Tibet-Politik

Kommentar: Tibet-Ausstellung in der Villa Hügel – beredtes Schweigen und das Verdrängen von Geschichte
1. September 2006
In Deutschland wird gegenwärtig kontrovers über den Umgang mit Geschichte und ihr Verdrängen diskutiert. Das Thema ist aber nicht allein ein deutsches. Aus Anlass des 40. Jahrestages der sog. Kulturrevolution in China erschienen in deutschen Medien zahlreiche Berichte über das verordnete Schweigen Chinas über diese Zeit. So stellt die Süddeutsche Zeitung das bemerkenswerte Projekt der im amerikanischen Exil lebenden Chinesin Wang Youqin vor. Mit einem Internetmuseum will die seit Jahrzehnten zur Kulturrevolution forschende Wang an die Opfer dieser beschönigend genannten „10 Jahre des Chaos“ erinnern.
Zur gleichen Zeit öffnet in Essen medienwirksam inszeniert die Ausstellung „Tibetische Klöster öffnen ihre Schatzkammern“. Selten hätten so beeindruckende religiöse Kunstschätze aus Tibet den Weg nach Deutschland gefunden. Die Ausstellung zeuge davon, dass auf dem asiatischen Hochland eine Hochkultur von Weltrang blühte, jubelt der Veranstalter, die Kulturstiftung Ruhr.
Ausgespart wird dabei allerdings völlig die Zerstörung der tibetischen Klöster und ihrer Reliquien. Kein Wort auch über die angespannte Menschenrechtslage und die massive Einschränkung der Religionsfreiheit in Tibet. Dies geschieht mit der Begründung, man wolle Politik aus dem Spiel lassen.
Dass Tibet im vorherigen Jahrhundert durch turbulente Zeiten gegangen ist, gehört heute beinahe zum Allgemeinwissen. 1949 rief der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chinas Mao Zedong die Volksrepublik China aus und befahl, dass Tibet von China einverleibt werde. Durch eine klassische Militärinvasion wurde dieses Ziel dann auch erreicht. Dass das tibetische Volk damit nicht einverstanden war, zeigte sich bald durch Unruhen und Aufstände. Bereits 1956 wurden osttibetische Klöster, z.B. in Lithang, in denen Zivilisten Schutz vor der chinesischen Armee gesucht hatten, von der Luft aus angegriffen und bombardiert. Damit begann auch die Zerstörung der religiösen Kulturgüter.
„Friedhof der Zivilisation“
Auf den Volksaufstand vom März 1959, als der Dalai Lama ins indische Exil fliehen musste, folgte eine große Zerstörungswelle. Da chinesische Verantwortliche Klöster als einen grundlegenden Bestandteil des alten Tibets identifizierten, wurden diese als gefährlich für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft eingestuft und folglich enteignet und zerschlagen. In seinem bekannten Bericht an die KPCh aus dem Jahre 1962 berichtete der Panchen Lama, der zweithöchste buddhistische Würdenträger des Landes und damals Vertrauter der chinesischen Regierung, dass buddhistische Kultgegenstände, Denkmäler und Gebäude fast vollständig zerstört worden wären. Nach ausgedehnten Reisen durch das Land schrieb er an Mao: „Die Zerstörer strengten sich an, die Buddha-Statuen, buddhistische Bücher und Monumente zu zerstören, sie warfen sie ins Wasser, auf den Boden, zerbrachen und schmolzen sie ein. Rücksichtslos zerstörten sie, wild und eilig, Klöster, buddhistische Heiligtümer, Mauern aus Mani-Steinen und Stupas und stahlen viele Ornamente sowie edle Gegenstände aus den Stupas. Da die staatlichen Aufkaufstellen beim Ankauf von Nichteisenmetallen keine Unterschiede machten, kauften viele jene Buddhastatuen, Stupas und Opfergefäße und waren bereit, die Zerstörung dieser Dinge zu unterstützen.“ Der Bericht führte dazu, dass der Panchen Lama für 14 Jahre in Haft musste.
Noch verheerender wurde die Situation während der Kulturrevolution (1966-1976). Als Tibet Ende der siebziger Jahre für westliche Reisende langsam geöffnet wurde, war der BBC-Korrespondent Mark Brain einer der ersten Besucher. Sein Urteil über die Lage: „Im heutigen Tibet zu reisen ist wie über den Friedhof einer Zivilisation zu fahren“, ferner verglich er die Zerstörung in Tibet mit der in Dresden und Hiroshima im Zweiten Weltkrieg.
