Berlin, 09.94.2020. In Tibet gilt es laut einer neu erlassenen Regelung als Verbrechen, Informationen über den Vorschlag des Dalai Lama für eine Autonomielösung – die sogenannte Politik des „Mittleren Weges“ – auszutauschen. Die Regelung trägt den Titel „Maßnahmen zur Meldung und Belohnung im Rahmen der Kampagne zur Beseitigung von Pornographie und illegalen Inhalten in der Autonomen Region Tibet“ und wurde bereits am 12. September 2019 erlassen, jedoch erst Ende März 2020 in den chinesischen Staatsmedien bekanntgemacht. Nach Einschätzung der International Campaign for Tibet (ICT) zielen die Maßnahmen vor allem darauf ab, die Tibeter gegeneinander aufzubringen und Meinungen, die von der chinesischen Staatspropaganda abweichen, zu kriminalisieren. Gemäß den neuen Maßnahmen belohnen die Behörden diejenigen, die Personen melden, die sich mittels „Veröffentlichung, Herstellung, Druck, Reproduktion, Verteilung, Verbreitung, Versand, Lagerung und Transport von Publikationen“ für ein „Groß-Tibet“, ein „hohes Maß an Autonomie“ oder den „Mittleren Weg“ einsetzen.
Die neuen Maßnahmen der Führung der sogenannten Autonomen Region Tibet (TAR) ergänzen eine entsprechende Regelung auf nationaler Ebene aus dem Jahr 2018 um spezifisch auf Tibet zielende Inhalte. Bereits diese landesweite Regelung war sehr breit angelegt und ermöglichte es den chinesischen Behörden, alle Publikationen, die im Widerspruch zur offiziellen Staatspropaganda formuliert waren, als illegal einzustufen und die Urheber zu bestrafen. Die neuen Maßnahmen in Tibet erklären beispielsweise in Kapitel II, Artikel 4 „Gefährdungen der nationalen Autonomie, Souveränität und territorialen Integrität“ ebenso für illegal wie „Angriffe auf die Strategien der Zentralregierung zur Verwaltung Tibets und die ethnische und religiöse Politik der Partei“. Jede „Verleumdung“ der chinesischen Kommunistischen Partei und der Staatsführung sowie „jede Infragestellung der Parteiführung und des sozialistischen Systems Chinas“ gelten den Maßnahmen zufolge als kriminell. Faktisch steht damit jegliche Kritik an Regierung und KP unter Strafandrohung. Die Regelungen befassen sich überdies mit Pornographie und Produktpiraterie und stellen diese offenbar mit der politischen Programmatik des Dalai Lama auf eine Stufe.
Besonders gravierend: Die Maßnahmen etablieren ein umfassendes Spitzelsystem und fordern zur Denunziation auf. Je nach Art der Information werden zwischen 1.000 und 600.000 Yuan (umgerechnet ca. 130 bis 78.000 Euro) für Spitzeldienste ausgelobt. Die Identität der Denunzianten kann dabei geheim gehalten werden. Es steht zu befürchten, dass dadurch bereits bestehende Spannungen und ein Klima des Misstrauens in Tibet weiter befördert werden.
Weitere Informationen können unserem englischsprachigen Bericht „Anti-porn measures criminalize discussion of Tibetan autonomy“ entnehmen.
Kai Müller
Geschäftsführer
Tel.: +49 (0) 30 27 87 90 86
E-Mail: presse(at)savetibet.de
Twitter: @savetibet
International Campaign for Tibet Deutschland e.V.
Schönhauser Allee 163
10435 Berlin
www.savetibet.de
Die International Campaign for Tibet (ICT) setzt sich als weltweit größte Tibet-Organisation seit 30 Jahren für die Wahrung der Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes ein. ICT unterhält Büros in Washington, D.C., Amsterdam, Brüssel und Berlin sowie ein Rechercheteam in Dharamsala, Indien.