Berlin, 10. Dezember 2018. Die Ursprünge des Systems der massiven Menschenrechtsverletzungen in der Uigurenregion Xinjiang (Ost-Turkestan) liegen in Tibet. Das belegt ein aktueller Bericht der International Campaign for Tibet (ICT). Wer das offenbar völlig enthemmte Vorgehen der chinesischen Behörden gegen die Volksgruppen der Uiguren und Kasachen verstehen wolle, solle einen Blick in die sogenannte Autonome Region Tibet (TAR) werfen, wo der aktuelle KP-Sekretär Xinjiangs Chen Quanguo von 2011 bis 2016 in gleicher Funktion tätig war. Dort habe der mächtigste lokale Vertreter der chinesischen Führung viele jener Unterdrückungstechniken entwickelt, die er nun in Xinjiang mit voller Wucht umsetzen lasse, so der Bericht.
Chens Modell basiert auf der Ansicht der chinesischen Regierung, dass ethnische Minderheiten wie Tibeter und Uiguren ein prinzipielles Risiko für die „nationale Sicherheit“ darstellten und somit extreme Maßnahmen erforderlich machten. Diese haben zum Ziel, die erwarteten Bedrohungen gar nicht erst entstehen zu lassen. Unausgesprochene Grundlage dieser Politik ist der Begriff der „ethnischen Schuld“. Fielen der repressiven Politik in Tibet früher vor allem Menschen zum Opfer, die man als aktive Dissidenten bezeichnen konnte oder die sich aus Behördensicht wenigstens in irgendeiner Weise „verdächtig“ gemacht hatten, indem sie etwa nach Indien gereist waren, ist dies nun nicht mehr notwendig. Es genügt, Tibeter bzw. inzwischen auch Uigure oder Kasache zu sein, um die Behörden zu „vorbeugenden“ Strafmaßnahmen zu veranlassen.
ICT-Geschäftsführer Kai Müller: „Nach Auffassung der chinesischen Behörden ist offenbar jeder Tibeter, ist jeder Uigure verdächtig. Aus dieser zutiefst diskriminierenden Politik folgen massive Menschenrechtsverletzungen. Die internationale Gemeinschaft muss die neue Qualität dieser Politik erkennen und deutlich kritisieren.“
Wie vielfach berichtet, halten die chinesischen Behörden in Xinjiang derzeit mindestens eine Million Angehörige der muslimischen Volksgruppen der Uiguren und Kasachen in sogenannten Umerziehungslagern fest. Nach Einschätzung der ICT handelt es sich dabei um die Weiterentwicklung einer Politik, die Chen Quanguo bereits während seiner Zeit in der benachbarten TAR betrieben hatte. Im Kern bestand und besteht diese aus einem massiv ausgebauten Militär- und Überwachungsstaat, der eingesetzt wird, um Ausdrucksformen kultureller und religiöser Identität zu unterdrücken.
Chens Modell, das dieser nun in Xinjiang weiterführt, versucht, die ethnischen Identitäten von Tibetern und Uiguren zu unterdrücken, indem sie dazu gezwungen werden, sich an die chinesisch geprägte Gesellschaft zu assimilieren. Diesem Zweck dienen der staatliche Sicherheitsapparat, in dem Folter weit verbreitet ist, Polizeiwachen, die teilweise im Abstand von nur 300 Metern errichtet werden, Gesichtserkennungstechnologie, mit deren Hilfe Angehörige der „ethnischen Minderheiten“ identifiziert werden können, sowie beispielsweise die Förderung von Mischehen zwischen Chinesen und Tibetern bzw. Chinesen und Uiguren.
Mittlerweile werden in Xinjiang weiterentwickelte repressive Maßnahmen auch in Tibet angewendet. So haben Chens Beamte in Xinjiang QR-Codes an von Uiguren bewohnten Häusern angebracht, um der Polizei sofortigen Zugriff auf die persönlichen Daten der dort lebenden Menschen zu ermöglichen. Die gleichen QR-Codes tauchten vor kurzem erstmals ebenfalls in Tibet auf.
Weitere Einzelheiten entnehmen Sie bitte unserem Bericht „The origin of the ‘Xinjiang model’ in Tibet under Chen Quanguo: Securitizing ethnicity and accelerating assimilation“.
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Die International Campaign for Tibet (ICT) setzt sich als weltweit größte Tibet-Organisation seit 30 Jahren für die Wahrung der Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes ein. ICT unterhält Büros in Washington, D.C., Amsterdam, Brüssel und Berlin sowie ein Rechercheteam in Dharamsala, Indien.