„Chamdo: Chinas rote Fahne überzieht Dörfer und Klöster“

Von Woeser

In allen 1.700 Klöstern der Autonomen Region Tibet (TAR) sind Arbeitsgruppen stationiert. Ursprünglich soll Peking dafür 3.000 Angestellte vorgesehen haben, tatsächlich aber sind es jetzt mehr als 7.000. Auch in allen 5.400 Dörfern gibt es Arbeitsgruppen. Tibets offizielle Medien verkünden, es seien „20.000 Kader in den Dörfern stationiert“. Ob darin auch diejenigen aus den Klöstern enthalten sind, kann ich nicht sagen.

Der Grund dafür, dass die Arbeitsgruppen in Dörfern und Klöstern der Region Chamdo eingerichtet wurden, ist die Umsetzung der in der TAR proklamierten Politik der so genannten „9 Haben“ von Ende 2011 (Gemeint ist das was alle haben sollen, nämlich: Bilder der vier Führer, eine chinesische Nationalflagge, Straßen, Wasser, Elektrizität, einen Fernseher, Filme, eine Bücherei, Zeitungen). Auf allen Klosterdächern, in allen Versammlungsräumen, in den Unterkünften der Mönche, am Haus jedes einzelnen Bauern oder Viehhirten sollte die chinesische rote Fahne mit den fünf Sternen hängen, alle Klöster, Tempel und Mönchswohnungen wie auch die Häuser von Bauern und Viehhirten sollten Bilder der KP-Führer aufhängen und diese mit tibetischen Khattags schmücken. Würden sie dies nicht tun, bekämen sie politische Probleme. Die Bauern und Viehhirten mussten die Flaggen selbst kaufen; je nach Qualität kosteten diese zwischen drei und sechs Yuan. Sie mussten auch zahlen, wenn sie eine alte Fahne ersetzen wollten. Erst in diesem Jahr fingen sie an die Flaggen umsonst herauszugeben. Die Arbeitsgruppen kamen häufig zu Inspektionen in die Klöster und zu den Familien.

Wenn heute jemand die Dörfer und Klöster von Chamdo besucht, wird er keine Gebetsfahnen mehr finden, sondern nur ein Feld voller roter Fahnen mit den fünf Sternen. Besonders merkwürdig jedoch ist, dass immer dann, wenn Offizielle aus Peking oder anderen Han-Regionen die Gegend besichtigen, die Arbeitsgruppen alle auffordern, die roten Fahnen herunter zu nehmen. Wenn die Offiziellen dann weg sind, müssen die roten Fahnen wieder aufgehängt werden. Als kürzlich Beamte der Kulturverwaltung aus Sichuan das Kloster Karma besuchten, wurden die roten Fahnen schon weit im Voraus aus der Gebetshalle und den Unterkünften der Mönche entfernt.

Im April dieses Jahres gingen die Arbeitsgruppen von Haus zu Haus und beschlagnahmten bei Mönchen und Nomaden alle Benzin- und Diesel-Vorräte für ihre Autos und Motorräder. Seither muss, wer tanken will, unter Vorlage seines Personalausweises eine Tankberechtigungskarte erwerben; nur mit einer solchen kann man seither an Tankstellen Treibstoff kaufen, wer ohne Karte tanken will, wird abgewiesen. Wenn Tibeter aus Gegenden in Sichuan oder Qinghai in Chamdo Benzin haben wollen, wird ihnen dies mit Sicherheit verweigert werden.

Darüber hinaus wurden alle Tibeter, selbst kleine Kinder, verpflichtet, ein Dokument zu unterzeichnen und darauf ihre Fingerabdrücke zu hinterlassen. So erklärten sie sich einverstanden damit, dass im Fall der Selbstverbrennung eines Familienmitglieds alle im öffentlichen Dienst beschäftigten Angehörigen ihre Stellen verlieren würden; sollte niemand im öffentlichen Dienst arbeiten, würde die gesamte Familie verhaftet. Sollte sich ein Dorfbewohner selbst anzünden, würden alle Dorfbewohner verhaftet und sämtliche Sozialleistungen gestrichen. Falls jemand aus einem Kloster sich selbst in Brand setzen würde, hätte dies die Schließung des Klosters und die Verhaftung aller Mönche oder Nonnen zur Folge. Zudem würden die Klöster, in denen Menschen, die sich selbst verbrannt haben, ihren Buddhismus praktizierten, samt den darin lebenden Mönchen und Nonnen als „Mordkomplizen“ behandelt.

Seit Anfang des letzten Jahres haben die Mönche und Nonnen von mehr als 500 Klöstern in der Region Chamdo Ausgangsverbot und müssen in ihren Klöstern bleiben. Sollte jemand eine Verpflichtung außerhalb haben, geben ihm die Arbeitsgruppen dafür lediglich drei Tage Zeit. Wer das Kloster für bis zu 15 Tage verlassen möchte, benötigt dafür die Zustimmung des Dorfvorstehers oder des örtlichen Parteisekretärs. Für eine Abwesenheit von einem Monat Dauer muss man sich um die Zustimmung der Vereinigten Arbeitsfront des Landkreises und der jeweiligen Sicherheitsbüros bemühen, was sehr aufwändig ist.

