Das Erdbeben in Tibet von Tsering Jampa

23.04.2010. In einem abgelegenen Kloster im Osten Tibets beten zwei Mönche für die Seelen der Verstorbenen während andere in den Ruinen der jahrhunderte Jahre alten Gebetshalle nach Überlebenden suchen. Die Opferzahlen des Erdbebens, das die tibetische Region Kham in der Volksrepublik China erschütterte, steigen täglich. Mehr als 2.000 Tote sind bis dato zu beklagen. Die Bilder von rotgekleideten Mönchen, die mit ihren bloßen Händen im Schutt nach Opfern suchen, die Bilder von Leichen und von Gebeten für die Verstorbenen legen indes eine tiefere Wahrheit offen, die in dieser Naturkatastrophe verborgen ist und die in den Kondolenzschreiben zahlreicher Länder an die chinesische Regierung weitgehend ausgeblendet worden ist.

Als die ersten Meldungen über das Erdbeben die Öffentlichkeit erreichten, war in den weltweiten Schlagzeilen die Rede von einem Erdbeben „im Westen Chinas“. Einige Medien nutzen die chinesische Schreibweise tibetischer Namen ihrer Interviewpartner oder von tibetischen Opfern. Eine Woche später ist vielen nicht bewusst, dass das Erdbeben tatsächlich die osttibetische Region Kham erschütterte. Eine Region, die auch von der Volksrepublik China als tibetische Region anerkannt wird und auch hauptsächlich von Tibetern bewohnt ist.

Dies ist keine Marginalie. Nicht nur sind Katastrophenhilfe und Rettungsarbeiten jetzt von essentieller Bedeutung, sondern auch etwas anderes, wie die tibetische Autorin Tsering Wangmo es formuliert: „Wir können den Menschen in Kyegu auch helfen, indem wir an sie mit ihren richtigen Namen erinnern.“

Von den Regierungen und Politikern, die Kondolenzschreiben an die chinesische Regierung richteten, darunter US-Außenministerin Hillary Clinton, der britische Außenminister David Miliband und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, haben lediglich zwei bemerkt, dass das Erdbeben tatsächlich tibetische Regionen erschüttert hat: Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und John Kerry, Vorsitzender des Foreign Relations Committee im US-Senat. Kondolenzschreiben wurden gerichtet an die chinesische Regierung, nicht aber an den Dalai Lama, obwohl er international als legitimer Vertreter des tibetischen Volkes anerkannt wird. Und gerade viele Tibeter in der betroffenen Region wünschen sich, dass er durch seine Anwesenheit moralischen und religiösen Beistand leisten kann. Seit den flächendeckenden Protesten in Tibet, die im März 2008 begonnen hatten, haben viele dieser Tibeter überdies ihre persönliche Sicherheit aufs Spiel gesetzt, um ihre Loyalität gegenüber dem Dalai Lama zum Ausdruck zu bringen.

Auch Jahrzehnte der Repressionen seit der Besetzung Tibets durch die chinesische Regierung und auch der Zuzug chinesischer Migranten vor allem in die urbanen Zentren haben die tibetische Identität in Kyegundo und anderen Teilen Khams nicht wesentlich beeinträchtigen können. Mehr als 95% der Bevölkerung in diesen Gebieten sind Tibeter.

Nicht nur der Verlust von Menschenleben ist zu beklagen, sondern auch die Auswirkungen des Bebens auf die tibetische Kultur, die auch ohne das Beben durch Chinas politische und strategische Ziele schon massiv gefährdet war. Zahlreiche entlegene uralte Klöster und religiöse Ansiedlungen befinden sich in der Region. Die Zerstörung von Klöstern, wie etwa des 1300 Jahre alten Klosters in Thrangu, vertieft das Gefühl der Tibeter von Verlust. Glaube und Verehrung des Dalai Lama sind fundamentaler Bestandteil tibetischer Identität, trotz der zunehmenden massiven Kontrolle und Einschränkungen der chinesischen Behörden.

