Tibet-Politik
US-Außenministerium: Lage der Menschenrechte in China
28. Februar 2005
Am 28. Februar 2005 gab die Unterstaatssekretärin für globale Angelegenheiten Paula Dobriansky die Veröffentlichung des Menschenrechtsberichts 2004 bekannt.
Der Orginalbericht findet sich unter: http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2004/index.htm
Hier folgt eine nicht-autorisierte Übersetzung des Tibet betreffenden Abschnitts (Teil 1): (Der gesamte Abschnitt Tibet steht unter http://www.igfm-muenchen.de/tibet/ICT/USStateDeptCountryReport.html)
Die USA anerkennen die Autonome Region Tibet (TAR) sowie die Autonomen Tibetischen Präfekturen (TAP) und Distrikte in anderen Provinzen als Bestandteile der Volksrepublik China. Der Bericht des Außenministeriums übernimmt diese Bezeichnungen. Die Erhaltung und Weiterentwicklung des einzigartigen religiösen, kulturellen und sprachlichen Erbes Tibets, sowie der Schutz der grundlegenden Menschenrechte bieten jedoch weiterhin Anlaß zur Besorgnis.
I. Achtung der Unantastbarkeit der Person
In den tibetischen Gebieten Chinas ist die Menschenrechtsbilanz weiterhin unerfreulich. Eine positive Entwicklung ist jedoch, daß die Regierung einen dritten Besuch der Gesandtschaft des Dalai Lama erlaubte und einige politische Gefangene, wie etwa die tibetisch-buddhistische Nonne Phuntsog Nyidron, freiließ.
Die Regierung behinderte den freien Informationsfluß in allen tibetischen Gebieten und überwachte streng den Zugang zu der TAR, womit sie es erschwerte, das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen richtig einzuschätzen. Die staatlichen Organe begingen weiterhin zahlreiche und schwerste Verstöße gegen die Menschenrechte, dazu gehören Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, Folter, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierung ohne öffentlichen Prozeß und langjährige Inhaftierung von Tibetern, die ihre politischen und religiösen Ansichten auf friedliche Weise zum Ausdruck gebracht hatten. Allgemein ist die Unterdrückung der Religionsfreiheit in der TAR nach wie vor gravierend.
Die Bedingungen in den außerhalb der TAR gelegenen tibetischen Gebieten waren im allgemeinen weniger restriktiv, obwohl es auch Ausnahmen gab. Personen, denen politischer Aktivismus vorgeworfen wird, wurden weiterhin schikaniert. Es gab Berichte über die Inhaftierung und Mißhandlung mehrerer Nonnen und Mönche, die politischer Aktivitäten beschuldigt werden. In einigen Gegenden wurden die Sicherheitsmaßnahmen an politisch brisanten Jahres- und Festtagen intensiviert. Aktivitäten, die als Vehikel für politischen Dissens angesehen werden, darunter auch die Begehung einer Reihe religiöser Feste, wurden unterdrückt. Aus einigen tibetischen Regionen gab es auch Berichte über politische Proteste kleineren Umfangs.
Da ein unabhängiger Zugang zu Gefangenen oder Gefängnissen nicht gewährt wurde, war es unmöglich, die genaue Zahl der tibetischen politischen Gefangenen zu eruieren und das Ausmaß und den Schweregrad der Mißhandlungen abzuschätzen. Das Tibet Information Network (TIN) schätzt, daß etwa 145 Tibeter aus politischen Gründen inhaftiert sind, wovon zwei Drittel Mönche oder Nonnen sind. Annähernd 60 politische Gefangene sind im TAR-Gefängnis in Lhasa inhaftiert. Die meisten von ihnen verbüßen Strafen wegen “konterrevolutionärer Aktivitäten”, einem Straftatbestand, der bei der Neufassung des Strafrechts von 1997 nicht mehr übernommen wurde. Taten, die bisher als konterrevolutionäre Straftaten verfolgt wurden, fallen jetzt nach Aussage der Regierung unter die Kategorie “Anti-Subversionsgesetze”. Der TIN-Analyse zufolge ist die Mehrzahl der tibetischen politischen Gefangenen in Lhasa sowie im Westen der Provinz Sichuan inhaftiert, wobei die Gesamtzahl der politischen Gefangenen in den tibetischen Regionen im Vergleich zu 2003 etwas zurückgegangen ist. Eine Ausnahme bilden die autonomen tibetischen Gebiete in der Provinz Sichuan, wo ihre Zahl im Zusammenhang mit einer Reihe von Fällen, die internationale Beachtung fanden, angestiegen ist.
Radio Free Asia (RFA) berichtete im Oktober, daß Polizisten in der Präfektur Golog in der Provinz Qinghai den buddhistischen Geistlichen Shetsul durch einen Schuß töteten, als dieser zusammen mit anderen Mönchen von ihnen verlangte, sie sollten die Behandlungskosten für ihre im Polizeigewahrsam erlittenen Verletzungen übernehmen.
Im Januar berichtete RFA über die Verhaftung der Studenten Nyima Dorjee und Lobsang Dorjee durch die Behörden des Distrikts Tawu, Präfektur Kardze, Provinz Sichuan; sie hatten an Regierungsgebäuden Plakate angebracht, auf denen die Unabhängigkeit Tibets gefordert wurde.
Am 12. Februar wurde Choeden Rinzen, ein junger Mönch aus dem Kloster Ganden, verhaftet, weil er ein Bild des Dalai Lama und eine tibetische Flagge besaß.
