TIEFPUNKT OLYMPIA:

REPRESSION IN TIBET SEIT PEKING 2008

Foto: picture alliance/dpa/HPIC/Qianlong

Wenn am 4. Februar die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele 2022 in China stattfindet, werden seit den Olympischen Spielen 2008 in Peking fast 14 Jahre vergangen sein. In diesen Jahren hat sich das autoritäre Regime der Volksrepublik China in Tibet zahlreicher schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht. Deren Ausmaß und Schwere stellt die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees zugunsten der Volksrepublik China als Gastgeber der Spiele infrage. In Ermangelung konkreter, messbarer Reformzusagen seitens der chinesischen Regierung sollte das IOC der Volksrepublik China das Privileg zur Ausrichtung der Spiele wieder entziehen. Darüber hinaus sollten die Regierungen einen diplomatischen Boykott der Spiele durchführen und öffentlich dazu Stellung nehmen, dass die Volksrepublik China dringend die Menschenrechte in Tibet achten muss.

Angesichts der ständigen Übergriffe Chinas auf das tibetische Volk muss das IOC darüber nachdenken, ob die erneute Ausrichtung der Spiele durch China eine Billigung dieses Verhaltens darstellt. Chinas schändliche Bilanz spricht für sich selbst. Jetzt ist es an der Zeit, dass auch der Rest der Welt seine Stimme erhebt.

ICT Interimspräsident Bhuchung Tsering

Chinesische Sicherheitskräfte vor Kloster Kumbum in Tibet. Quelle: ICT

CHINAS HERRSCHAFT IN TIBET SEIT 2008

OLYMPISCHE SPIELE 2008: GEBROCHENE VERSPRECHEN

Während der Bewerbung um die Spiele 2008 versprach der Leiter der Olympiabewerbung der Volksrepublik China, Wang Wei, dass „wenn die Spiele, die nach China kommen, […] sich auch alle sozialen Bedingungen, wie Bildung, Gesundheit und Menschenrechte, verbessern“ würden. Wang versicherte den Journalisten, dass „wir den Medien völlige Freiheit für ihre Berichterstattung gewähren werden, wenn sie nach China kommen“.

Die Nichteinhaltung dieser Versprechen durch die Volksrepublik China wurde bereits im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 allgemein registriert. So berichtete ICT, dass trotz Chinas Versprechen „Menschenrechtsverletzungen weiterhin systematisch und weit verbreitet sind und es ein Wiederaufleben einer harten Politik gibt, die sich gegen die religiösen und kulturellen Traditionen Tibets richtet“. Eine Woche vor Beginn der Spiele stellte ein Bericht von Amnesty International fest, dass es „keine Fortschritte bei der Erfüllung dieser Versprechen gegeben hat, sondern nur eine weitere Verschlechterung“.

Der tibetische Aufstand von 2008, der im März begann, lieferte ein klares Beispiel für den Umgang des chinesischen Regimes mit den Menschenrechten. Als die Tibeter für Freiheit, Menschenrechte und die Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet demonstrierten, reagierten die chinesischen Sicherheitskräfte auf diese überwältigend friedlichen Proteste mit tödlicher Gewalt, brutaler Niederschlagung und einer Nachrichtensperre. Das IOC lehnte es trotz des Blutvergießens und der offensichtlich gebrochenen Versprechen ab, die geplanten Spiele zu verlegen. Diese Entscheidung hat angesichts der Ereignisse in den folgenden Jahren und der anschließenden Vergabe der Spiele 2022 an China noch mehr Gewicht bekommen.

Im Jahr nach den Olympischen Spielen 2008 ging die Volksrepublik China immer härter und systematischer vor, um die Tibeter zum Schweigen zu bringen und abweichende Meinungen zu unterdrücken. Die Behörden wiesen die Sicherheitskräfte an, jegliche Anzeichen von Unterstützung für den Dalai Lama zu „zerschlagen“. ICT konnte mehr als 600 tibetische politische Gefangene dokumentieren, die in diesem Zeitraum inhaftiert wurden. Die tatsächliche Zahl der von der chinesischen Polizei als Reaktion auf die Proteste entführten Personen ist sicherlich viel höher, aber da Journalisten aus Tibet ausgesperrt sind und eine Kultur der Angst und Einschüchterung herrscht, ist eine genauere Erfassung der Übergriffe der chinesischen Regierung nach wie vor unmöglich.