Das Epizentrum des Bebens lag in einer dünn besiedelten ländlichen Gegend, rund 50 Kilometer westlich der Stadt Jyeku, dem Verwaltungssitz der Tibetisch Autonomen Präfektur Yushu (tibetisch: Kyedungu oder Jyekundu). Die Präfektur liegt in der chinesischen Provinz Qinghai, rund 800 Kilometer entfernt von der Provinzhauptstadt Xining. China hat die Bezeichnungen für die traditionellen „drei Regionen“ Tibets – Kham (östliches Tibet), Amdo (nordöstliches Tibet) und U-tsang (Zentral-Tibet, ungefähr die heutige Tibetische Autonome Region) von ihren Landkarten getilgt. Der größte Teil Qinghais indes, einschließlich das Erdbebengebiet, Teile der Provinzen Gansu, Sichuan und Yunnan sind offiziell zu Tibetisch Autonomen Landkreisen oder Präfekturen erklärt worden.

Das in der Region zahlreich stationierte Militär arbeitet jetzt nicht mehr zur Wahrung von „Stabilität“, sondern beteiligt sich an Nothilfe und Rettungsaktionen. Oftmals arbeiten Mönche Seite an Seite mit Soldaten der Volksbefreiungsarmee. Die Zahl der Mönche, die immer noch aus verschiedenen Regionen Tibets in die Gegend anreisen, ist beispiellos. Ebenso die Zahl der Tausenden von Tibetern, die ihre Häuser wenige Kilometer außerhalb der Stadt verloren haben und jetzt in notdürftigen Zelten untergebracht sind. Grundsätzlich versuchen die Behörden, aus Angst vor Protesten jede größere Ansammlung von Tibetern zu verhindern, aber dieses Mal gibt es keine andere Wahl.

Die chinesische Regierung hat signalisiert, wie politisch wichtig ihr die Hilfe für die betroffene Bevölkerung ist. Premierminister Wen Jiabao und auch Staatspräsident Hu Jintao haben die Region besucht. Peking will damit zeigen, dass der Staat Hauptakteur in den Rettungsbemühungen ist und sich um die Belange der Tibeter kümmert. In einer bemerkenswerten Erklärung sagte Chinas Top-Berater und hochrangiger Funktionär Jia Qinlin, dass die chinesischen Botschaften alle Auslandstibeter, die entweder für die Erdbebenopfer spenden oder selbst wegen Trauerfeierlichkeiten nach Tibet einreisen möchten, mit Wohlwollen begegnen sollten. Dies ist besonders bedeutend für im Ausland lebende tibetische Lamas, die zu ihren Heimatklöstern zurückkehren oder religiösen Zeremonien für die Gestorbenen beiwohnen wollen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Hilfsmaßnahmen des Staates von zentraler Bedeutung sind. Aber es ist ebenso wichtig, dass örtliche Nichtregierungsorganisationen und internationale Organisationen Zugang zum betroffenen Gebiet erhalten. Die Situation vor Ort ist äußerst angespannt. Berichte aus dem betroffenen Gebiet sprechen davon, dass örtliche Organisationen von den Behörden überwacht werden und dass keine Klarheit darüber besteht, ob ausländische Organisationen Zugang in die Region erhalten.

Die tibetischen Schriftstellerin Tsering Wangmo, die in der Region geboren worden ist und heute in San Francisco lebt, sagt: “Im Augenblick, in dem ich dies schreibe, werden die Verletzten über den kleinen Flughafen der Stadt Kyegu in die Krankenhäuser von Chengdu, Lanzhou und andere Städte ausgeflogen. Tausende von obdachlosen Tibetern und die kleine Gruppe von chinesischen Migranten nehmen eine Schüssel Fertigsuppe zu sich; viele Menschen suchen unter dem Schutt immer noch nach ihren vermissten Familienangehörigen. Das ist nur der Anfang einer langen und schwierigen Reise, für eine Gemeinschaft, die schon soviel durchleiden musste. Es ist meine Hoffnung, dass wir ihnen durch diese schlimme Krise hindurch helfen und es Hilfe für den Wiederaufbau ihrer Stadt und ihres Lebens geben wird.“
Der Beitrag von Tsering Jampa kann unter http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5498785,00.html im Original nachgelesen werden (chin.).
Tsering Jampa ist Geschäftsführerin der International Campaign for Tibet Europe in Amsterdam. 

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