Im April berichtete RFA, daß die Behörden in der Präfektur Tsolho in Qinghai den tibetischen Sänger Namkha, sowie den tibetischen Mönch und Komponisten Bakocha festgenommen hätten, weil sie in deren Liedertexten politische Untertöne witterten. CDs mit ihrer Musik sollen beschlagnahmt worden sein. Die Musiker wurden Anfang Mai wieder freigelassen.
Im Mai berichteten die staatlichen chinesischen Medien über die Inhaftierung eines Tibeters mit dem Namen Penpa, der sich eines Sprengstoffanschlags schuldig bekannte, der am 20. Mai in der Nähe eines Fernsehturms bei Lhasa stattfand.
Im September berichtete RFA, daß in der Präfektur Kardze in Sichuan die beiden buddhistischen Mönche Chogri und Topden sowie der Laie Lobsang Tsering zu dreijährigen Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie Plakate angebracht hatten, auf denen die Unabhängigkeit gefordert wurde. Die drei sollen zu einer Gruppe von 60 Personen gehört haben, die am 27. Juli während einer religiösen Zeremonie im Kloster Chogri im Distrikt Draggo, Kardze, festgenommen wurden. Zeugen zufolge schlugen die Polizisten auf mehrere von ihnen ein. Es wird vermutet, daß die übrigen Personen noch vor Jahresende freigelassen wurden.
Ebenfalls im September verhafteten die Behörden in der Präfektur Nagchu, TAR, die Tibeter Dejor, Tsering Dawa und Datsok, nachdem diese sich wegen eines Bergbauprojekts mit chinesischen Arbeitern angelegt hatten. Ebenfalls festgenommen wurden Nyima Tenzin und Sonam Nyidup, weil sie durch das Rufen von Unabhängigkeitsparolen in einer Bar gegen die Inhaftierung der Vorgenannten protestiert hatten.
Am 24. Februar entließen die Behörden die buddhistische Nonne Phuntsog Nyidron ungefähr ein Jahr vor Ablauf ihrer Haftstrafe aus dem auch unter dem Namen Drapchi bekannten Gefängnis der TAR in Lhasa. Sie war zu neun Jahren Haft verurteilt worden, weil sie 1989 an einer friedlichen Demonstration zur Unterstützung des Dalai Lama teilgenommen hatte. Ihre Strafe wurde 1993 auf 17 Jahre verlängert, nachdem sie zusammen mit anderen Nonnen Lieder über ihre Liebe zu Tibet und ihre Verehrung des Dalai Lama aufgenommen hatte. 2001 wurde ihre Strafe um ein Jahr verringert. Wie von Human Rights Watch berichtet, wurde sie selbst nach der Entlassung in ihrer Bewegungsfreiheit und ihren Kontaktmöglichkeiten stark behindert.
Am 18. April entließen die Behörden den Mönch Ngawang Oezer aus dem TAR-Gefängnis, nachdem dieser seine 15-jährige Haftstrafe wegen Beteiligung an Unabhängigkeits-Aktivitäten im Kloster Drepung voll verbüßt hatte.
Im August bestätigten Beobachter die Entlassung der beiden Mönche Kunchok Choephel und Jigme Jamtruk aus dem Kloster Labrang Tashikyil in der Provinz Gansu. Die Mönche waren im April 2003 festgenommen worden, weil man Broschüren mit Reden des Dalai Lama bei ihnen gefunden hatte.
Im Oktober ließen die Behörden Sonam Phuntsog frei, einen Geistlichen aus dem Kloster Dargye im Distrikt Kardze, Präfektur Kardze, Provinz Sichuan. Er war 1999 verhaftet und wegen “Aufhetzung zum Spaltertum” sowie einer Reise nach Indien, um den Dalai Lama zu sehen, und wegen des Abhaltens von Gebetszeremonien für das lange Leben des Dalai Lama zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.
Das ganze Jahr über haben die Behörden alle internationalen Aufrufe zur Untersuchung des Falles von Nyima Dragpa ignoriert. Er war ein Mönch aus dem Kloster Nyatso in der Präfektur Kardze, Provinz Sichuan, der im Oktober 2003 in der Haft gestorben ist. Die vermutliche Todesursache sind die Verletzungen, die ihm durch schwere Schläge zugefügt wurden.
Am 15. Januar verstarb Yeshe Gyatso, früher Mitglied der Chinesischen Konsultativen Volkskonferenz, im Alter von 71 Jahren in seinem Haus in Lhasa. Die Behörden der TAR hatten ihn im Juni 2003 unter der Beschuldigung des Separatismus verhaftet und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Im November 2003 wurde er in sehr schlechtem Gesundheitszustand vorzeitig entlassen.
Für den populären religiösen Würdenträger Tenzin Delek Rinpoche, der im April 2002 wegen angeblicher Beteiligung an einer Reihe von Sprengstoffanschlägen verhaftet und mit einem zweijährigen Vollstreckungsaufschub zum Tode verurteilt wurde, stellten die Behörden in Übereinstimmung mit der chinesischen Rechtspraxis eine Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe in Aussicht.
Tenzin Deleks ehemaliger Mitarbeiter Lobsang Dhondup wurde jedoch am 26. Januar 2003 wegen der angeblichen Beteiligung an den Anschlägen hingerichtet, obwohl die chinesische Regierung zugesichert hatte, daß beide Angeklagte alle Instanzen anrufen könnten und ein Revisionsverfahren vor dem Obersten Volksgerichtshof – der höchsten Gerichtsinstanz auf nationaler Ebene – stattfinden würde.