Falls jemand nicht innerhalb der bewilligten Zeit zurückkehrt, wird dies als Akt des Widerstands gegen die Regierung gewertet und streng bestraft. Wie es heißt, ist es im vergangenen Jahr nicht einem Mönch noch einer Nonne gelungen, nach Lhasa zu gehen, in diesem Jahr erhielten bislang nur vier Mönche die Erlaubnis Lhasa zu besuchen.

Will jemand ein anderes Dorf oder ein anderes Kloster besuchen, muss er sich sofort nach Ankunft bei der örtlichen Arbeitsgruppe melden und registrieren lassen. Wenn herauskommt, dass dies versäumt wurde, wird er nicht nur zurückgeschickt sondern hat eine harte Strafe zu erwarten.

Tibeter, die aus anderen Regionen wie Sichuan oder Qinghai nach Chamdo wollen, benötigen dafür mindestens fünf verschiedene Schriftstücke. Neben einem Personalausweis sind dies Bescheinigungen von Dorf, Landkreis, Polizei und dem Sicherheitsbüro. Nonnen und Mönche brauchen zudem ihren Nonnen- oder Mönchsausweis.

An allen Straßen in Chamdo (mit Ausnahme der Zufahrt zum Flughafen und der wichtigsten Touristenrouten) befinden sich Kontrollposten. Alleine auf den 170 Kilometern zwischen Chamdo und dem Menda gibt es drei große und einen kleineren Checkpoint. Wenn ein Fahrzeug aus einem Dorf oder Kloster den Posten „Dedang“ passieren will, müssen 200 Yuan (ca. 25 €) bezahlt werden, so zumindest ist es an diesem Checkpoint. Große Fahrzeuge müssen ebenfalls bezahlen, allerdings ist die Höhe der Summe unbekannt. An den Kontrollposten müssen sich alle Tibeter abtasten lassen, ihr Gepäck und ihre Mobiltelefone werden ebenfalls überprüft. Sollten sie darauf ein Foto des Dalai Lama oder „verbotene Lieder“ gespeichert haben werden sie sofort verhaftet.

Woesers Text erschien erstmalig am 2. Juni 2013 im tibetischen Programm von Radio Free Asia. Am 14.Juni veröffentlichte sie ihn auf ihrem Blog „Invisible Tibet“. Am 24. September schließlich folgte eine englische Fassung davon auf High Peaks Pure Earth. Darauf basiert die vorliegende Übersetzung ins Deutsche, die ICT mit freundlicher Genehmigung von High Peaks Pure Earth erstellen konnte. Voraussichtlich wird in Kürze ein weiterer Text von Woeser über die Lage in Chamdo erscheinen.

Die englische Fassung ist hier auf High Peaks Pure Earth nachzulesen.

Berlin, 16. März 2011. Der 21 Jahre alte tibetische Mönch Phuntsog aus dem Kloster Kirti in Ngaba (chin.: Aba) in der chinesischen Provinz Sichuan hat sich heute Morgen öffentlich angezündet und ist anschließend seinen Verletzungen erlegen. Augenzeugen in Kontakt mit tibetischen Exil-Quellen zufolge soll die Polizei die Flammen gelöscht und auf Phuntsog eingeschlagen haben. Kurz danach sei der Mönch gestorben. Die Selbstverbrennung Phuntsogs fiel zusammen mit dem dritten Jahrestag der blutigen Niederschlagung des friedlichen Protests im Kloster Kirti im Jahre 2008. Dabei waren mindestens zehn Tibeter von chinesischen Sicherheitskräften erschossen worden.

Der Tod Phuntsogs führte anschließend zu einer großen Demonstration, an der sich mehrere Hundert Mönche und weitere Tibeter beteiligten, wie dieselben Quellen berichten. Diesen Protestzug habe die Polizei gewaltsam gestoppt und dabei eine unbekannte Anzahl von Mönchen verhaftet sowie protestierende Tibeter geschlagen. Der Leichnam Phuntsogs wurde unterdessen ins Kloster Kirti zurückgebracht. Wie ein tibetischer Mönch im nordindischen Dharamsala sagte, seien die Mönche in Kirti „eher bereit zu sterben, als Phuntsogs Leiche den chinesischen Behörden zu übergeben“. Inzwischen soll das Kloster von chinesischem Militär umstellt sein, offenbar seien auch einige Telefonverbindungen unterbrochen worden.

Die Selbstverbrennung Phuntsogs ist bereits die zweite im Kloster Kirti seit dem Frühjahr 2008. Im Februar 2009 hatte sich der Mönch Tapey ebenfalls in Brand gesetzt, nachdem eine Gebetszeremonie innerhalb des Klosters von den chinesischen Behörden untersagt worden war. Tapey überlebte, wurde allerdings anschließend inhaftiert. Wo er derzeit festgehalten wird, ist unbekannt. Nach Einschätzung der International Campaign for Tibet (ICT) ist der aktuelle Vorfall in hohem Maße erschütternd. Phuntsogs Selbstverbrennung zeige auf drastische Art die Verzweiflung der Tibeter über die kompromisslose Linie Pekings in ihrer Heimat.

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Die International Campaign for Tibet (ICT) setzt sich als weltweit größte Tibet-Organisation seit mehr als 20 Jahren für die Wahrung der Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes ein. ICT unterhält Büros in Washington, D.C., Amsterdam, Brüssel und Berlin sowie Rechercheteams in Dharamsala, Indien, und Kathmandu, Nepal.

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