Tibet-Politik

Diesjähriger US-amerikanischer Bericht zur Menschenrechtslage klagt China wegen Misshandlungen in Tibet an
25. Februar 2004
Berlin – Das US-amerikanische Außenministerium veröffentlichte seinen jährlichen Länderbericht zur Menschenrechtslage. Der Bericht verfolgt das Verhalten der Regierungen während des vergangenen Jahres. Dabei stützt er sich vornehmlich auf die Informationen von US-amerikanischen Botschaftern. Es werden aber auch Informationen von Nichtregierungsorganisationen hinzugezogen. Der diesjährige Bericht erfasst erstmalig die Autonome Region Tibet (TAR) und die in die chinesischen Provinzen Qinghai, Yunnan, Gansu und Sichuan eingegliederten tibetischen Gebiete in dem einheitlichen Abschnitt „Tibet“. In Folge dieser neuen Form der Berichterstattung hat sich ein wesentlicher Teil der im Bericht hervorgehobenen Menschenrechtsverletzungen in Orten außerhalb der TAR ereignet.
Der Bericht charakterisiert Chinas Menschenrechtslage in Tibet als "armselig". Es wird eine Situation beschrieben, in der "die Behörden weiterhin ernsthafte Menschenrechtsverletzungen begehen – unter anderem Hinrichtungen ohne rechtsstaatliches Gerichtsverfahren, Folter, willkürliche Verhaftungen, Gefängnishaft ohne öffentliches Gerichtsverfahren sowie ausgedehnte Haftstrafen für Tibeter, die friedlich ihre politischen oder religiösen Überzeugungen kundtun."
"Wer der Überzeugung ist, die Einhaltung der Menschenrechte sei ein unvermeidliches Nebenprodukt des zunehmenden sozialen und wirtschaftlichen Kontakts zwischen China und freien Staaten, der sollte diesen und andere Berichte aus Tibet aufmerksam lesen. Was die Menschenrechte in Tibet angeht, hat die Theorie der Einflussnahme versagt", stellt Frau Dr. Gudrun Henne, Geschäftsführerin der ICT-D, fest.
Der Bericht vom Jahre 2003 ist ein deutlicher Beweis, dass die chinesische Regierung in der Aufgabe, dem tibetischen Volk Menschenrechte zu gewähren und diese zu schützen, versagt hat. Es wird eine Situation beschrieben, in der Tibeter, die versuchen, ihre Identität zu bewahren, unter anderem durch die Ausübung jahrhundertealter religiöser Praktiken, als Staatsfeinde verstanden und zur Zielscheibe für Säuberungsaktionen gemacht werden.
"Gemeinsam mit dem Hauptbericht über China liefert dieser Bericht überzeugende Argumente, die die USA durch die Situation vor Ort dazu verpflichtet, im Rahmen der UN Menschenrechtskommission in Genf im kommenden Monat eine Resolution einzubringen, die Chinas Menschenrechtslage verurteilt", fährt Dr. Henne fort.

  • Im Folgenden einige besondere Menschenrechtsverletzungen als Auszug aus dem Bericht:
  • Lobsang Dondrub und sein buddhistischer Lehrer Tenzin Deleg wurden zum Tode verurteilt, nachdem sie mit einer Reihe von Bombenanschlägen in der Provinz Sichuan in Verbindung gebracht wurden. Ein rechtsstaatliches Verfahren wurde ihnen verwehrt, unter anderem erhielten sie keine angemessene Verteidigung. Lobsang Dondrubs Hinrichtung wurde unmittelbar nach der Bestätigung seines Todesurteils durch das Oberste Volksgericht von Sichuan vollstreckt. Das überregionale Oberste Volksgericht versäumte es, den Fall – wie zuvor ausländischen Regierungsvertretern versichert – nochmals zu prüfen. Dies erregte in der internationalen Gemeinschaft ernsthafte Sorge.
  • Die Mönche Kalsang Dondrub und Ngawang Dondrub wurden in der Provinz Qinghai wegen der „Gefährdung der Staatssicherheit" für ihre friedlichen politischen Aktivitäten verurteilt.