Zahlreiche politische Gefangen befanden sich zum Jahresende immer noch in Haft, darunter der ehemalige Student Lobsang Tenzin. Er wurde 1988 in Verbindung mit dem Tod eines Polizisten, der während der Unruhen in Lhasa ums Leben kam, verhaftet und verbüßt derzeit eine 18-jährige Haftstrafe im Pome-Gefängnis in der TAR.
Der buddhistische Mönch Jigme Gyatso, der 1996 zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er eine tibetische Jugendorganisation gegründet hatte, sitzt im TAR-Gefängnis ein, desgleichen die Bauern Sonam Dorje und Lhundrup Dorje, die 1992 verhaftet und zu 15 bzw. 13 Jahren verurteilt wurden, weil sie eine tibetische Flagge entfaltet und Unabhängigkeitsparolen gerufen hatten. Weiter zu nennen sind die Mönche Kalsang Dondrup und Ngawang Dondrup; beide wurden 2003 wegen “Gefährdung der Staatssicherheit” verurteilt, weil sie gewaltlosen politischen Aktivitäten nachgegangen waren. Der 2002 nach sechseinhalb Jahren Haft entlassene Chadrel Rinpoche, der wegen Weitergabe von Informationen über die Ernennung des Panchen Lama verurteilt worden war, steht Berichten zufolge immer noch in der Nähe von Lhasa unter Hausarrest. Anfragen ausländischer Regierungsvertreter, die ein Treffen mit ihm wünschten, wurden wiederholt abgelehnt.
Wie auch im übrigen China wandte der Sicherheitsapparat beim Umgang mit Inhaftierten Folter und sonstige entwürdigende Maßnahmen an. Glaubwürdigen Aussagen der 2003 freigelassenen Häftlinge zufolge wendeten die Sicherheitskräfte Elektroschocks, lang andauernde Einzelhaft, Haft mit Kontaktsperre, Schläge und andere Arten von Mißhandlung an. Die im Mai 2003 aus Nepal nach China abgeschobenen Tibeter wurden mit Elektroschocks gefoltert, der Kälte ausgesetzt, brutal geschlagen und mußten schwere körperliche Arbeit leisten. Ihre Angehörigen wurden unter Druck gesetzt, damit sie Bestechungsgelder für ihre Freilassung bezahlen. Die Gefangenen wurden regelmäßig auf ihre politische Einstellung geprüft und bestraft, wenn sie den Anschein ungenügender Loyalität dem Staat gegenüber erweckten.
Der Rechtsschutz war für inhaftierte Tibeter derselbe wie im übrigen China und somit unbefriedigend sowohl von der Konzeption her als auch in der Durchführung. Die meisten Richter haben nur eine unzureichende oder gar keine juristische Ausbildung. Die Behörden versuchten diesem Problem Herr zu werden, indem sie vermehrt juristische Ausbildungsgänge anboten. Einem Amtsträger des Höheren Volksgerichtshofs der TAR zufolge haben alle sieben Stadtbezirke und Präfekturen Rechtsberatungszentren eingerichtet, in denen sich bis zum Jahresende insgesamt 1.248 Einwohner haben beraten lassen. Allerdings gab es für mehrere Personen, die politischer oder anderer Verbrechen angeklagt wurden, keinen Rechtsbeistand.
Überdies wurden ihre Prozesse nachlässig, und falls sie die Staatssicherheit berührten, unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt. Die Gesetze sehen für Verbrechen wie “Gefährdung der Staatssicherheit” und “Spaltung des Landes” Höchststrafen von 15 Jahren pro Anklagepunkt vor, wobei insgesamt 20 Jahre nicht überschritten werden dürfen. Meistens betrafen diese Fälle Handlungen, die als auf die tibetische Unabhängigkeit abzielend wahrgenommen wurden, wobei es keiner Gewalttätigkeit bedurfte, damit die betreffenden Aktivitäten als illegal eingestuft und mit langjährigen Haftstrafen geahndet wurden.
Eine nicht bekannte Anzahl von Tibetern verbüßen Strafen in Lagern für “Umerziehung-durch-Arbeit” oder andere Administrativhaftstrafen, die keiner rechtlichen Überprüfung unterliegen. Die Haftbedingungen in diesen Lagern für Administrativhaftstrafen wie zum Beispiel jenen für “Umerziehung-durch-Arbeit” sind den in den Gefängnissen vorherrschenden sehr ähnlich. Im Juli berichteten die staatlichen Medien über ein neu von den Behörden errichtetes Lager für “Umerziehung-durch-Arbeit” in der Präfektur Ngari im Westen der TAR. Das 40.000 Quadratfuß (= 3.716,12 qm) große Lager kann bis zu 200 Insassen aufnehmen.
Die Zwangsarbeit der Häftlinge in Tibet unterliegt im allgemeinen den gleichen Bedingungen wie im übrigen China. Sie ist in zahlreichen Gefängnissen, Haftzentren und Einrichtungen für “Umerziehung-durch-Arbeit” üblich, des weiteren werden Häftlinge in Fabriken als Zwangsarbeiter eingesetzt. Das Gesetz sieht eine Arbeitszeit von bis zu zwölf Stunden täglich und einen arbeitsfreien Tag alle zwei Wochen vor. Allerdings wurden diese Vorschriften oftmals nicht eingehalten.
