Tibet-Politik

Aktuell: Neues Gefängnis bei Lhasa: spezielle Isolationstrakte zur strengeren Überwachung politischer Häftlinge
23. Januar 2006
Washington D.C./Berlin, 23. Januar 2006. In der Nähe von Lhasa ist ein neues und größeres Gefängnis, in dem Hunderte von Insassen, darunter auch Mönche, Nonnen und andere politische Häftlinge untergebracht wurden, in Betrieb genommen worden. Die International Campaign for Tibet erfuhr, dass eine Anzahl von politischen Gefangenen aus Drapchi in der Tibetischen Autonomen Region (TAR) in diese neue Anstalt verlegt wurde, die sich im Kreis Chushur (chin. „Qushui“) in der Nähe von Nyethang (chin. „Nidang“) an der südlichen Ausfallstraße von Lhasa in Richtung Shigatse befindet.
Die von den Chinesen als „Qushui Gefängnis“ bezeichnete Anstalt liegt in einer ländlichen Gegend südwestlich von Lhasa. Obwohl es dort seit den sechziger Jahren bereits eine Haftanstalt gab, wußten ausländische Beobachter bis jetzt nichts von ihrer Existenz. Ein ehemaliger politischer Gefangener, der das neue Gefängnis kennt, schilderte es ICT so: „Von außen schaut die Anlage sehr modern aus und viele der Einrichtungen sind neu. Aber innen ist sie äußerst hart und brutal für die Häftlinge – sogar im Vergleich zu Drapchi.“
Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak, inspizierte während seines zweiwöchigen Aufenthalts in der VR China, der am 5. Dezember endete, auch diese Anstalt. Er sagte, er habe dort mit Insassen gesprochen, die politischer Vergehen wegen inhaftiert sind und aus Drapchi verlegt wurden. Aus einer Quelle aus Tibet verlautet, viele Gefangene würden dort in Isolationshaft gehalten, und zwar in besonderen „Straf-Zellen“, die wegen des Mangels an Tageslicht und den unzumutbaren Bedingungen auch „finstere Zellen“ genannt werden. Die Verlegung in die neue Anstalt könnte auf das Bestreben der Behörden zurückzuführen sein, politische Gefangene getrennt von den anderen Häftlingen in den bisherigen Haftanstalten von Lhasa zu halten, oder auch auf die räumlichen Umstände in Drapchi.
Der gleiche politische Gefangene erklärte gegenüber der International Campaign for Tibet: „In Drapchi kann man von den Zellen aus den Himmel und manchmal auch die Berge sehen. Aber in der neuen Anstalt sind die Fenster so klein und so hoch angebracht, dass die Zellen beklemmender wirken. Sie befindet sich weit abseits der Stadt, womit bezweckt wird, die politischen Gefangenen in einer gewissen Entfernung von Lhasa und anderen Gefangenen zu halten, damit niemand ihre Stimmen hören kann“. Die Überwachung in der neuen Anstalt sei sogar noch schärfer als in Drapchi. Ins Exil geflohene Tibeter hatten seit 2004 Andeutungen über ein neues Gefängnis gemacht. Die Bewohner der Gegend beziehen sich auf die neue Anstalt als das „Gefängnis beim „Drolma Lhakhang“, einem Tempel an der Hauptstraße von Lhasa südwärts in Richtung Shigatse, während ihre offizielle Bezeichnung auf Chinesisch „Ni dang zhuang wa chang“ oder die „Nyethang (Nidang) Fabrik für Mauer- und Dachziegel“ zu sein scheint. Man nimmt an, dass schon seit 1960 auf diesem Gelände Häftlinge zur Fertigung von Ziegeln eingesetzt wurden.
Mindestens 25 politische Gefangene, auch Mönche und Nonnen, die wegen friedlicher Proteste ins Gefängnis gekommen waren, sollen im Sommer 2005 von Drapchi nach Chushur verlegt worden sein. Lobsang Tenzin, ein ehemaliger tibetischer Student, der jetzt Ende dreißig ist und dessen Todesurteil nach einer Mordanklage zuerst in lebenslänglich und dann in eine Haftstrafe von 20 Jahren umgewandelt wurde, ist einer der bekanntesten Gefangenen, die in diese Anstalt transferiert wurden. Augenscheinlich muss Lobsang Tenzin, der zuvor im TAR-Gefängnis No. 2 (Powo Tramo) in Kongpo (chin. Nyingtri) inhaftiert war, in der neuen Anstalt, in die er im Sommer verlegt wurde, Feldarbeit leisten. Lobsang Tenzin, dessen Haftstrafe am 26. April 2013 ausläuft, machte am 5. März 1988 bei einer Demonstration in Lhasa mit und war einer von fünf Tibetern, denen der Tod eines Polizeioffiziers während der Demonstration zur Last gelegt wird. Im März 1991 versuchten Lobsang Tenzin und sein Mithäftling Tenpa Wangdrag dem US Botschafter James Lilley, als dieser das Drapchi Gefängnis besuchte, einen Brief über die Verletzung der Menschenrechte zu übergeben. Beide wurden daraufhin geschlagen und in Isolationshaftzellen eingeschlossen, und nachdem andere Häftlinge gegen ihre Misshandlung protestierten, nach Powo Tramo verlegt.
Das Büro des UN-Sonderberichterstatters für Folter erklärten unlängst, dass diese Haftanstalt neu und die „Bedingungen viel besser als in Drapchi“ seien. Das Büro erklärte nicht, in welcher Hinsicht die Bedingungen besser sein sollen. Offizielle Besucher in allen Gefängnissen in der TAR werden streng von den Behörden kontrolliert, und es werden ihnen nur Einheiten vorgeführt, die für den Besuch eigens hergerichtet wurden. In einer entschiedenen Stellungnahme, die nach seinem Besuch in Peking veröffentlicht wurde, hieß es: „In seinen Interviews mit Häftlingen mußte der Sonderberichterstatter eine Atmosphäre der Furcht und der Selbstzensur feststellen, wie er sie bei seinen bisherigen Missionen noch nicht erlebt hatte.“
Von einigen Quellen wird das Chushur Gefängnis auch als „in der Nähe von Trisam“ liegend beschrieben. Trisam ist eine ebenfalls im Südwesten von Lhasa gelegene Anstalt zur „Umerziehung-durch-Arbeit“ (laojiao), in der politische Häftlinge bis zu vier Jahren eingesperrt werden. In einem Xinhua Bericht vom 14. April 2000 heißt es, dass die Gefängnisse Drapchi, Utritru und Powo Tramo für die „Handhabung, Erziehung und Reform von 2.200 Gefangenen“ zuständig seien. Utritru oder das Lhasa Gefängnis war in den letzten Jahren nicht besonders dafür bekannt, dass in ihm politische Häftlinge untergebracht wurden. Aber Ende der Neunziger wurde es erweitert und von einem Gefängnis auf Präfektur- zu einem auf Provinzebene befördert, und nach den friedlichen Gefangenenprotesten vom Mai 1998, die schwere Vergeltungsmaßnahmen und den Tod von mindestens acht politischen Gefangenen zur Folge hatten, wurden einige Häftlinge aus Drapchi dort in Isolationszellen gesperrt. Drapchi erfuhr im vergangenen Jahrzehnt ebenfalls eine Erweiterung.
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