Tibeter wie den Menschenrechtsverteidiger und Sprachaktivisten Tashi Wangchuk treffen Auslandskorrespondenten bei von der chinesischen Regierung organisierten Journalistenreisen eher nicht.

Die Berichterstattung aus Tibet, Xinjiang, Hong Kong und der Volksrepublik China ist für Journalisten und Auslandskorrespondenten sicher eine ganz besondere Herausforderung. Im eigenen Land kontrolliert, überwacht und zensiert die Kommunistische Partei (KP) Chinas jede Form der journalistischen Berichterstattung, wo und wann immer es geht. China-Korrespondenten westlicher Medien können bis zu einem gewissen Grad kritisch berichten, aber gleichzeitig geraten ihre lokalen Mitarbeiter und Interviewpartner mit ihren Familien dabei täglich in Gefahr, von der Staatssicherheit verhaftet, eingeschüchtert oder bedroht zu werden. Ausländische Journalisten tragen auch dafür ein hohes Maß an Verantwortung.

Aus abgeschotteten Regionen wie Tibet lässt sich in den letzten Jahren hingegen häufig nur dann direkt berichten, wenn man zu den „Auserwählten“ für eine von der chinesischen Regierung organisierten Journalistenreise gehört. Hierbei ist den Teilnehmern in der Regel klar, dass die Propaganda-Abteilung der KP ihnen möglicherweise sorgfältig instruierte Gesprächspartner, Vorzeige-Projekte und aus ihrer Sicht besonders sehenswerte Spielorte präsentiert, die eher nicht auf Repressionen gegen die Bevölkerung oder die Missachtung von Menschenrechten deuten. Es sollte also für einen Vertreter der freien Presse selbstverständlich sein, dass er in diesem Fall den Rahmen seiner Berichterstattung deutlich benennt und dabei genau zuordnet, von wem welche Aussagen und Narrative stammen.

Wie unterschiedlich das aussehen kann, zeigten zuletzt Berichte von Reuters, Bloomberg, AFP, Stern, Neue Züricher Zeitung (NZZ) und – schon einige Jahre früher – der Süddeutschen Zeitung (SZ) aus dem Jahre 2013 mit einer Reportage von Kai Strittmatter. Im Gegensatz zu seinen Kollegen von Reuters, Bloomberg und AFP erwähnt NZZ-Reporter Matthias Müller mit keinem Wort, wie und unter welchen Umständen er aus Lulang im Südwesten von Tibet, der angeblichen „Schweiz Tibets“ berichtet. In dem Vorzeigestädtchen der chinesischen Tourismus-Behörde trifft er die tibetische Hotelbesitzerin Droma und fotografiert sie vor einem – vorgeblich freiwillig von ihr selbst gekauften – Portrait Xi Jinpings. In dem NZZ-Bericht lobt Droma den chinesischen Staats- und Parteichef für „seine Erfolge im Kampf gegen die Armut“ mit den Worten „Er hat uns ein besseres Leben ermöglicht“. Sie „blickt voller Zuversicht in die Zukunft“, schließt Müller in einer Bildunterschrift folgerichtig.

Weiterhin berichtet Müller, China habe die absolute Armut besiegt und Tibet profitiere von chinesischen Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Der NZZ-Reporter erzählt nicht nur die „Erfolgsgeschichte“ von Droma und ihrer Familie, die nicht einmal den Kredit an die Regierung zurückzahlen müsse, auch der tibetische Chemielehrer Tudan Qiangba ist voll des Lobes für Xi und die chinesische Regierung, die auch junge Tibeter am chinesischen Traum teilhaben lasse. Zu guter Letzt präsentiert Matthias Müller den 86-jährigen Qiangba Ouzhu, der mit seiner Ehefrau und 48 weiteren Tibeterinnen und Tibetern dank der Hilfe des chinesischen Staates glücklich und in Würde in einem Seniorenheim im Außenbezirk von Lhasa altern könne.

Martin Pollard von Reuters stellt indessen zuerst klar, dass es sich um eine der sehr seltenen Journalistenreisen der chinesischen Regierung nach Tibet mit einem Duzend weiterer Journalisten handelt, bei der ein tibetischer Mönch vor dem Jokhang-Tempel im Angesicht der allgegenwärtigen Überwachungskameras und unter den kritischen Blicken der anwesenden Regierungsbeamten wenig glaubhaft verkündet, dass Xi Jinping sein spiritueller Führer sei und dass er dies aus freien Stücken sage. Pollard beschreibt dabei genau, wie die chinesische Regierung Solidaritätsbekundungen von tibetischen Mönchen und Laien zu Xi Jinping und zur Partei inszeniert.