Die Richtlinien zur Familienplanung gestehen Tibetern und anderen Minderheiten mehr Kinder zu als den Han-Chinesen. In der Stadt lebenden Tibetern, darunter auch Mitgliedern der Kommunistischen Partei, werden normalerweise zwei Kinder gestattet. Auf dem Land lebende Tibeter werden zur Begrenzung der Kinderzahl auf drei angehalten, jedoch nicht verpflichtet. Diese Vorgaben wurden nicht besonders streng umgesetzt. Dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zufolge sind im Lauf des Jahres 2.427 tibetische Flüchtlinge bei der UNHCR-Anlaufstelle in Nepal eingetroffen.
2.338 von ihnen wurden als “relevant” eingestuft, von denen wiederum 2.318 Hilfe vom UNHCR erhielten. Die verbleibenden 89 tibetischen Neuankömmlinge zogen weiter nach Indien, ohne daß ihre Fälle vom UNHCR bearbeitet oder registriert worden wären. Im August ließ ein für Tourismus zuständiger Beamter aus der TAR verlauten, in den ersten acht Monaten des Jahres seien ungefähr 400 Einwohner der TAR ins Ausland gereist ? 100 mehr als 2003. Wie viele Tibeter, besonders aus den ländlichen Gegenden berichteten, war es weiterhin schwierig, einen Paß zu bekommen. Die Antragsbearbeitung war in keiner Weise transparent, und Einwohner aus verschiedenen tibetischen Regionen berichteten über Probleme, die von bürokratischer Ineffizienz und Korruption bis zu Ablehnungen wegen der politischen Einstellung oder politischer Aktivitäten der Antragsteller reichten. Wie die Polizei in China mitteilt, sehen die entsprechenden Bestimmungen vor, Personen, deren Ausreise “die nationale Sicherheit oder nationale Interessen schädigen könnte”, die Ausstellung eines Passes zu verweigern.
Wegen dieser Schwierigkeiten sowie der Probleme, die viele chinesische Bürger, die zur tibetischern Ethnie gehören, hatten, ein Einreisevisum für Indien zu bekommen, war es für Tibeter schwierig, zu religiösen oder anderen Zwecken nach Indien zu reisen. Die Regierung schränkte die Freizügigkeit von Tibetern während politisch heikler Jahrestage und bei anderen besonderen Anlässen ein und verstärkte dann die Kontrollen in den Grenzgebieten dementsprechend. Dennoch besuchten Tausende von Tibetern aus China, darunter Nonnen und Mönche, Indien, indem sie über Drittländer einreisten, und kehrten nach Beendigung ihres Aufenthalts nach China zurück.
Im Februar berichtete RFA, daß es sich bei den meisten der durch Nepal nach Indien reisenden Tibeter um junge Menschen zwischen sechs und dreißig Jahren handle, und daß der Hauptgrund für ihr Verlassen des Landes der Mangel an tibetischsprachigen Bildungseinrichtungen und Gelegenheiten für eine religiöse Ausbildung sei.
Es gab Berichte über willkürliche Verhaftungen, wovon vor allem Mönche bei ihrer Rückkehr aus Nepal betroffen waren. Die Haftdauer betrug in der Regel mehrere Monate, obwohl es in den meisten Fällen zu keiner formalen Anklageerhebung kam. Sowohl im Januar als auch im September gab es Berichte über die Zusammenarbeit der nepalischen Regierung mit den chinesischen Behörden bei der Abschiebung von Tibetern, welche zuvor die Grenze überschritten hatten. Etlichen NGOs zufolge wurde eine Reihe von Personen bei ihrer Rückkehr nach China festgenommen und mißhandelt. So informierte das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) über die im Februar erfolgte Verhaftung der beiden Mönche Gedun Tsendue und Jamphel Gyatso, die nach ihren Studien in Indien nach China zurückgekehrt waren und in der Folge vier Monate lang inhaftiert und mit einer Geldstrafe von je 545 US-Dollar (4.500 Yuan) belegt wurden. Im Juli teilte RFA mit, daß die Mönche Tenzin Samten und Thubten Samdup fünf Monate im Nyari-Gefängnis in Shigatse inhaftiert waren, nachdem man sie bei der Überquerung der Grenze von Nepal nach China gefaßt hatte. RFA zufolge wurden die Mönche im Februar zusammen mit zwei weiteren Personen namens Sherab und Ngawang Namgyal verhaftet.
Auch die Reisen von Ausländern in die TAR wurden von der Regierung reglementiert. In Übereinstimmung mit einer Bestimmung von 1989 müssen Besucher aus dem Ausland (mit Ausnahme von Hongkong, Macau und Taiwan) eine offizielle Genehmigung bei der chinesischen Regierung einholen, bevor sie in die TAR einreisen dürfen. Die Mehrzahl der Touristen bekam diese Genehmigung automatisch, indem sie Reisen bei offiziell registrierten Agenturen buchte. Im Juli gaben die staatlichen Medien bekannt, ausländische Touristen hätten “uneingeschränkten Zugang zu allen 70 Distrikten der TAR”. Die Behörden der TAR konnten diese Änderungen jedoch nicht bestätigen, und Touristen berichteten, daß die meisten der Einschränkungen weiterhin in Kraft seien. Offizielle Besucher der TAR wurden streng überwacht, und Mitglieder solcher Reisegruppen hatten kaum die Möglichkeit, mit Einheimischen zu sprechen, es sei denn die Begegnung wurde zuvor von den Behörden gebilligt.
In den meisten tibetischen Gebieten außerhalb der TAR konnten Ausländer frei reisen. Im März hoben die Behörden die Einschränkungen für die letzten vier der bisher unzugänglichen Distrikte in der Präfektur Ngaba in Sichuan auf.