Im Jahr 2010 wurden tibetische Schriftsteller, Sänger und Pädagogen zur Zielscheibe des chinesischen Sicherheitsstaates. Dutzende Tibeter, die es wagten, die plumpe Propaganda der Volksrepublik China zu widerlegen und die Ereignisse von 2008 ehrlich zu diskutieren, wurden für ihre Äußerungen zu langen Haftstrafen verurteilt. Gartse Jigme, ein Mönch und Schriftsteller, erklärte:

„Als Tibeter werde ich niemals den Kampf für die Rechte meines Volkes aufgeben. Als religiöser Mensch werde ich niemals das Oberhaupt meiner Religion denunzieren. Als Schriftsteller bin ich der Kraft der Wahrheit und der Aktualität verpflichtet. Dies ist das Versprechen, das ich meinen tibetischen Mitbürgern mit meinem eigenen Leben gebe.“

Nach seiner Verhaftung im Jahr 2013 saß Jigme fünf Jahre lang im Gefängnis.

 

Gartse Jigme wird nach seiner Freilassung im Jahr 2018 gefeiert. Quelle: ICT

 

DRAMATISCHER PROTEST: SELBSTVERBRENNUNGEN IN TIBET

Angesichts des anhaltenden harten Vorgehens der chinesischen Behörden gegen Religion und traditionelle Kultur der Tibeter sowie gegen die freie Meinungsäußerung setzte sich 2009 ein junger Mönch namens Tapey aus Protest selbst in Brand. Mehr als 150 Tibeter sind seither seinem Beispiel gefolgt und haben sich selbst angezündet: Männer und Frauen, Junge und Alte, Mönche und Laien.

Bei extremer Unterdrückung und in einer Lage, in der traditionelle Formen des Widerspruchs unmöglich geworden sind, ist diese Form des Protests seit Jahrzehnten bekannt – außerhalb Tibets, vielleicht am deutlichsten während des Vietnamkriegs. Der Dalai Lama hat gesagt, dass ihn solche Handlungen traurig stimmen, und die Tibeter aufgefordert, darüber nachzudenken, ob sie nicht auf andere Weise ihrer Sache besser dienen könnten.

In Tibet erreichte die Welle der Selbstverbrennungen 2012 ihren Höhepunkt, seitdem hat sie sich abgeschwächt. Zum Teil liegt dies daran, dass die chinesischen Behörden Vorschriften erlassen haben, die auch das gesamte Umfeld der Protestierer, ihre Familie und ihre Gemeinden, kriminalisierten. Einige der mehr als 150 oben erwähnten Personen hinterließen Schriftstücke oder Tonaufnahmen, in denen sie ihre Beweggründe erläuterten. In ihrer Analyse dieser Erklärungen stellte die tibetische Schriftstellerin Tsering Woeser fest, dass die Selbstverbrennungsproteste als politische Aussagen dem entmenschlichenden politischen Umfeld trotzen, das China in Tibet geschaffen hat.

„Sie denken, wir hätten Angst vor ihren Waffen und ihrer Unterdrückung“, schrieb etwa Tenzin Phuntsok, „aber sie irren sich.“ Und Lama Sobha, eine prominente religiöse Persönlichkeit aus der Region Golog in Tibet, schrieb, dass er mit seiner Selbstverbrennung beabsichtige, „meinen Körper als ein Lichtopfer zu verschenken, um die Dunkelheit zu vertreiben“.

China reagierte auf den Ausbruch der Selbstverbrennungen mit weiteren Repressionen und Gewalt. Tapey wurde von der chinesischen Polizei erschossen, während er in Flammen stand; in anderen Fällen folgten Verhaftungen und „Verschwindenlassen“. In den offiziellen Medien startete die chinesische Regierung eine Verleumdungskampagne, um den Dalai Lama und „externe Kräfte“ für die Selbstverbrennungen verantwortlich zu machen, während chinesische Gerichte Scheinprozesse ansetzten, um Freunde und Familienangehörige der Protestierer wegen „Beihilfe“ oder „Anstiftung“ zu den Selbstverbrennungsprotesten zu verurteilen.

