Tibet-Politik

Der 10. Panchen Lama (1938-1989)
22. Dezember 2003
Hintergrund
Im 15. Jahrhundert errichtete der erste Dalai Lama in der tibetischen Stadt Shigatse westlich der tibetischen Hauptstadt Lhasa ein dynamisches Kloster namens Tashi Lhunpo. 200 Jahre später, als der 5. Dalai Lama noch ein kleiner Junge war, leitete der Abt des Klosters Tashi Lhunpo dessen spirituellen Werdegang als buddhistischer Mönch und Gelehrter. Die Geschichte besagt, daß der Dalai Lama beim Tode des Abtes das Kloster Tashi Lhunpo seinem verstorbenen Lehrer widmete und verkündete, daß dieser immer wieder reinkarniert werde und jeder dieser Nachfolger als der Halter der Panchen Lama-Linie – der Linie des "Großen Gelehrten" – anerkannt werde.
Über Generationen unterhielten der Panchen Lama und der Dalai Lama eine einmalige Lehrer-Schüler Beziehung, in der der Ältere der Mentor des Jüngeren war.
Der 10. Panchen Lama (1938-1989)
Der 10. Panchen Lama, Lobsang Trinley Lhundrup Choekyi Gyaltsen, war eine Schlüsselfigur im Kampf um die Erhaltung der tibetischen kulturellen und religiösen Traditionen und in der Förderung der tibetischen Autonomie unter der chinesischen Besatzung. Nach der chinesischen Annexion Tibets 1959 blieb er, im Alter von 21 Jahren, in Tibet und wurde von der Kommunistischen Partei Chinas zum amtierenden Vorsitzenden des Vorbereitenden Kommittees der Autonomen Region Tibet und später zum stellvertretenden Vorsitzenden der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes ernannt. Damit wurde er effektiv zur führenden Person in der Autonomen Region Tibet. Die Hingabe des 10. Panchen Lama im Kampf um Religionsfreiheit, einer verbesserten Bildung und der Akzeptanz der tibetischen Sprache als offizielle Sprache durch sensible Verhandlungen und offener Konfrontation mit der chinesischen Führung war nicht immer erfolgreich.
In seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender reiste der 10. Panchen Lama viel zwischen Tibet und Peking und dokumentierte die Lebensbedingungen der Tibeter unter der chinesischen Herrschaft. Seine Beobachtungen dieser Reisen bildeten die Grundlage seiner berühmten Petition der 70,000 Schriftzeichen, einer starken Kritik der chinesischen Politik in Tibet, die er 1962 Mao Zedong überreichte. Mao und die Partei reagierten heftig auf die Petition und innerhalb von zwei Jahren wurde der 10. Panchen Lama ohne Gerichtsverfahren verurteilt. Er verbrachte die nächsten 14 Jahre im Gefängnis oder unter Hausarrest.
Nach seiner Freilassung im Oktober 1977 kehrte der Panchen Lama in die Parteiführung zurück und setzte seine Bemühungen um Reformen und Modernisierung fort. Obwohl er oft seine öffentlichen Stellungnahmen fast unmerklich hinter der politischen Rhetorik der Zeit verschleierte, forderte er weiterhin offen die chinesische Führung heraus. In einer außergewöhnlichen öffentlichen Ansprache 1989 in Shigatse, äußerte sich der Panchen Lama weniger zurückhaltend. Er forderte die Erlaubnis zur Zusammenarbeit mit dem Dalai Lama in der tibetischen Politik und forderte offen die Tibetpolitik der chinesischen Führung heraus. Kurz nach dieser Ansprache gab die ‚China Daily’ weitere kritische Stellungnahmen heraus, die das internationale Image des Panchen Lama als Kritiker der chinesischen Regierung bestätigte: "Seit der Befreiung hat es sicherlich Entwicklung gegeben, aber der Preis für diese Entwicklung war größer als die Errungenschaften." (China Daily, 25. Januar 1989)
Der plötzliche Tod des Panchen Lama im Alter von 50 Jahren stellte einen großen Rückschlag für die tibetische Nation dar. Obwohl die Todesursache nicht klar war, hat es nie eine öffentliche Untersuchung gegeben. Seine Petition der 70,000 Schriftzeichen blieb fast 34 Jahre lang vertraulich und wurde erst vor kurzer Zeit außerhalb der innersten Kreise der Kommunistischen Partei zugänglich. Es hat sich als ein wichtiger Bestandteil der sino-tibetischen politischen Geschichte und der modernen tibetischen Denkweise erwiesen. zurück zur Übersicht

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