Das war das
Tibet-Jahr 2022:
Ein kurzer Rückblick
Foto: Drog-ga
22 Ereignisse aus dem Jahr 2022
An dieser Stelle haben wir 22 wichtige Ereignisse des Jahres 2022 zusammengetragen. Die Liste ist natürlich keineswegs vollständig; ein solches Vorhaben würde bei Weitem den Rahmen sprengen, den wir uns – und Ihnen – hier zumuten wollen.
- Verstöße gegen die Religionsfreiheit
Das vergangene Jahr beginnt mit der bestürzenden Nachricht, dass die chinesischen Behörden im Dezember 2021 im osttibetischen Drango eine 30 Meter hohe Buddha-Statue sowie eine weitere große Buddha-Statue und 45 Gebetsmühlen abgerissen haben. Weitere Verstöße gegen die Religionsfreiheit folgen im Verlauf des Jahres 2022, darunter finanzielle Maßnahmen, die die Kontrolle tibetischer Klöster verschärfen, und ein Verbot tibetisch-buddhistischer Lehrer in der Stadt Yunfu in Guangdong.
- Olympische Spiele 2022 in Peking
Trotz eines diplomatischen Boykotts durch zahlreiche Länder beginnen am 4. Februar die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking. Gemeinsam mit weiteren Menschenrechtsorganisationen protestiert ICT in Berlin dagegen und fordert Regierungen, internationale Organisationen, Unternehmen und Medien zu einer konsequenten Menschenrechtspolitik gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas auf.
- Tibet ist das unfreieste Land der Welt
Im Februar veröffentlicht „Freedom House“ eine weltweite Rangliste der Freiheitsrechte, aus der hervorgeht, dass Tibet das am wenigsten freie Land oder Gebiet der Erde ist. Tibet teilt sich diese schmachvolle Position mit dem Südsudan und Syrien. Es ist das zweite Jahr in Folge, dass Tibet als das am wenigsten freie Land der Welt eingestuft wurde.
- Chinesen unterbrechen Tibet-Redner bei der UN
Vor dem UN-Menschenrechtsrat fordert Vincent Metten von ICT (im Namen der Helsinki Foundation for Human Rights) am 8. März Zugang zu Tibet und äußert sich besorgt über das Schweigen des Rates. Seine Erklärung wird von der chinesischen Delegation unterbrochen, die sich darüber beschwert, dass er „die Kommunistische Partei angreife“ und „gegen einschlägige Regeln und Vorschriften“ verstoße. Die Intervention bleibt erfolglos, die Sitzungsleitung lässt Metten seine Erklärung fortsetzen.
- Zwei weitere Selbstverbrennungen
Am ersten Märzwochenende stirbt der beliebte 25-jährige tibetische Sänger Tsewang Norbu, nachdem er sich Berichten zufolge Tage zuvor in der Nähe des Potala-Palastes in Lhasa selbst angezündet hat. Ende März stirbt ein 81-jähriger Tibeter namens Taphun, nachdem er sich vor einer Polizeistation außerhalb des Klosters Kirti in Ngaba in Brand gesetzt hat. Damit stieg die Zahl der Tibeter, die sich seit 2009 in Tibet und China selbst verbrannten, auf 159.
- Dialog für unsere Zukunft
Im April wirft der „Dialog für unsere Zukunft“ ein Schlaglicht auf die Klimakrise in Tibet. Die Konferenz in Dharamsala bringt den Dalai Lama mit Experten für Klima- und Systemwandel zusammen. Ziel der Veranstaltung ist es, darauf hinzuweisen, dass Tibet stärker vom Klimawandel betroffen ist als die meisten Regionen der Erde. Tibetische Aktivisten überreichen dem Dalai Lama dabei einen kleinen Block Gletschereis vom Kardungla-Pass in Ladakh.
- Sikyong-Besuch in Washington
In der letzten Aprilwoche besucht Sikyong Penpa Tsering Washington. Das demokratisch gewählte Oberhaupt der tibetischen Exilregierung trifft sich mit der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi mit Abgeordneten und Senatoren beider Parteien, mit der Sonderkoordinatorin für tibetische Fragen, Uzra Zeya, mit wichtigen Think Tanks in Washington sowie mit tibetischen und chinesischen Amerikanern vor Ort.