Eine Reihe von Vorschriften, wie sie beispielsweise im April 2013 in einem besonders betroffenen Gebiet erlassen wurden, bedrohten ganze Gemeinden mit finanziellen und anderen Strafen und verstießen damit gegen das in der Genfer Konvention verankerte Verbot von Kollektivstrafen.

POLITISCHE GEFANGENE: FOLTER UND STRAFFREIHEIT

Nach dem tibetischen Aufstand und den Olympischen Spielen 2008 in Peking griffen die chinesischen Behörden zu noch härteren Methoden, um abweichende Meinungen zu unterdrücken. Dies führte, wie bereits erwähnt, zu einem sprunghaften Anstieg der Zahl der politischen Gefangenen. Obwohl die Volksrepublik China Folter offiziell verbietet, ist sie in Tibet unter dem Deckmantel der Gewährleistung von „Stabilität“ selbst mit den gewaltsamsten Mitteln endemisch geworden und wird durch eine Kultur der Straffreiheit unter Beamten, paramilitärischen Truppen und Sicherheitspersonal begünstigt. Es scheint unter den Tibetern allgemein bekannt zu sein, dass sie gefoltert werden, wenn sie in Gewahrsam genommen werden, insbesondere wenn sie an politischen Protesten teilgenommen haben.

Im Jahr 2015 dokumentierte ICT die Fälle von 29 politischen Gefangenen, die gefoltert wurden, darunter 14, die an den Folgen ihrer Verletzungen starben. Eine vollständige Auflistung der tibetischen politischen Gefangenen seit 2008 würde den Rahmen eines einzelnen Berichts sprengen; die Zahl der von der chinesischen Regierung allein im Jahr 2008 Verschleppten lag bei über 1.200, und die Gesamtzahl in den letzten 13 Jahren ist wahrscheinlich wesentlich höher.

Zu den prominenten Fällen seit 2008 gehören gelehrte Mönche, die nicht wegen politischer Aktivitäten in Erscheinung getreten sind, Tierschützer, die mit den chinesischen Behörden aneinandergeraten sind, der Gründer einer literarischen Webseite, ein Sänger, der zur Einheit Tibets aufrief, ein Ladenbesitzer, der mit der „New York Times“ über seine Petitionen für mehr Unterricht in tibetischer Sprache sprach, ein Bauer, der Videointerviews mit tibetischen Mitbürgern führte und sie nach ihrer Meinung zu den Olympischen Spielen in Peking befragte, und eine Frau, die half, eine Geburtstagsfeier für den Dalai Lama mit Kuchen und Blumen zu organisieren.

Ein Bild von einer Feier zum Geburtstag des Dalai Lama. Die Teilnehmer an der Feier wurden zu bis zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie daran teilgenommen hatten. Quelle: ICT

Zwei besondere Fälle, die weltweite Bekanntheit erlangten, sind die von Tenzin Delek Rinpoche und dem 11. Panchen Lama Gendun Choekyi Nyima. Tenzin Delek Rinpoche, eine verehrte religiöse Figur aus Osttibet, war vor seinem plötzlichen Tod im Jahr 2015 mehr als ein Jahrzehnt lang im Gefängnis; seine Familienangehörigen sind ins Exil geflohen und haben eine Untersuchung der Umstände seines Todes in Haft gefordert. Der 11. Panchen Lama Gendun Choekyi Nyima galt 1995 mit seinem gewaltsamen „Verschwinden“ im Alter von 6 Jahren als jüngster politischer Gefangener der Welt. Trotz anhaltender Forderungen aus aller Welt nach seiner Freilassung hat sich China bis heute geweigert, auch nur einen Beleg dafür zu erbringen, dass er noch am Leben ist. In der Zeit von 2008 bis heute hat sich Gendun Choekyi Nyima somit vom jüngsten politischen Gefangenen der Welt zu einem der am längsten inhaftierten politischen Gefangenen der Welt entwickelt.