  • Kunchok Choephel Labrang und Jigme Jamtruk, zwei Mönche aus dem Labrang Tashikyil Kloster in der Präfektur Kanlho, Provinz Gansu, wurden verhaftet, weil sie Broschüren mit Reden des Dalai Lama besaßen.
  • Yeshi Gyatso, ein Mitglied der Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes und Dawa Tashi, Studentin an der Tibet University, wurden wegen Aktivitäten verhaftet, die "das Mutterland spalten, die Einheit der Völker untergraben und gegen die Verfassung verstoßen."
  • Fünf Mönche und ein Laienkünstler unbekannter Identität aus der Präfektur Ngaba in der Provinz Sichuan erhielten Haftstrafen zwischen einem und zwölf Jahren, weil sie in separatistische Aktivitäten verwickelt seien – unter anderem das Malen der tibetischen Nationalflagge, der Besitz von Bildern des Dalai Lama und die Verteilung von Materialien, welche die tibetische Unabhängigkeit fordern.
  • Nyima Dragpa, ein Mönch aus dem Kloster Nyatso, starb während seiner Haft. Berichten zufolge erlag er seinen Verletzungen, die er während der schweren Misshandlungen [im Dawu-Gefängnis in der Provinz Sichuan] erlitt.
  • Chadrel Rinpoche, der im Januar 2002 entlassen worden war – nach sechs Jahren und sechs Monaten Haft wegen der Weitergabe von Informationen über die Wahl des Panchen Lama – befindet sich noch immer unter Hausarrest in der Nähe Lhasas.
  • Der mangelnde Zutritt zu den Gefangenen für unabhängige Beobachter erschwerte es, die Anzahl der tibetischen politischen Gefangenen zu ermitteln oder das Ausmaß und die Schwere der Misshandlungen zu beurteilen. Das Tibet Information Network (TIN) schätzte, dass sich etwa 150 Tibeter aus politischen Gründen in Haft befanden, wovon bis zu 75 Prozent Mönche oder Nonnen sind.
  • Am 31. Mai setzte die chinesische Regierung erfolgreich die nepalesische Regierung unter Druck, 18 Tibeter, darunter mehrere Minderjährige, gewaltsam abzuschieben. Entgegen der gängigen Vorgehensweise wurde dem U.N. Flüchtlingshochkommissar (UNHCR) in Kathmandu der Zugang zu der Gruppe verweigert. Die Tibeter wurden in einen Bus verladen und zurück über die Grenze nach China gebracht, wo sie zunächst am Grenzposten und später in Shigatse inhaftiert worden waren. Berichten zufolge wurden sie gefoltert – unter anderem waren sie Elektroschocks, extremer Kälte, schweren Schlägen und harter körperlicher Arbeit ausgesetzt. Von ihren Familienmitgliedern wurden Bestechungsgelder erzwungen, um ihre Freilassung sicherzustellen.
  • Die Regierung kontrolliert weiterhin den täglichen Betrieb größerer Klöster.
  • Der Verfall der Qualität der religiösen Ausbildung in der TAR und in anderen tibetischen Gebieten ist weiterhin eine zentrale Sorge. Die Qualität und die Verfügbarkeit hochrangiger religiöser Lehrer in der TAR und in anderen tibetischen Gebieten war unangemessen. Viele Lehrer waren ins Exil ausgewandert, alte Lehrer wurden nicht ersetzt und Gelehrte in Tibet und in Gebieten außerhalb der TAR hatten Schwierigkeiten, die Erlaubnis für eine Lehrtätigkeit in der TAR zu erhalten.
  • Beamte gaben zu, dass Nonnen und Mönche sich weiterhin regelmäßig an ihren religiösen Orten obligatorischen politischen oder "patriotischen" Erziehungskampagnen unterziehen müssen. Die Regierungsbeamten behaupteten, die „patriotische Erziehungskampagne", die im Jahre 1996 begonnen hatte, sei vor dem Datum der Berichterstattung beendet worden.
