Tibet-Politik

Die Verfolgung buddhistischer Nonnen in Tibet

21. November 2003
In der politischen Widerstandsbewegung haben Nonnen eine weitaus bedeutendere Rolle eingenommen als ihre traditionelle Stellung innerhalb der tibetischen Gesellschaft oder ihr gegenwärtiger Bevölkerungsanteil vermuten lässt. Entsprechend wurden sie in zunehmendem Maße Festnahmen, Folter und langjährigen Haftstrafen unterworfen. Nonnen, die sich an Protestaktionen beteiligt haben, erklärten, ihre Position ausserhalb der Laiengesellschaft bringe sowohl ein grösseres Ausmaß an Freiheit mit sich als auch ein wachsendes Gefühl von Verantwortung, sich im politischen Widerstand zu engagieren – vor allem angesichts der Gefahren und des Leids, die politische Aktivitäten für abhängige Familienangehörige mit sich bringen würden.

Hintergrund

Seit dem 8. Jahrhundert sind Nonnen Teil des religiösen Lebens in Tibet. Traditionell waren sie in der tibetischen Gesellschaft und den buddhistischen Institutionen den Mönchen nicht gleichgestellt, nur selten nahmen sie einen Platz im lokal- oder nationalpolitischen Machtgefüge ein. Im Gegensatz zu den grossen Klosteruniversitäten waren Nonnenklöster kleiner, ärmer und boten keine Gelegenheit für höhere Studien der buddhistischen Philosophie. Einige Nonnen praktizierten außerhalb des institutionalisierten Systems, blieben zuhause oder suchten sich ihre Lehrer in Eigeninitiative. Häufig wurden Witwen oder Frauen, die als nicht heiratsfähig angesehen wurden, Nonnen. Doch ebenso verbreitet war es, dass viele Familien stolz darauf waren, ihre Tochter in ein Kloster zu geben. Anders als in den letzten Jahren traten Nonnen früher nicht aus politischen Motiven ins Kloster ein. Über Jahrhunderte hinweg war es ihnen nicht gestattet, alle geistlichen Weihen, die einen äusserst wichtigen Schritt im hierarchisch aufgebauten Klerus darstellen, zu empfangen. Demenstprechend konnten Frauen weder am Studium noch an den Prüfungen für den Geshe-Titel teilnehmen, der dem westlichen Doktortitel entspricht. Heute im Exil beginnen sich diese Strukturen zu wandeln.

Die Politik Der Chinesischen Regierung

Im wesentlichen sind Nonnen denselben Repressalien unterworfen wie Mönche, jedoch erlaubte die Abgeschiedenheit vieler Frauenklöster einer großen Zahl von Nonnen während weiten Teilen der achziger und beginnenden neunziger Jahre mit weniger Einschränkungen durch die Regierung zu leben. Dann jedoch begannen die chinesischen Behörden auch ihre Klöster strengen Kontrollen zu unterwerfen und forderten offiziell die Einrichtung von „Demokratischen Verwaltungskomitees“. Sie begrenzten die Zahl der in dem jeweiligen Kloster zugelassenen Nonnen und zwangen ihnen tiefgreifende politische Erziehungsmaßnahmen auf.
Seit Beginn der Kampagne zur „Patriotischen Erziehung" 1996 verlangt China, dass sich der Buddhismus an die sozialistische Gesellschaft anpasst und den wichtigsten Leitsatz dieser Kampagne befolgt: „Liebe die Nation, liebe die Religion". Im Kern bedeutet das die: (1) Denunzierung des Dalai Lama, (2) Anerkennung des von den Chinesen gewählten Panchen Lama, (3) Zustimmung, dass Tibet seit jeher ein unveräußerlicher Teil Chinas sei. Tatsächlich können diese Forderungen wegen der religiösen Gelübde und des persönlichen Glaubens von keiner tibetischen Nonne akzeptiert werden. Dennoch unterzeichnet ein Großteil von ihnen die verlangte Erklärung, um in den Klöstern bleiben zu können. Auch der Dalai Lama selbst hat Nonnen und Mönche gedrängt, sich der Forderung der Regierung nach Unterzeichnung dieser Dokumente nicht zu widersetzen.