- Zugang zu Tibet
Im Anschluss an ein Gipfeltreffen in Deutschland geben die G7-Außenminister ein Kommuniqué heraus, in dem sie die chinesischen Behörden auffordern, „unabhängigen Beobachtern sofortigen, sinnvollen und ungehinderten Zugang zu Xinjiang und Tibet zu gewähren“. Zweiundvierzig UN-Experten schließen sich später der Forderung der G7 nach Zugang an. Einem Bericht des US-Außenministeriums von Anfang des Jahres zufolge hat China im Jahr 2021 Reisen von US-Diplomaten, Journalisten und Touristen in tibetische Gebiete „systematisch behindert“.
- Tibet-Sonderkoordinatorin besucht Dharamsala
Uzra Zeya, die Unterstaatssekretärin für zivile Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte, wurde im Dezember 2021 zur US-Sonderkoordinatorin für tibetische Angelegenheiten ernannt. Fünf Monate später besucht sie das indische Dharamsala, wo sie mit dem Dalai Lama und der tibetischen Exil-Führung zusammentrifft und dem tibetischen Volk die Unterstützung der USA zusichert. Wenige Tage später trifft Zeya auch mit tibetischen Flüchtlingen in Nepal zusammen.
- UN-Hochkommissarin besucht China
Zeyas Besuch in Dharamsala steht in krassem Gegensatz zu der Chinareise der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet. Nicht nur versäumt Bachelet es, in Tibet Station zu machen, – sie geht auch nur am Rande auf die dortige Situation ein -, sie verschafft auch Chinas kommunistischem Regime in einer umstrittenen Pressekonferenz am 28. Mai einen politischen Erfolg, indem sie in weiten Teilen die Positionen der KP übernimmt.
- Wang Yang besucht Tibet
Wang Yang, eines der sieben Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros und Vorsitzender der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes, besucht vom 25. bis 28. Mai osttibetische Gebiete, die verwaltungsmäßig zur Provinz Gansu zählen. In den staatlichen Medien wird der Besuch vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit dargestellt. Bei einer ähnlichen Reise vier Jahre zuvor hatten noch die Themen Entwicklung und Stabilität im Mittelpunkt gestanden. Dies zeigt anschaulich den Wandel der politischen Entwicklung in China in den letzten Jahren.
- Inhaftierung von Schriftstellern, Intellektuellen und Aktivisten
Die chinesischen Behörden verurteilen sechs tibetische Schriftsteller und ehemalige politische Gefangene zu Haftstrafen von vier bis 14 Jahren. Der prominente ehemalige politische Gefangene Jigme Gyatso erliegt seinem jahrelangen Leiden an diversen Krankheiten, die er sich in chinesischer Haft zugezogen hatte.
- ICT-Bericht zur Verfolgung tibetischer Umweltverteidiger
ICT veröffentlicht einen Bericht mit dem Titel „Environmental Defenders of Tibet: China’s persecution of Tibetan environmental defenders“. Dieser beschreibt insgesamt 50 Fälle tibetischer Umweltverteidiger, die seit 2008 verfolgt wurden und verdeutlicht gleichzeitig deren Bedeutung für den Erhalt der Umwelt und den Klimaschutz in Tibet. ICT fordert ein energisches Eintreten der internationalen Gemeinschaft für diese Tibeter und die Freilassung aller inhaftierten Umweltaktivisten in Tibet. Überdies müsse Tibets Rolle als Klima- und Umwelthotspot erkannt werden.
- Weltparlamentarierkongress zu Tibet
Parlamentarier aus 28 Ländern nehmen vom 22. bis 23. Juni an der vom tibetischen Exilparlament einberufenen 8. Weltparlamentarierkonferenz zu Tibet in Washington teil. Die Teilnehmer verpflichten sich, die Zusammenarbeit mit dem tibetischen Parlament zu gewährleisten. In der Abschlusserklärung bringen sie ihre anhaltende Unterstützung für die demokratischen Errungenschaften der Tibeter, ihr Engagement für Gewaltlosigkeit und ihre Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts mit China zum Ausdruck.
- Richard Gere Interview im indischen Fernsehen
Anlässlich des 87. Geburtstags des Dalai Lama gibt der internationale ICT-Vorstandsvorsitzende Richard Gere dem indischen Fernsehsender NDTV ein Interview. Gere spricht darin über den Dalai Lama, Tibet, China, die Vereinigten Staaten und die Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber China. Er betont, dass der Dalai Lama „nur über Frieden und Gewaltlosigkeit und Dialog gesprochen hat, alles sollte durch Dialog gelöst werden“.
