Bachelet-Reise,
Staatenerklärungen
und Expertenappell
Foto: Tom Page-CC-BY-SA-2.0
Es war ein Jubiläum ohne Glanz. Am 15. Juni sprachen im Genfer Friedenspalast UNO-Generalsekretär Guterres, UN Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet und eine Reihe von Staatenvertretern, um die 50. Sitzung des 2006 gegründeten UN-Menschenrechtsrates zu würdigen. Was von Guterres‘ kurzer Rede hängengeblieben sein dürfte, ist sein Loblied auf die scheidende UN-Hochkommissarin Michelle Bachelet, der er bescheinigte, denen „ohne Stimme eine Stimme“ verliehen zu haben.
Nach der desaströsen China-Reise Bachelets dürften Uiguren, Tibeter und viele andere, die von der KP Chinas verfolgt werden, das ganz anders sehen. Und in dieser Kritik dürften sie sich auch nach Bachelets Oral Update im Menschenrechtsrat bestätigt fühlen. Offenbar unbeeindruckt von der massiven Kritik an ihren Statements und den Fototerminen mit chinesischen Regierungsvertretern, wiederholte sie die menschenverachtenden Narrative der KP. Bachelet scheute nicht einmal davor zurück, die Internierungslager für Millionen von Uiguren in bester KP-Sprache als „berufliche Ausbildungszentren“ („Vocational Education and Training Centres“, VETC) zu bezeichnen.
Folgerichtig begrüßen die International Campaign for Tibet und andere zivilgesellschaftliche Organisationen Bachelets Ankündigung, nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Die Hochkommissarin hat während ihrer gesamten Amtszeit beharrlich zur Menschenrechtssituation in Tibet geschwiegen. Umso mehr unterstützt ICT die zuletzt in einem offenen Brief geäußerte Forderung von mehr als 60 Menschenrechtsorganisationen nach einem transparenten, leistungsbasierten und konsultativen Verfahren zur Auswahl des nächsten UN-Hochkommissars für Menschenrechte.
Menschenrechtsexperten bekräftigen Forderungen
Kurz vor Beginn der 50. Sitzung des Menschenrechtsrates hatten 42 UN-Menschenrechtsexperten eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie nochmals ihre bereits im Juni 2020 formulierte Forderung nach einem besonderen Mechanismus zur Untersuchung und Berichterstattung über die Menschenrechtslage in China bekräftigten. Mit Blick auf die Chinareise der UN-Hochkommissarin betonte die gemeinsame Erklärung, dass „das Engagement auf hoher Ebene“ kein Ersatz für die „dringende Notwendigkeit einer vollständigen Bewertung der Menschenrechtssituation im Land und insbesondere in der Autonomen Uiguren-Region Xinjiang, in der Autonomen Region Tibet und in der Sonderverwaltungszone Hongkong“ sein könne.
Aus Sicht von ICT ist die hier vorliegende Beschränkung der Experten auf die sogenannte „Autonome Region Tibet“ zu bedauern, da diese nicht die tibetischen Gebiete in den Provinzen Sichuan, Qinghai, Gansu und Yunnan einschließt und somit nur ungefähr die Hälfte des historischen Tibet umfasst. Die Lage der Menschenrechte in diesen tibetischen Gebieten unterscheidet sich jedoch nicht wirklich von der in der TAR, die unterschiedliche Betrachtung erscheint insofern willkürlich.
Bezeichnend bei alledem: von der UN-Hochkommissarin war weder im Juni 2020 noch jetzt auch nur ein Wort der Unterstützung für die Erklärung der Menschenrechtsexperten zu hören.
Die Hochkommissarin stellte in ihrem Bericht vor dem Menschenrechtsrat fest, sie habe in Gesprächen mit der chinesischen Führung konkrete Bedenken hinsichtlich der Menschenrechtslage in Xinjiang, Tibet und Hongkong vorgebracht und Folgemaßnahmen wie einen gemeinsamen jährlichen Austausch zum Thema Menschenrechte erörtert. Als Reaktion darauf äußerten die Europäische Union und elf weitere Länder ihre Besorgnis über die Menschenrechtssituation in Tibet. Die Europäische Union und neun weitere Länder forderten vom Büro der Hochkommissarin außerdem die unverzügliche Veröffentlichung des Berichts über die Menschenrechtssituation in Xinjiang.