Was heute in Essen gezeigt wird, ist nur ein winziger Bruchteil dessen, was einst in Tibet als kulturelles und heiliges Gut existiert hat. Was war es, dass die in der Villa Hügel ausgestellten Schätze vor der Kulturrevolution bewahrt hat? Es gibt nur wenige mögliche Erklärungen darüber, wie religiöse Güter in Tibet überlebt haben. Einige Klöster und Tempel wurden tatsächlich geschützt und viele heilige Objekte wurden in Höhlen oder in der Erde vergraben und versteckt. Außerdem blieben einige beschlagnahmte Objekte erhalten, weil man diese auf dem internationalen Kunstmarkt verkaufen wollte. Abgesehen von den wenigen Überresten sind viele Schätze durch sinnlose Zerstörungswut unwiderruflich verloren gegangen. Das gigantische Ausmaß dieser politisch motivierten Vernichtung ist noch lange nicht dokumentiert und dürfte unter dem Regime in Peking sicherlich nicht erforscht werden. Umso trauriger ist deshalb die Tatsache, dass dieser hochinteressante und heikle Sachverhalt in der Essener Ausstellung mit keinem Wort thematisiert, sondern völlig ausgeklammert wird.
Tibetologie und Propaganda
Viele der in Essen gezeigten Gegenstände fanden die Kunsthistoriker nicht an ihrem ursprünglichen Ort wieder, sondern viele Objekte stammen aus Museen, die früher in Tibet so nicht existierten. Einige stammen auch aus jenen Klöstern, zu welchen sie gebracht wurden, nachdem ihre Ursprungsklöster zerstört und nicht wiederaufgebaut wurden. Auch darüber schweigt die Ausstellung.
Was die freiwillige Aushändigung der Gegenstände betrifft, ist es offensichtlich, dass heute Mönche in tibetischen Klöstern die Schätze auf Wanderungen durch die Welt schicken, weil sie darin eine Chance sehen, die Welt über die buddhistische Religion in ihrem Land aufzuklären. Die heutige „Besitzerin“ von Tibet dagegen, denn die chinesische Regierung spricht tatsächlich von Tibet als „Besitz“, würde diese Ausstellung auf keinen Fall tolerieren, wenn die oben angesprochenen und für sie unangenehmen Informationen etwa zur Lage der Religionsfreiheit offen diskutiert würden. Somit wird die Ausstellung doch zu einer politischen Angelegenheit.
Warum ist die Ausstellung von chinesischer Seite gefördert worden? Die Antwort gibt uns Zhao Qizheng, der Direktor des „Auswärtigen Propagandabüros“ Chinas. Auf einer Konferenz im Juni 2000 erläuterte er die Möglichkeiten „wie wir die Tibetologie in der auswärtigen Propagandaarbeit besser nutzen können“. Da zu viele Ausländer der Parteimeinung zu Tibet kritisch gegenüberstünden, müssten neue Methoden im Kampf um die Meinungsherrschaft eingeführt werden. Zu den besten Waffen würden, so Zhao, ausländische Tibetologen gehören, da sie als objektiv und unbelastet angesehen werden.
Ein beinharter Schirmherr
Ein weiterer, möglicher Grund für die Realisierung der Ausstellung ist die Schirmherrschaft durch den chinesischen Staatspräsident Hu Jintao höchstpersönlich. Es ist schwer zu beurteilen, ob sich die Organisatoren bewusst sind, dass diese Geste für die Tibeter einem Schlag ins Gesicht gleichkommt. Das Curriculum Vitae Hus zeigt nämlich, dass er 1989 KP-Chef in Tibet war und damit Hauptverantwortlicher für die blutige Niederschlagung der Aufstände in Lhasa und die Verhängung des Kriegsrechts in eben dieser Stadt. Ausgerechnet dieser beinharte Kämpfer gegen die Religionsfreiheit wird zum Schirmherrn einer Ausstellung über tibetische Religion erkoren.
„Tibet öffnet seine Schatzkammern“ will unpolitisch sein und scheitert damit. Mehr noch: sein beredtes Schweigen über die Geschichte und Gegenwart auf dem „Dach der Welt“ muss dem Betrachter seltsam fremd erscheinen. Als wären Kulturrevolution und Zerstörung nicht geschehen und Menschen wie Wang Youqin und ihre Arbeit nicht vorhanden.
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