nachfolger des jetzigen Amtsinhabers,

Prof. Samdong Rimpoche, gewählt. Diese Ernennung wird ein einschneidender Moment in der Geschichte der tibetischen Exilregierung darstellen, da S.H. der 14. Dalai Lama innerhalb der letzten Jahre sämtliche politischen Vollmachten weitgehend abgegeben hat. Der Druck, einen würdigen und kompetenten Nachfolger zu finden, der in die grossen Fussstapfen des Samdong Rimpoches tritt, ist somit gross.

Es war eine wegweisende, fast historische Entscheidung, als S.H. der Dalai Lama im Jahre 2000 beschloss, dass die Wahl des Premierministers nicht mehr durch Seine Person, sondern direkt von der tibetischen Bevölkerung erfolgen sollte. Fast zeitgleich übertrug er sämtliche poli­ti­schen Ämter dem neugewählten Premierminister. Das Jahr 2011 könnte nun ein weiterer Mei­len­stein im Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zess der Exil­ti­be­ter wer­den, falls wir unsere Ver­ant­wor­tung im Exil wahr­neh­men. Immer mehr Stim­men wer­den laut für eine Ände­rung in der Umset­zung des poli­ti­schen Sys­tems der Exil­re­gie­rung. Immer mehr Tibe­ter /-innen getrauen sich ihre Mei­nun­gen öffent­lich kund­zu­tun – zwei­fels­ohne ein Fort­schritt im Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zess und ein lang­sa­mes Erwa­chen des poli­ti­schen Bewusst­seins innerhalb Gemeinschaft.

Zivilcourage und Überzeugungskraft besitzen

Der neue Kalon Tripa muss demnach eine noch grössere Verantwortung übernehmen als sein Vorgänger. Die Amtszeit der nächsten 5 Jahre wird die zukünftige politische Entwicklung der Exilregierung entscheidend mitprägen. Dafür spricht ein Hauptfaktor:

S.H. der Dalai Lama wird in der Zeitspanne des neuen Premiers das achtzigste Lebensjahr überschreiten. Angesichts dessen stellt die Rolle des neuen Kalon Tripa einen Schlüsselmoment dar. Kurz gesagt: der Kandidat muss eine Per­son sein, die nicht nur Cha­risma, son­dern auch Zivil­cou­rage und Über­zeu­gungs­kraft besitzt und sich wagt, einen klaren Posten in der Aus­sen– und Innen­po­li­tik zu beziehen.

Mehr Ver­ant­wor­tung über­neh­men und nicht den Mut zu verlieren

In einem Interview antwortete Prof. Samdong Rinpoche, dass die Demokratie im Exil sehr gute Fortschritte mache, aber die Landsleute in Tibet hätten keinerlei demokratische Rechte, was sehr traurig sei. Darum sei es wichtig, dass wir alle mehr Verantwortung übernehmen und weiterhin nicht den Mut verlieren sollten. Dies sollte auch der Leitsatz für den nächsten Premierminister sein.

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