Auch der Bloomberg-Bericht nimmt die den Journalisten präsentierten Lobeshymnen nicht einfach hin, sondern hinterfragt kritisch, warum der Tibeter Sunnamdanba erklärt, dass er dank der KP ein viel besseres Leben führe, dass Religion für ihn nicht mehr so wichtig sei und dass er den Dalai Lama nie verstanden habe. Ebenso werden in dem Bericht Mechanismen, wie die von Xi Jinping propagierte Sinisierung des tibetischen Buddhismus, erläutert.

Till Bartels vom Stern weist in seinem Bericht genauso ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der Journalistenreise um eine „Propagandatour unter staatlicher Aufsicht“ handelt. Dabei greift Bartels, der selbst nicht nach Tibet gereist war, auf Fotomaterial der Agenturen AFP und Getty Images zurück, anhand dessen sich die einzelnen Stationen der Journalistenreise nachverfolgen lassen. Bartels erläutert zudem aus seiner Sicht, welche Ziele die chinesische Propaganda möglicherweise mit der jeweils gewählten Szenerie verfolgt.

Kai Strittmatter nennt die Journalistenreise nach Tibet, an der er 2013 für die SZ teilnahm, in seiner Reportage „Erleuchtung garantiert“ ironisch „Pekinger Pauschalreise“. Er beschränkt sich ebenfalls nicht darauf, die ihm von ausgesuchten Tibetern präsentierten Lobeshymnen auf die KP wiederzugeben, sondern geht auf die Realität in Tibet ein, die unter anderem von der Furcht vor weiteren Selbstverbrennungen tibetischer Mönche, Zwangsumsiedlungen tibetischer Nomaden und der Zerstörung der Umwelt durch Minen und Staudämme geprägt war. Die von Strittmatter angesprochenen Probleme sind auch heute noch mehr denn je aktuell.

Am Ende bleibt die Frage, warum Matthias Müller von der NZZ trotz seiner sechsjährigen Erfahrung als China-Korrespondent in seinem Bericht nicht erwähnt, unter welchen Umständen er die Interviews mit seinen Gesprächspartnern geführt und wer die Gesprächspartner „gesucht und gefunden“ hat?

Dem NZZ-Korrespondenten dürfte sicher bekannt sein, dass es in Tibet keinen Quellenschutz gibt und dass Tibetern im Falle einer kritischen Meinungsäußerung fast immer mehrjährige Haftstrafen drohen. Der Fall des Menschenrechtlers und Sprachaktivisten Tashi Wangchuk ist nur ein Beispiel dafür. Warum entschied sich Müller dennoch für die ungefilterte Widergabe der Lobgesänge auf Xi Jinping und die KP?

Einen faden Beigeschmack hinterlässt die in dem Artikel zitierte und von der Schweizer Botschaft in Peking mitfinanzierte Studie zur „Armutsbekämpfung“, in deren Vorwort Botschafter Bernardino Regazzoni das 70-jährige Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Volksrepublik würdigt, das von „gegenseitigem Respekt, einem konstruktiven kritischen Dialog und einer engen Zusammenarbeit“ geprägt sei. Kostenlose PR für eine Jubiläumspublikation der Schweiz, während zahlreiche andere Literatur zu konsultieren gewesen wäre. Etwa des Entwicklungsexperten Andrew Fisher oder der Soziologin Emily Yeh, und vielen anderen.

Inzwischen sollte allen China-Korrespondenten klar geworden sein, welche Strategie die Staatspropaganda der KP Chinas verfolgt, wenn sie gezielt ihre Narrative verbreitet. Das gilt gleichermaßen für vom Informationsbüro der Pekinger Zentralregierung organisierte Journalistenreisen nach Tibet, wie auch für zweifelhafte Formen der Einflussnahme und Zusammenarbeit chinesischer Staatsmedien mit renomierten ausländischen Medien.

Für die KP Chinas ist es von zentraler Bedeutung, wenn sie ihre Herrschaft über Tibet in der internationalen Presse damit legitimieren kann, dass sie die tibetische Bevölkerung vorgeblich aus der Armut befreit und ihr so Wohlstand und ein besseres Leben ermöglicht. Ein Auslandskorrespondent sollte hingegen die Frage stellen, warum die Tibeter das nicht selbst entscheiden und stattdessen über ihr Leben selbst bestimmen dürfen. Ebenso wäre es die Pflicht verantwortlich arbeitender Journalisten, es zu hinterfragen, wenn Parteikader der KP sich immer wieder herablassend, diskriminierend und rassistisch über die Tibeter und ihre angebliche Rückständigkeit äußern.

Autor: Telis Koukoullis, International Campaign for Tibet

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