  • Die Regierung bestand weiterhin darauf, dass Mitglieder der Kommunistischen Partei und hochrangige Regierungsbeamte an dem Parteikodex des Atheismus festhalten. Auch politische Routineveranstaltungen für Parteikader unterstützen weiterhin den Atheismus. Die Behörden übten außerdem durch politische Weiterbildungsveranstaltungen und Kündigungsdrohungen weiterhin Druck auf Angestellte des öffentlichen Sektors aus, ihre Loyalität zum chinesischen Mutterland unter Beweis zu stellen und von Aktionen abzusehen, die als direkte oder indirekte Unterstützung des Dalai Lama verstanden werden könnten. Angestellte des öffentlichen Sektors in der TAR wurden Berichten zufolge auch unter Druck gesetzt, ihre Kinder nicht zur Ausbildung nach Indien zu senden.
  • Die Behörden verstärkten ihre Anstrengungen, die Wahl und Ausbildung reinkarnierter Lamas zu kontrollieren.
  • Die Regierung bestand weiterhin darauf, dass Gyaltsen Norbu, der Junge, den sie im Jahre 1995 ausgewählt hatte, die Reinkarnation des 11. Panchen Lama sei. Die Regierung weigerte sich, den anderen Jungen, Gedhun Choekyi Nyima, die Wahl des Dalai Lama, anzuerkennen. Gedhun Choekyi Nyima verschwand 1995 im Alter von sechs Jahren. Am 5. August verkündete die Regierung, dass Gedhun Choekyi Nyima "inzwischen ein fleißiger Student" sei, verbot aber weiterhin seine Bilder und verweigerte jegliche Gesuche der internationalen Gemeinschaft, den Jungen besuchen zu dürfen, um seinen Aufenthaltsort und sein Wohlergehen zu bestätigen.
  • Im Jahre 2002 wurden viele im traditionellen tibetischen Stil errichtete Gebäude, die sich in dem von der UNESCO geschützten Stadtzentrum von Lhasa befanden, zerstört.
  • Obwohl die Regierung der TAR im März 2002 ein Gesetz verabschiedet hatte, das Tibetisch und Chinesisch gleichermaßen als offizielle Sprache anerkennt und die Weiterentwicklung des Tibetischen unterstützt, engte die dominierende Rolle der chinesischen Sprache in Regierungskreisen, dem Handel und der Ausbildung die Möglichkeiten junger Tibeter, ihre Muttersprache zu sprechen und zu lesen, stark ein. Die Analphabeten- und Semi-Alphabetenraten grenzten in manchen Regionen an die 90 Prozent.
  • Mangelernährung unter tibetischen Kindern war in den Gebieten der TAR noch immer weit verbreitet. Dies betraf besonders ländliche Gegenden und führte zu hohen Raten körperlicher Beeinträchtigungen unter Kindern.
  • Prostitution stellte ein zunehmendes Problem dar. Mangelnde Aufklärung über die Übertragung von AIDS und der wirtschaftliche Druck auf die Prostituierten, sich ungeschütztem Geschlechtsverkehr auszusetzen, machte eine Erhöhung der Ansteckungsgefahr für AIDS wahrscheinlich.
  • Das Tourismusbüro der TAR bestätigte, dass es eine Anzahl tibetischer Reiseführer entlassen habe, die in Indien oder Nepal ausgebildet worden waren. An ihrer Stelle wurden 100 Reiseführer aus anderen Provinzen in die TAR gebracht, um während der Touristensaison im Sommer zu arbeiten.
  • Die Übertragungen der tibetischsprachigen Sendungen von Voice of America, Radio Free Asia (RFA) und des Radiosenders Voice of Tibet aus Oslo wurden gestört. Wie RFA mitteilte, seien Tibeter für das Hören fremdsprachiger Radiosender eingeschüchtert und mit Geldstrafen belegt worden.
  • Die Unterdrückung durch soziale und politische Kontrolle engt weiterhin die Freiheiten der Tibeter ein und birgt die Gefahr, Tibets einmaliges kulturelles, religiöses und sprachliches Erbe zu untergraben.
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