Jüngste Entwicklungen

Als 1987 nationale Proteste in Lhasa ausbrachen, gehörten Mönche und Nonnen zu den stärksten Trägern dieser Bewegung. Durch wiederholte Demonstrationen in den Jahren von 1988 bis 1997 gaben Nonnen friedlich ihrem Wunsch nach einem unabhängigen Tibet und ihrer Verbundenheit mit dem Dalai Lama Ausdruck. Hunderte wurden festgenommen, die meisten von ihnen gefoltert. Etliche wurden wegen „aufhetzender konterrevolutionärer Propaganda" angeklagt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. In den Gefängnissen organisierten Nonnen zahlreiche Protestaktionen, was zu harten Schlägen, langer Einzelhaft und drastischen Strafverlängerungen führte. Von acht Nonnen ist bekannt, dass sie zwischen 1994 und 1998 infolge schwerer Mißhandlungen in Drapchi, dem Hauptgefängnis von Lhasa, gestorben sind.
In den späten neunziger Jahren wurden rigorose politische Kampagnen mit dem Wissen um unvermeidbar folgende Verhaftungen und brutaler Behandlung in den Gefängnissen kombiniert, um von vornherein von politischen Protesten abzuschrecken. In letzter Zeit sind erneut mehrere Nonnen festgenommen worden. Nonnen suchen weiterhin nach Wegen, ihre Religion selbst unter diesen Restriktionen zu praktizieren. Tausende schlossen sich der Klostergemeinschaft von Jarung Gar an, nahe der Stadt Serthar in Kham, bis chinesische Arbeitstrupps im Herbst 2001 einen Großteil der Wohnungen dort zerstörten – wegen angeblicher Zweckentfremdung der Gebäude – und hunderte von Nonnen heimatlos machten. Der Wunsch und die Hoffnung, außerhalb Tibets größere religiöse Freiheit zu finden, bewegt noch immer eine große Zahl von Nonnen zur Flucht.
Zur Folter werden Hunde eingesetzt, die sowohl Angst machen als auch verletzen sollen, Gefangene werden gedemütigt, indem man sie zwingt, sich zu entkleiden, man versengt ihre Haut mit glühenden Zigaretten und verletzt sie mit elektrischen Schlagstöcken an empfindlichen Stellen des Körpers, wie etwa den Augen, dem Mund, den Fußsohlen oder der Vagina. Gelegentlich wurde auch von Vergewaltigungen berichtet. Der jüngste Trend, politische Gefangene paramilitärischem Drill zu unterziehen, steht im Gegensatz zu den extremen körperlichen Belastungen, denen man früher Gefangene aussetzte, als sie stundenlang bewegungslos in unangenehmen Positionen ausharren mußten. Dies ist eine subtilere Form der Folter, die bei mangelhafter Leistung oder bei einem Zusammenbruch während der Übungen zu schweren Züchtigungen führen kann.
Ein besonders bedeutsamer Fall ist Ngawang Sangdrol, eine Nonne aus dem Kloster Garu nahe Lhasa, die derzeit eine 23jährige Haftstrafe verbüßt. Dies ist die längste Haftstrafe, die jemals einer tibetischen politischen Gefangenen auferlegt wurde. Sangdrol war 13 Jahre alt, als sie nach einer friedlichen Demonstration im August 1990 ohne Gerichtsverfahren zu einer einjährigen Strafe verurteilt wurde. Im Alter von 15 Jahren wurde sie erneut verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl das chinesische Recht Haftstrafen für Minderjährige verbietet. Mit Erwachsenen im Drapchigefängnis inhaftiert erhielt sie im Oktober 1993 eine zusätzliche Haftstrafe von sechs Jahren, weil sie patriotische Lieder gesungen und aufgenommen hat. Im Juli 1996 wurde ihre Strafe ein weiteres Mal um sechs Jahre aufgestockt wegen ihres Protests gegen die Kampagne zur „Patriotischen Umerziehung". Die Haftstrafe wurde im Oktober 1998 erneut verlängert, da sich Sangdrol im Mai 1998 an den Protesten im Drapchi-Gefängnis, bei denen mindestens fünf Nonnen starben, beteiligt hatte. Während ihrer Zeit in Drapchi war Ngawang Sangdrol schweren Schlägen und anderen Formen von Mißhandlung, sowie langen Perioden in Einzelhaft, ausgesetzt. Ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen bleiben eine ernste Sorge.

Aktualisierung September 2003

Auf Grund zahlreicher internationaler Interventionen, insbesondere der Schweiz, USA und Frankreich, wird Ngawang Sangdrol am 17. Oktober 2002 aus dem Drapchi-Gefängnis entlassen. Sie darf nicht in ihr Kloster zurückkehren und steht in Lhasa unter Hausarrest. Am 28. März 2003 darf sie aus gesundheitlichen Gründen in die USA ausreisen, wo sie heute lebt.
Im Drapchi-Gefängnis sind die Nonnen Jangchup Dolma (11 Jahre Haftstrafe) und Chogdrub Drolma (11 Jahre Haftstrafe) immer noch inhaftiert.

Wir Fordern

  • Die Entlassung aller Nonnen, die wegen gewaltloser Wahrnehmung ihres Recht auf Meinungsäußerung inhaftiert wurden
  • Die Untersuchung aller Anklagen wegen Folter und sexuellem Mißbrauch und die Veröffentlichung der Ergebnisse
  • Die Befolgung der gesetzlichen Mindeststandards bei der Behandlung von Gefangenen wie vorgegeben vom Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen
  • Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren und Offenlegung der Anklagepunkte und Indizien, auf denen strafrechtliche Verurteilungen basieren

Weiterführende Literatur

  • Anna Grimshaw, „ Ich hörte auf den Klang der Stille. Als Europäerin in einem Himalaya- Kloster", Freiburg 1994
  • Hanna Havnevik, „Tibetan Buddhist Nuns: History, Cultural Norms and Social Reality", Oslo 1989
  • International Campaign for Tibet, "A Season to Purge: Religious Repression in Tibet", Washington 1996
  • Steven D. Marshall, „Rukhag 3: The Nuns of Drapchi Prison", Tibet Information Network, London 2000
  • Janice D. Willis (ed), „Feminine Ground: Essays on Woman and Tibet", Ithaca NY 1987
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