Übersetzung: Irina Raba, Adelheid Dönges, Angelika Mensching
28. Februar 2005
Am 28. Februar 2005 gab die Unterstaatssekretärin für globale Angelegenheiten Paula Dobriansky die Veröffentlichung des Menschenrechtsberichts 2004 bekannt.
Der Orginalbericht findet sich unter: http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2004/index.htm
Hier folgt eine nicht-autorisierte Übersetzung des Tibet betreffenden Abschnitts (Teil 1): (Der gesamte Abschnitt Tibet steht unter http://www.igfm-muenchen.de/tibet/ICT/USStateDeptCountryReport.html)
Die USA anerkennen die Autonome Region Tibet (TAR) sowie die Autonomen Tibetischen Präfekturen (TAP) und Distrikte in anderen Provinzen als Bestandteile der Volksrepublik China. Der Bericht des Außenministeriums übernimmt diese Bezeichnungen. Die Erhaltung und Weiterentwicklung des einzigartigen religiösen, kulturellen und sprachlichen Erbes Tibets, sowie der Schutz der grundlegenden Menschenrechte bieten jedoch weiterhin Anlaß zur Besorgnis.
I. Achtung der Unantastbarkeit der Person
In den tibetischen Gebieten Chinas ist die Menschenrechtsbilanz weiterhin unerfreulich. Eine positive Entwicklung ist jedoch, daß die Regierung einen dritten Besuch der Gesandtschaft des Dalai Lama erlaubte und einige politische Gefangene, wie etwa die tibetisch-buddhistische Nonne Phuntsog Nyidron, freiließ.
Die Regierung behinderte den freien Informationsfluß in allen tibetischen Gebieten und überwachte streng den Zugang zu der TAR, womit sie es erschwerte, das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen richtig einzuschätzen. Die staatlichen Organe begingen weiterhin zahlreiche und schwerste Verstöße gegen die Menschenrechte, dazu gehören Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, Folter, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierung ohne öffentlichen Prozeß und langjährige Inhaftierung von Tibetern, die ihre politischen und religiösen Ansichten auf friedliche Weise zum Ausdruck gebracht hatten. Allgemein ist die Unterdrückung der Religionsfreiheit in der TAR nach wie vor gravierend.
Die Bedingungen in den außerhalb der TAR gelegenen tibetischen Gebieten waren im allgemeinen weniger restriktiv, obwohl es auch Ausnahmen gab. Personen, denen politischer Aktivismus vorgeworfen wird, wurden weiterhin schikaniert. Es gab Berichte über die Inhaftierung und Mißhandlung mehrerer Nonnen und Mönche, die politischer Aktivitäten beschuldigt werden. In einigen Gegenden wurden die Sicherheitsmaßnahmen an politisch brisanten Jahres- und Festtagen intensiviert. Aktivitäten, die als Vehikel für politischen Dissens angesehen werden, darunter auch die Begehung einer Reihe religiöser Feste, wurden unterdrückt. Aus einigen tibetischen Regionen gab es auch Berichte über politische Proteste kleineren Umfangs.
Da ein unabhängiger Zugang zu Gefangenen oder Gefängnissen nicht gewährt wurde, war es unmöglich, die genaue Zahl der tibetischen politischen Gefangenen zu eruieren und das Ausmaß und den Schweregrad der Mißhandlungen abzuschätzen. Das Tibet Information Network (TIN) schätzt, daß etwa 145 Tibeter aus politischen Gründen inhaftiert sind, wovon zwei Drittel Mönche oder Nonnen sind. Annähernd 60 politische Gefangene sind im TAR-Gefängnis in Lhasa inhaftiert. Die meisten von ihnen verbüßen Strafen wegen “konterrevolutionärer Aktivitäten”, einem Straftatbestand, der bei der Neufassung des Strafrechts von 1997 nicht mehr übernommen wurde. Taten, die bisher als konterrevolutionäre Straftaten verfolgt wurden, fallen jetzt nach Aussage der Regierung unter die Kategorie “Anti-Subversionsgesetze”. Der TIN-Analyse zufolge ist die Mehrzahl der tibetischen politischen Gefangenen in Lhasa sowie im Westen der Provinz Sichuan inhaftiert, wobei die Gesamtzahl der politischen Gefangenen in den tibetischen Regionen im Vergleich zu 2003 etwas zurückgegangen ist. Eine Ausnahme bilden die autonomen tibetischen Gebiete in der Provinz Sichuan, wo ihre Zahl im Zusammenhang mit einer Reihe von Fällen, die internationale Beachtung fanden, angestiegen ist.
Radio Free Asia (RFA) berichtete im Oktober, daß Polizisten in der Präfektur Golog in der Provinz Qinghai den buddhistischen Geistlichen Shetsul durch einen Schuß töteten, als dieser zusammen mit anderen Mönchen von ihnen verlangte, sie sollten die Behandlungskosten für ihre im Polizeigewahrsam erlittenen Verletzungen übernehmen.
Im Januar berichtete RFA über die Verhaftung der Studenten Nyima Dorjee und Lobsang Dorjee durch die Behörden des Distrikts Tawu, Präfektur Kardze, Provinz Sichuan; sie hatten an Regierungsgebäuden Plakate angebracht, auf denen die Unabhängigkeit Tibets gefordert wurde.
Am 12. Februar wurde Choeden Rinzen, ein junger Mönch aus dem Kloster Ganden, verhaftet, weil er ein Bild des Dalai Lama und eine tibetische Flagge besaß.