Staatenerklärung zu China
Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die von den Niederlanden im Namen von 47 Ländern abgegebene gemeinsame Erklärung, in der diese ihre große Besorgnis über die Menschenrechtslage in Xinjiang, Tibet und Hongkong zum Ausdruck brachten und Kritik an den Beschränkungen während der Chinareise der Hochkommissarin äußerten. Die 47 Länder forderten Bachelet auf, einen Zeitplan für die Veröffentlichung des zuvor angekündigten Berichts ihres Büros über Xinjiang vorzulegen. Noch im Oktober 2021 hatten lediglich 43 Staaten eine vergleichbare Erklärung zur Menschenrechtssituation in China unterstützt, in der Tibet und Hongkong jedoch überhaupt nicht erwähnt wurden. Im Gegenzug argumentierte Kuba im Namen von 69 Ländern, dass Xinjiang, Hongkong und Tibet „innere Angelegenheiten Chinas“ seien, in die nicht eingegriffen werden sollte.
NGO-Statements zu Tibet
Die International Campaign for Tibet gab in der 50. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates im Namen der Helsinki Foundation for Human Rights drei Erklärungen zu den Themen Bildung, Klimawandel sowie Meinungsfreiheit in Tibet ab.
Die erste Erklärung wies auf die Ausweitung eines Internatssystems der chinesischen Regierung hin, das mehr als 800.000 tibetische Kinder von ihren Familien trennt und damit eine chinesisch-sprachige Bildung erzwingt. Die UN-Mitgliedsstaaten wurden darin aufgefordert, Druck auf China auszuüben, damit diese Form der Bildungspolitik gestoppt wird. In der Erklärung wurde weiterhin die Befürchtung tibetischer Eltern erwähnt, dass „ihre Sprache, Kultur, Religion und Identität in einer Generation ausgelöscht werden“. Weiter heißt es in der Erklärung: „Chinas Internatspolitik ist diskriminierend und verstößt gegen mehrere internationale Menschenrechtsabkommen, darunter den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die Konvention über die Rechte des Kindes sowie Chinas eigene innerstaatliche Gesetze.“
Bemerkenswert ist, dass acht offenbar von der chinesischen Regierung beauftragte Scheinorganisationen (auch als Governmental Non Governmental Organisations oder GONGOs bekannt) Redezeit beanspruchten, um an der Debatte mit dem Sonderberichterstatter über das Recht auf Bildung teilzunehmen. Im Anschluss an die Diskussion machte die chinesische Delegation von ihrem Recht auf Gegendarstellung Gebrauch, um auf die im Namen der Helsinki Foundation for Human Rights und der Gesellschaft für bedrohte Völker abgegebenen Erklärungen zu antworten. In ihrer Antwort versicherte die chinesische Mission dem Rat, dass „die tibetische Sprache in ganz Tibet unterrichtet wird“, die Internate von tibetischen Schülern und Eltern geschätzt würden und die angesprochenen Nichtregierungsorganisationen an „separatistischen Aktivitäten gegen China“ beteiligt seien, die sich „nicht um Menschenrechte kümmern“.
Die zweite Erklärung richtete sich an den neuen Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Klimawandel und erläuterte, dass Tibet unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen ist, wobei die Temperaturen in der drittgrößten Eisquelle der Erde zwei- bis viermal schneller steigen als im Rest der Welt. Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass tibetische Umweltschützer trotz dieser Realität zum Schweigen gebracht und verfolgt werden.
Die dritte im Namen der Helsinki Foundation for Human Rights abgegebene Erklärung brachte zur Sprache, dass gewöhnliche tibetische Bürger „von der internationalen Gemeinschaft isoliert bleiben und nicht in der Lage sind, sich frei zu engagieren und unabhängige Medien, ganz zu schweigen von privaten Gesprächen.“
Autor: Kai Müller, Geschäftsführer der International Campaign for Tibet