Berlin, 20.04.2022. In einem Schreiben an die chinesische Regierung haben sechs UN-Sonderberichterstatter ihre Besorgnis um das Wohlbefinden des tibetischen Schriftstellers Lobsang Lhundup, des tibetischen Musikers Lhundrup Drakpa und der tibetischen Lehrerin Rinchen Kyi geäußert, die offenbar aufgrund ihres Engagements für den Erhalt der tibetischen Sprache und Kultur verhaftet wurden. Die UN-Experten seien vor allem darüber besorgt, dass die offenbar willkürliche Festnahme und das Verschwinden der drei Tibeter mit der Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung, künstlerische Freiheit und Teilnahme am kulturellen Leben zusammenhängen könnten. Die inhaftierten Tibeter hätten außerdem das Recht, ihre Kultur zu leben, ihre Religion auszuüben und in ihrer Gemeinschaft die eigene Sprache zu sprechen. Die UN-Sonderberichterstatter fordern in ihrem Schreiben die chinesische Regierung unter anderem auf, sich zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu äußern, Informationen über den Gesundheitszustand und den Aufenthaltsort der drei inhaftierten Tibeter sowie die Gründe für ihre Verhaftung bekannt zu geben.
„Wir begrüßen die Forderungen der UN-Sonderberichterstatter und teilen ihre Sorge um das Wohlbefinden von Lobsang Lhundup, Lhundrup Drakpa und Rinchen Kyi. Ihre Fälle stehen für viele Tibeter, die aufgrund von Kritik an staatlicher Politik, wegen ihres Bürgerengagements, ihrer religiösen Überzeugungen und der Ausübung ihrer Kultur verfolgt werden. Die Inhaftierten müssen Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten, ihren Familien muss ermöglicht werden, sie in der Haft zu besuchen und sie müssen angemessen medizinisch versorgt werden, falls dies notwendig ist. Die internationale Gemeinschaft muss sich weiterhin für ihre Freilassung einsetzen”, so ICT-Geschäftsführer Kai Müller.
Die UN-Sonderberichterstatter seien zutiefst besorgt angesichts von Berichten über einen Trend repressiver Maßnahmen, wie Festnahmen, verlängerten Haftzeiten oder Einzelhaft. Diese seien häufig gegen Tibeter gerichtet, die sich für die Förderung der tibetischen Kultur und Bildung engagierten oder Kritik an den chinesischen Behörden in Tibet übten. Die UN-Sonderberichterstatter appellieren an die chinesische Regierung, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Lobsang Lhundup, Lhundrup Drakpa und Rinchen Kyi nicht willkürlich ihrer Freiheit zu entziehen und ihnen gemäß Artikel 9, 10 und 11 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein faires Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht zu garantieren.
Die International Campaign for Tibet hatte zuvor wiederholt auf das besorgniserregende Repressionsmuster in Tibet hingewiesen, mit dem die chinesischen Behörden rücksichtslos abweichende Meinungen und unabhängiges Denken verfolgen.
Der 50-jährige Schriftsteller Lobsang Lhundup studierte als Mönch am Serthar-Larung-Gar-Kloster und arbeitete danach an verschiedenen Orten in Tibet als Lehrer für tibetische Geschichte, Sprache und Religion. Er veröffentlichte unter seinem Künstlernamen Dhi Laden mehrere Artikel und zwei Bücher. Sein erstes Buch „Unter Lebensgefahr geäußerte Worte“ erschien 2011 zum dritten Jahrestag der landesweiten Proteste von 2008. Sein 2015 veröffentlichtes zweites Buch mit dem Titel „Die Kunst des passiven Widerstands“ wurde ins Englische übersetzt und enthielt Kritik an den chinesischen Behörden in der sogenannten Autonomen Region Tibet. Er wurde 2019 festgenommen, während er an einer privaten Kultureinrichtung in Chengdu in der Provinz Sichuan unterrichtete und 2021 zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt.
Der 38-jährige Musiker und Sänger Lhundrup Drakpa ist bekannt durch sein Engagement für tibetische Kultur und Kunst. In seinen Liedern kritisiert er die Propaganda des chinesischen Regimes, die Zerstörung der tibetischen Umwelt sowie die drohende Auslöschung der tibetischen Sprache und fordert die Bewahrung tibetischer Identität und Tradition. Er wurde 2019 in Ost-Tibet von den chinesischen Behörden verhaftet, weil er seinen regierungskritischen Song „Black Hat“ öffentlich vorgetragen hatte und 2020 dafür zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.
Rinchen Kyi arbeitete als Lehrerin an der Sengdruk-Taktse-Mittelschule im osttibetischen Landkreis Darlag, als die chinesischen Behörden am 8. Juli 2021 ohne offizielle Begründung die Schließung der privaten tibetischen Klosterschule anordneten. Rinchen Kyi litt daraufhin unter Appetitverlust und gesundheitlich ging es ihr immer schlechter. Am 1. August 2021 verhaftete die chinesische Polizei die Lehrerin in ihrer Wohnung unter dem Vorwand der „Anstiftung zum Separatismus“, weil die Verweigerung von Essen , als Hungerstreik, gemäß Artikel 103 des chinesischen Strafrechts ein Verbrechen gegen die Staatssicherheit sei, das mit Haftstrafen von drei bis zehn Jahren bestraft werden könne. Die Lehrerin wurde zunächst für zwei Tage in ein Krankenhaus in Xining eingeliefert und anschließend an einen unbekannten Ort gebracht. Seitdem gibt es keinerlei Informationen über ihren Verbleib und ihr Wohlbefinden.
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