Im April berichtete RFA, daß die Behörden in der Präfektur Tsolho in Qinghai den tibetischen Sänger Namkha, sowie den tibetischen Mönch und Komponisten Bakocha festgenommen hätten, weil sie in deren Liedertexten politische Untertöne witterten. CDs mit ihrer Musik sollen beschlagnahmt worden sein. Die Musiker wurden Anfang Mai wieder freigelassen.
Im Mai berichteten die staatlichen chinesischen Medien über die Inhaftierung eines Tibeters mit dem Namen Penpa, der sich eines Sprengstoffanschlags schuldig bekannte, der am 20. Mai in der Nähe eines Fernsehturms bei Lhasa stattfand.
Im September berichtete RFA, daß in der Präfektur Kardze in Sichuan die beiden buddhistischen Mönche Chogri und Topden sowie der Laie Lobsang Tsering zu dreijährigen Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie Plakate angebracht hatten, auf denen die Unabhängigkeit gefordert wurde. Die drei sollen zu einer Gruppe von 60 Personen gehört haben, die am 27. Juli während einer religiösen Zeremonie im Kloster Chogri im Distrikt Draggo, Kardze, festgenommen wurden. Zeugen zufolge schlugen die Polizisten auf mehrere von ihnen ein. Es wird vermutet, daß die übrigen Personen noch vor Jahresende freigelassen wurden.
Ebenfalls im September verhafteten die Behörden in der Präfektur Nagchu, TAR, die Tibeter Dejor, Tsering Dawa und Datsok, nachdem diese sich wegen eines Bergbauprojekts mit chinesischen Arbeitern angelegt hatten. Ebenfalls festgenommen wurden Nyima Tenzin und Sonam Nyidup, weil sie durch das Rufen von Unabhängigkeitsparolen in einer Bar gegen die Inhaftierung der Vorgenannten protestiert hatten.
Am 24. Februar entließen die Behörden die buddhistische Nonne Phuntsog Nyidron ungefähr ein Jahr vor Ablauf ihrer Haftstrafe aus dem auch unter dem Namen Drapchi bekannten Gefängnis der TAR in Lhasa. Sie war zu neun Jahren Haft verurteilt worden, weil sie 1989 an einer friedlichen Demonstration zur Unterstützung des Dalai Lama teilgenommen hatte. Ihre Strafe wurde 1993 auf 17 Jahre verlängert, nachdem sie zusammen mit anderen Nonnen Lieder über ihre Liebe zu Tibet und ihre Verehrung des Dalai Lama aufgenommen hatte. 2001 wurde ihre Strafe um ein Jahr verringert. Wie von Human Rights Watch berichtet, wurde sie selbst nach der Entlassung in ihrer Bewegungsfreiheit und ihren Kontaktmöglichkeiten stark behindert.
Am 18. April entließen die Behörden den Mönch Ngawang Oezer aus dem TAR-Gefängnis, nachdem dieser seine 15-jährige Haftstrafe wegen Beteiligung an Unabhängigkeits-Aktivitäten im Kloster Drepung voll verbüßt hatte.
Im August bestätigten Beobachter die Entlassung der beiden Mönche Kunchok Choephel und Jigme Jamtruk aus dem Kloster Labrang Tashikyil in der Provinz Gansu. Die Mönche waren im April 2003 festgenommen worden, weil man Broschüren mit Reden des Dalai Lama bei ihnen gefunden hatte.
Im Oktober ließen die Behörden Sonam Phuntsog frei, einen Geistlichen aus dem Kloster Dargye im Distrikt Kardze, Präfektur Kardze, Provinz Sichuan. Er war 1999 verhaftet und wegen “Aufhetzung zum Spaltertum” sowie einer Reise nach Indien, um den Dalai Lama zu sehen, und wegen des Abhaltens von Gebetszeremonien für das lange Leben des Dalai Lama zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.
Das ganze Jahr über haben die Behörden alle internationalen Aufrufe zur Untersuchung des Falles von Nyima Dragpa ignoriert. Er war ein Mönch aus dem Kloster Nyatso in der Präfektur Kardze, Provinz Sichuan, der im Oktober 2003 in der Haft gestorben ist. Die vermutliche Todesursache sind die Verletzungen, die ihm durch schwere Schläge zugefügt wurden.
Am 15. Januar verstarb Yeshe Gyatso, früher Mitglied der Chinesischen Konsultativen Volkskonferenz, im Alter von 71 Jahren in seinem Haus in Lhasa. Die Behörden der TAR hatten ihn im Juni 2003 unter der Beschuldigung des Separatismus verhaftet und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Im November 2003 wurde er in sehr schlechtem Gesundheitszustand vorzeitig entlassen.
Für den populären religiösen Würdenträger Tenzin Delek Rinpoche, der im April 2002 wegen angeblicher Beteiligung an einer Reihe von Sprengstoffanschlägen verhaftet und mit einem zweijährigen Vollstreckungsaufschub zum Tode verurteilt wurde, stellten die Behörden in Übereinstimmung mit der chinesischen Rechtspraxis eine Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe in Aussicht.
Tenzin Deleks ehemaliger Mitarbeiter Lobsang Dhondup wurde jedoch am 26. Januar 2003 wegen der angeblichen Beteiligung an den Anschlägen hingerichtet, obwohl die chinesische Regierung zugesichert hatte, daß beide Angeklagte alle Instanzen anrufen könnten und ein Revisionsverfahren vor dem Obersten Volksgerichtshof – der höchsten Gerichtsinstanz auf nationaler Ebene – stattfinden würde.
