Pressemitteilung: Sechs Monate nach dem Erdbeben in Tibet wächst Angst vor dem Winter / Wiederaufbau vernachlässigt Interessen der Tibeter – Neuer Bericht der International Campaign for Tibet
Berlin, 19. Oktober 2010 – Die International Campaign for Tibet (ICT) ist in großer Sorge um das Schicksal Tausender Überlebender des verheerenden Erdbebens, das am 14. April 2010 die tibetische Region Yushu in der Provinz Qinghai verwüstete und nach offiziellen Angaben 2.698 Tote forderte. Ein neuer englischsprachiger Bericht der International Campaign for Tibet, der unter dem Titel „The Kyegu Earthquake: Six Months On“, am 18. Oktober 2010 veröffentlicht wurde, schildert die prekäre Lage der Bevölkerung, die durch das Erdbeben mit einem Schlag fast all ihren Besitz verloren hatte. Besonders die Entscheidung der chinesischen Behörden, auf die Errichtung temporärer Unterkünfte für die obdachlos gewordenen Menschen zu verzichten, könnte drastische Auswirkungen haben. Nach Einschätzung von Vertretern der Nichtregierungsorganisation „Tibetan Village Project“, die vor Ort Hilfe leistet, ist ungeklärt, „wie Familien und Kinder den kommenden Winter überleben“ werden. Am kritischsten ist die Lage in der am stärksten betroffenen Stadt Kyegu, dem Hauptort der dünn besiedelten Region. Statt fester Unterkünfte bieten die Behörden den Menschen lediglich Zelte, die häufig außerhalb der Stadt aufgestellt werden. Wer sich aus Angst vor Enteignung weigert, sein Grundstück zu verlassen, erhalte Berichten zufolge überhaupt nichts. Dabei sind die Winter in der durchschnittlich etwa 4.000 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Region außergewöhnlich hart und lang.
Generell wächst die Angst in der zu 97 % von Tibetern bewohnten Region, dass die Regierung den Wiederaufbau nutzen könnte, um Fakten zu schaffen, beispielsweise um öffentliche Gebäude auf enteigneten Grundstücken zu errichten. ICT-Geschäftsführer Kai Müller dazu: „Es herrscht großes Misstrauen gegenüber den Behörden, denn Entwicklungsmaßnahmen in Tibet werden seit jeher ohne Beteiligung der Betroffenen geplant und umgesetzt. Offenbar droht dies auch bei den Wiederaufbaumaßnahmen in der Erdbebenregion.“ Aufgeschreckt wurden viele durch die Äußerungen eines Regierungsberaters, der ankündigte, aus Kyegu eine „ökologische Touristenstadt“ zu machen.
Nicht nur die tibetische Bevölkerung, auch Hilfsorganisationen werden von den chinesischen Behörden außen vor gelassen. In einigen Fällen wurden diese offenbar gezwungen, die Gelder, die sie von privaten Spendern erhalten hatten, nicht selbst im Sinne der Betroffenen zu verwenden, sondern sie an die Provinzregierung weiterzuleiten. Kai Müller: „Die Regierungen, die finanzielle Hilfen für die Erdbebenopfer zur Verfügung gestellt haben, sollten bei der chinesischen Seite nachfragen, wie ihre Mittel konkret verwendet wurden. Insbesondere sollten sie darauf dringen, dass die Pläne für den Wiederaufbau sich an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort orientieren.“
Der Bericht „The Kyegu Earthquake: Six Months On” vom 18. Oktober 2010 kann hier heruntergeladen werden
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Kai Müller
Geschäftsführer / Executive Director
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