20. Juni 2001
Kathmandu – Wie mehrere Augenzeugen berichten, haben Beamte aus Beijing und Chengdu tausende von Mönchen und Nonnen angewiesen, ein großes klosterähnliches Lager in Osttibet zu verlassen.
Während die Mönche und Nonnen ihr Lager verlassen, werden ihre Wohnungen zerstört, so dass weder sie noch andere zurückkehren können, um den weitläufigen Komplex wieder zu besiedeln.
Larung Gar ist kein Kloster sondern ein klosterähnliches Lager, dessen Bewohner aufgrund des mündlich weiterverbreiteten Rufs von Larung Gar aus eigenem Antrieb zugewandert sind. Die Mönche und Nonnen stammen aus allen Regionen Tibets und Chinas und bilden lose Gemeinschaften, die sich selbst versorgen müssen und keiner formalen Kontrolle eines Abtes unterstehen. Ergezogen jedoch wurden die Schüler von Khenpo Jigme Phuntsok, einem charismatischen Lehrer, der Larung Gar vor einem Jahrzehnt als Einsiedlerei oder als Bergklause mit einigen wenigen Schülern gegründet hatte. Khenpo Jigme Phuntsok und andere Lamas folgen einem traditionellen Lehrplan der buddhistischen Studien, den sie sowohl in Tibetisch als auch in Mandarin unterrichten.
Larung Gar ist ein Ort, an dem „die heilige Landschaft Tibets wieder belebt wurde" und "bildet einen Kontrast zum verfremdeten Zustand, in dem sich der institutionalisierte Buddhismus in vielen Teilen Tibets befindet", berichtet das 1998 erschienene Buch Buddhismus im Heutigen Tibet. Wegen der einzigartigen Möglichkeit, eine umfassende buddhistische Ausbildung zu erhalten, ist Larung Gar einer der wenigen Orte im tibetischen Hochplateau, der Schüler anzieht.
Die kürzlich eingetroffenen Beamten der chinesischen Regierung versuchen eine Obergrenze von 1.400 Mönchen und Nonnen durchzusetzen. Frühere Versuche von Regierungskadern, die Anzahl der Schüler in Larung Gar zu verringern, waren weitgehend erfolglos geblieben. Berichten zufolge rief Khenpo Jigme Phuntsok die lokalen Behörden während der Durchsetzung ihrer Maßnahmen auf, "den religiösen Glauben des Volkes zu schützen", wie es die Verfassung Chinas verspricht. Der hoch verehrte Lehrer wies die Regierungsbeamten außerdem darauf hin, dass er die Mönche und Nonnen weder rekrutiert noch nach Larung Gar eingeladen habe und es ihm daher nicht zustehe, sie zu bitten, das Kloster zu verlassen. Es liegen keine Berichte über politische oder „spalterische" Aktivitäten in Larung Gar vor.
Tibetische Politiker und Tibetologen betrachten die neuesten Begebenheiten als äußerst bedeutungsvoll, da Larung Gar in seiner Funktion als führendes Zentrum für buddhistische Ausbildung in Tibet und China stark beeinträchtigt wird. Es besteht auch Sorge über die Sicherheit von Khenpo Jigme und anderen Lehrern, die Vergeltungsmaßnahmen durch die Behörden ausgesetzt sein könnten.