Zahlreiche politische Gefangen befanden sich zum Jahresende immer noch in Haft, darunter der ehemalige Student Lobsang Tenzin. Er wurde 1988 in Verbindung mit dem Tod eines Polizisten, der während der Unruhen in Lhasa ums Leben kam, verhaftet und verbüßt derzeit eine 18-jährige Haftstrafe im Pome-Gefängnis in der TAR.
Der buddhistische Mönch Jigme Gyatso, der 1996 zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er eine tibetische Jugendorganisation gegründet hatte, sitzt im TAR-Gefängnis ein, desgleichen die Bauern Sonam Dorje und Lhundrup Dorje, die 1992 verhaftet und zu 15 bzw. 13 Jahren verurteilt wurden, weil sie eine tibetische Flagge entfaltet und Unabhängigkeitsparolen gerufen hatten. Weiter zu nennen sind die Mönche Kalsang Dondrup und Ngawang Dondrup; beide wurden 2003 wegen “Gefährdung der Staatssicherheit” verurteilt, weil sie gewaltlosen politischen Aktivitäten nachgegangen waren. Der 2002 nach sechseinhalb Jahren Haft entlassene Chadrel Rinpoche, der wegen Weitergabe von Informationen über die Ernennung des Panchen Lama verurteilt worden war, steht Berichten zufolge immer noch in der Nähe von Lhasa unter Hausarrest. Anfragen ausländischer Regierungsvertreter, die ein Treffen mit ihm wünschten, wurden wiederholt abgelehnt.
Wie auch im übrigen China wandte der Sicherheitsapparat beim Umgang mit Inhaftierten Folter und sonstige entwürdigende Maßnahmen an. Glaubwürdigen Aussagen der 2003 freigelassenen Häftlinge zufolge wendeten die Sicherheitskräfte Elektroschocks, lang andauernde Einzelhaft, Haft mit Kontaktsperre, Schläge und andere Arten von Mißhandlung an. Die im Mai 2003 aus Nepal nach China abgeschobenen Tibeter wurden mit Elektroschocks gefoltert, der Kälte ausgesetzt, brutal geschlagen und mußten schwere körperliche Arbeit leisten. Ihre Angehörigen wurden unter Druck gesetzt, damit sie Bestechungsgelder für ihre Freilassung bezahlen. Die Gefangenen wurden regelmäßig auf ihre politische Einstellung geprüft und bestraft, wenn sie den Anschein ungenügender Loyalität dem Staat gegenüber erweckten.
Der Rechtsschutz war für inhaftierte Tibeter derselbe wie im übrigen China und somit unbefriedigend sowohl von der Konzeption her als auch in der Durchführung. Die meisten Richter haben nur eine unzureichende oder gar keine juristische Ausbildung. Die Behörden versuchten diesem Problem Herr zu werden, indem sie vermehrt juristische Ausbildungsgänge anboten. Einem Amtsträger des Höheren Volksgerichtshofs der TAR zufolge haben alle sieben Stadtbezirke und Präfekturen Rechtsberatungszentren eingerichtet, in denen sich bis zum Jahresende insgesamt 1.248 Einwohner haben beraten lassen. Allerdings gab es für mehrere Personen, die politischer oder anderer Verbrechen angeklagt wurden, keinen Rechtsbeistand.
Überdies wurden ihre Prozesse nachlässig, und falls sie die Staatssicherheit berührten, unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt. Die Gesetze sehen für Verbrechen wie “Gefährdung der Staatssicherheit” und “Spaltung des Landes” Höchststrafen von 15 Jahren pro Anklagepunkt vor, wobei insgesamt 20 Jahre nicht überschritten werden dürfen. Meistens betrafen diese Fälle Handlungen, die als auf die tibetische Unabhängigkeit abzielend wahrgenommen wurden, wobei es keiner Gewalttätigkeit bedurfte, damit die betreffenden Aktivitäten als illegal eingestuft und mit langjährigen Haftstrafen geahndet wurden.
Eine nicht bekannte Anzahl von Tibetern verbüßen Strafen in Lagern für “Umerziehung-durch-Arbeit” oder andere Administrativhaftstrafen, die keiner rechtlichen Überprüfung unterliegen. Die Haftbedingungen in diesen Lagern für Administrativhaftstrafen wie zum Beispiel jenen für “Umerziehung-durch-Arbeit” sind den in den Gefängnissen vorherrschenden sehr ähnlich. Im Juli berichteten die staatlichen Medien über ein neu von den Behörden errichtetes Lager für “Umerziehung-durch-Arbeit” in der Präfektur Ngari im Westen der TAR. Das 40.000 Quadratfuß (= 3.716,12 qm) große Lager kann bis zu 200 Insassen aufnehmen.
Die Zwangsarbeit der Häftlinge in Tibet unterliegt im allgemeinen den gleichen Bedingungen wie im übrigen China. Sie ist in zahlreichen Gefängnissen, Haftzentren und Einrichtungen für “Umerziehung-durch-Arbeit” üblich, des weiteren werden Häftlinge in Fabriken als Zwangsarbeiter eingesetzt. Das Gesetz sieht eine Arbeitszeit von bis zu zwölf Stunden täglich und einen arbeitsfreien Tag alle zwei Wochen vor. Allerdings wurden diese Vorschriften oftmals nicht eingehalten.