- UN-Experte spricht über „Arbeitsprogramme“ in Tibet
Der „UN-Sonderberichterstatter über zeitgenössische Formen von Sklaverei“ geht in seinem Bericht neben den schon länger bekannten Fällen in der Uigurenregion Xinjiang (Ost-Turkestan) auch auf die sogenannten „Arbeitsprogramme“ in Tibet ein. Der Bericht spricht ausdrücklich von vergleichbaren Formen der Zwangsarbeit sowohl in Xinjiang, als auch in Tibet.
- COVID in Tibet
Nachdem chinesische Touristen angeblich einen COVID-19-Ausbruch in tibetischen Städten ausgelöst haben, verschlimmern unmenschlichen Restriktionen der chinesischen Regierung die Lage dramatisch. Die Situation spitzt sich so zu, dass mindestens fünf Tibeter in und um Lhasa Ende September Selbstmord begehen. Die Behörden von Lhasa geben am 17. September eine seltene öffentliche Entschuldigung ab, bringen zugleich aber die öffentliche Empörung der Tibeter weitgehend zum Schweigen.
- KP-Parteitag
Der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas, der vom 16. bis 22. Oktober stattfindet, legt die Prioritäten für die nächsten fünf Jahre fest. Parteichef Xi Jinping sichert sich eine beispiellose dritte Amtszeit und festigt seine Macht. Der Kongress signalisiert, dass das Tempo der Indoktrination und Assimilierung der Tibeter beschleunigt werden soll.
- ICT verleiht den Menschenrechtspreis „Schneelöwe“
ICT verleiht erstmalig den mit jeweils 3.000 Euro dotierten Menschenrechtspreis „Schneelöwe“ an den Anthropologen und China-Forscher Adrian Zenz und das Tibet Film Festival. Bei der Preisverleihung am 15. Oktober im Berliner Umweltforum hält das Oberhaupt der tibetischen Exilregierung in Dharamsala Sikyong Penpa Tsering die Festrede.
- Tibetische Parlamentarier bereisen Europa
ICT unterstützt die Europareise von drei Abgeordneten des tibetischen Exilparlaments. Die erste Station ist die tschechische Hauptstadt Prag, es folgen Besuche in Litauen, Schweden und den Niederlanden. In Prag nehmen die drei Abgeordneten an einer hochkarätig besetzten Konferenz teil, die von ICT mitorganisiert wird. Auch ICT-Geschäftsführer Kai Müller nimmt daran teil.
- Mutige Protestaktion in Lhasa
„Dorjee Tashi ist unschuldig!“ In einer mutigen Protestaktion fordert die Tibeterin Gontey Tashi vor dem Gebäude des Mittleren Volksgerichts in Lhasa die Freilassung ihres Bruders. Nach Informationen von ICT kann Gontey Tashi vor dem Gericht etwa 15 Minuten ihr Protestplakat hochhalten, bevor sie von Sicherheitsbeamten weggebracht wurde. Dorjee Tashi ist ein Geschäftsmann und Philanthrop, der als politischer Gefangener seit 2010 eine lebenslange Haftstrafe verbüßt. ICT fordert seit Langem seine bedingungslose Freilassung.
Eine kleine Vorschau auf das, was 2023 bringen kann
Besondere Beachtung verdient in diesem Jahr der Versuch, in den USA mehr Augenmerk auf den Tibet-Konflikt zu lenken und so einer Lösung näherzukommen.
So wird erwartet, dass die Mitglieder des US-Kongresses in diesem Jahr auf die Unterstützung des „Promoting a Resolution to the Tibet-China Conflict Act“ drängen werden, ein Gesetz, das die chinesische Regierung zur Wiederaufnahme des Dialogs mit den Gesandten des Dalai Lama im Hinblick auf eine Verhandlungsvereinbarung über die Zukunft Tibets drängen wird.
Wir hoffen, dass auch in Deutschland und Europa dieses Thema endlich die ihm zustehende Aufmerksamkeit erhält. ICT setzt sich weiterhin mit Nachdruck dafür ein, dass Bundestag und Bundesregierung sowie die Institutionen der EU und weitere europäische Staaten erkennen, welch enorme Bedeutung Tibet für das Verhältnis zur Volksrepublik China hat. Dies gilt selbstverständlich auch für unsere wichtige Arbeit zu den Vereinten Nationen.
ICT freut sich darauf, im Jahr 2023 mit allen Unterstützern Tibets zusammenzuarbeiten, um die tibetische Frage weiter in den Mittelpunkt zu rücken. Beharrlich versuchen wir unserem Ziel näher zu kommen, eine Lösung des Tibet-China-Konflikts durch Verhandlungen zwischen der chinesischen Regierung und Gesandten des Dalai Lama zu erreichen.