Die Richtlinien zur Familienplanung gestehen Tibetern und anderen Minderheiten mehr Kinder zu als den Han-Chinesen. In der Stadt lebenden Tibetern, darunter auch Mitgliedern der Kommunistischen Partei, werden normalerweise zwei Kinder gestattet. Auf dem Land lebende Tibeter werden zur Begrenzung der Kinderzahl auf drei angehalten, jedoch nicht verpflichtet. Diese Vorgaben wurden nicht besonders streng umgesetzt. Dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zufolge sind im Lauf des Jahres 2.427 tibetische Flüchtlinge bei der UNHCR-Anlaufstelle in Nepal eingetroffen.
2.338 von ihnen wurden als “relevant” eingestuft, von denen wiederum 2.318 Hilfe vom UNHCR erhielten. Die verbleibenden 89 tibetischen Neuankömmlinge zogen weiter nach Indien, ohne daß ihre Fälle vom UNHCR bearbeitet oder registriert worden wären. Im August ließ ein für Tourismus zuständiger Beamter aus der TAR verlauten, in den ersten acht Monaten des Jahres seien ungefähr 400 Einwohner der TAR ins Ausland gereist ? 100 mehr als 2003. Wie viele Tibeter, besonders aus den ländlichen Gegenden berichteten, war es weiterhin schwierig, einen Paß zu bekommen. Die Antragsbearbeitung war in keiner Weise transparent, und Einwohner aus verschiedenen tibetischen Regionen berichteten über Probleme, die von bürokratischer Ineffizienz und Korruption bis zu Ablehnungen wegen der politischen Einstellung oder politischer Aktivitäten der Antragsteller reichten. Wie die Polizei in China mitteilt, sehen die entsprechenden Bestimmungen vor, Personen, deren Ausreise “die nationale Sicherheit oder nationale Interessen schädigen könnte”, die Ausstellung eines Passes zu verweigern.
Wegen dieser Schwierigkeiten sowie der Probleme, die viele chinesische Bürger, die zur tibetischern Ethnie gehören, hatten, ein Einreisevisum für Indien zu bekommen, war es für Tibeter schwierig, zu religiösen oder anderen Zwecken nach Indien zu reisen. Die Regierung schränkte die Freizügigkeit von Tibetern während politisch heikler Jahrestage und bei anderen besonderen Anlässen ein und verstärkte dann die Kontrollen in den Grenzgebieten dementsprechend. Dennoch besuchten Tausende von Tibetern aus China, darunter Nonnen und Mönche, Indien, indem sie über Drittländer einreisten, und kehrten nach Beendigung ihres Aufenthalts nach China zurück.
Im Februar berichtete RFA, daß es sich bei den meisten der durch Nepal nach Indien reisenden Tibeter um junge Menschen zwischen sechs und dreißig Jahren handle, und daß der Hauptgrund für ihr Verlassen des Landes der Mangel an tibetischsprachigen Bildungseinrichtungen und Gelegenheiten für eine religiöse Ausbildung sei.
Es gab Berichte über willkürliche Verhaftungen, wovon vor allem Mönche bei ihrer Rückkehr aus Nepal betroffen waren. Die Haftdauer betrug in der Regel mehrere Monate, obwohl es in den meisten Fällen zu keiner formalen Anklageerhebung kam. Sowohl im Januar als auch im September gab es Berichte über die Zusammenarbeit der nepalischen Regierung mit den chinesischen Behörden bei der Abschiebung von Tibetern, welche zuvor die Grenze überschritten hatten. Etlichen NGOs zufolge wurde eine Reihe von Personen bei ihrer Rückkehr nach China festgenommen und mißhandelt. So informierte das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) über die im Februar erfolgte Verhaftung der beiden Mönche Gedun Tsendue und Jamphel Gyatso, die nach ihren Studien in Indien nach China zurückgekehrt waren und in der Folge vier Monate lang inhaftiert und mit einer Geldstrafe von je 545 US-Dollar (4.500 Yuan) belegt wurden. Im Juli teilte RFA mit, daß die Mönche Tenzin Samten und Thubten Samdup fünf Monate im Nyari-Gefängnis in Shigatse inhaftiert waren, nachdem man sie bei der Überquerung der Grenze von Nepal nach China gefaßt hatte. RFA zufolge wurden die Mönche im Februar zusammen mit zwei weiteren Personen namens Sherab und Ngawang Namgyal verhaftet.
Auch die Reisen von Ausländern in die TAR wurden von der Regierung reglementiert. In Übereinstimmung mit einer Bestimmung von 1989 müssen Besucher aus dem Ausland (mit Ausnahme von Hongkong, Macau und Taiwan) eine offizielle Genehmigung bei der chinesischen Regierung einholen, bevor sie in die TAR einreisen dürfen. Die Mehrzahl der Touristen bekam diese Genehmigung automatisch, indem sie Reisen bei offiziell registrierten Agenturen buchte. Im Juli gaben die staatlichen Medien bekannt, ausländische Touristen hätten “uneingeschränkten Zugang zu allen 70 Distrikten der TAR”. Die Behörden der TAR konnten diese Änderungen jedoch nicht bestätigen, und Touristen berichteten, daß die meisten der Einschränkungen weiterhin in Kraft seien. Offizielle Besucher der TAR wurden streng überwacht, und Mitglieder solcher Reisegruppen hatten kaum die Möglichkeit, mit Einheimischen zu sprechen, es sei denn die Begegnung wurde zuvor von den Behörden gebilligt.
In den meisten tibetischen Gebieten außerhalb der TAR konnten Ausländer frei reisen. Im März hoben die Behörden die Einschränkungen für die letzten vier der bisher unzugänglichen Distrikte in der Präfektur Ngaba in Sichuan auf.
Übersetzung: Irina Raba, Adelheid Dönges, Angelika Mensching
zurück zur Übersicht