Im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen ist ein weiterer wichtiger Fall zu erwähnen. Im Jahr 2008, nur wenige Tage vor Beginn der Sommerspiele, wurde ausländischen Journalisten in Peking heimlich ein mutiger Dokumentarfilm mit dem Titel „Leaving Fear Behind“ vorgeführt. Dhondup Wangchen, ein tibetischer Filmemacher, und Golog Jigme, ein Mönch und Aktivist, verbrachten sechs Monate auf einer gefährlichen Reise durch die östlichen Regionen Tibets und befragten gewöhnliche Tibeter über die Unmenschlichkeit der chinesischen Herrschaft sowie über ihre Meinung zu den bevorstehenden Spielen. Obwohl der Dokumentarfilm erfolgreich ins Ausland geschmuggelt werden konnte, wurden sowohl Wangchen als auch Jigme verhaftet und gefoltert. Später gelang beiden schließlich die Flucht aus Tibet. Das IOC ignorierte Aufrufe, in ihrem Fall zu intervenieren.

SPRACHRECHTE: CHINA VERSUCHT, DAS TIBETISCHE AUSZULÖSCHEN

Nur wenige Themen bereiten den Menschen in Tibet größere Sorgen als die Zukunft der tibetischen Sprache. China verschärft seine Assimiliationspolitik und arbeitet mit Nachdruck daran, die Sprache auszulöschen. Die chinesischen Behörden nutzen jede sich bietende Gelegenheit, die Tibeter dazu zu drängen, stattdessen Mandarin zu verwenden. Untersuchungen haben beispielsweise ergeben, dass Mandarin bereits in 95 % der tibetischen Schulen, einschließlich der Kindergärten, als Unterrichtssprache verwendet wird. Einige Formen des gesprochenen Tibetisch werden wie eine Fremdsprache unterrichtet, während eine Reihe lokaler Sprachen, die in einigen Gebieten verwendet werden, überhaupt nicht unterrichtet werden. Privatschulen, die tibetischen Unterricht anboten, mussten schließen oder wurden angewiesen, den Unterricht auf Mandarin umzustellen.

Die chinesische Regierung ist sich sehr wohl bewusst, dass die Sprache die kulturelle Identität definiert und vermittelt, insbesondere in einer Tradition der mündlichen Überlieferung wie der tibetischen, in der das Auswendiglernen und Rezitieren wesentliche Merkmale der klösterlichen und wissenschaftlichen Arbeit sind. Einem Bericht von Radio Free Asia vom Oktober 2021 zufolge haben chinesische Beamte in Nordtibet selbst Mönche und Nonnen angewiesen, miteinander auf Chinesisch statt auf Tibetisch zu sprechen.

Die Tibeter haben versucht, sich gewaltlos gegen diesen Angriff auf das Rückgrat ihrer Zivilisation zu wehren. In den Jahren nach 2008 kam es in ganz Tibet zu Protestbewegungen, obwohl es unglaublich gefährlich ist, sich den chinesischen Behörden zu widersetzen. Aufrufe zum Schutz der tibetischen Sprache kamen von wortgewandten Schriftstellern, gebildeten Mönchen und jungen Studenten gleichermaßen. Als sich 2010 die Proteste gegen die Einführung des Mandarin in Nordtibet ausweiteten, schrieb ein anonymer tibetischer Blogger: „Eine Schrift ist das Lebenselixier einer Nationalität, sie ist ein grundlegender Katalysator für die Kultur einer Nationalität, und sie zeichnet den historischen Weg der Entwicklung einer Nationalität auf.“

Im Jahr 2016 wurde der Tibeter Tashi Wangchuk von der Polizei verhaftet. Er hatte versucht, die Bedeutung der Sprache hervorzuheben, weil er keinen Ort finden konnte, an dem seine beiden Nichten im Teenageralter weiter Tibetisch lernen konnten. Die Behörden hatten zuvor eine von Mönchen geführte informelle Schule in seiner Gegend gezwungen, den Sprachunterricht für Laien einzustellen. Sein Fall belegt auf anschauliche Weise, wie China alle Versuche, sich für den Erhalt der tibetischen Sprache einzusetzen, behandelt. Nachdem er von allen Behörden ignoriert worden war, sprach Tashi Wangchuk mit der „New York Times“ über seine Bemühungen. Prompt wurde er verhaftet, gefoltert und in einem uvon Anfang an unfairen Gerichtsverfahren verurteilt. Tashi Wangchuk wurde Anfang 2021 nach fünf Jahren Haft entlassen. Seine Besorgnis über die Verweigerung der Rechte der tibetischen Sprache bleibt ungehört.

RELIGIONSFREIHEIT: DIE CHINESISCHE KP BEANSPRUCHT DIE KONTROLLE ÜBER DEN TIBETISCHEN BUDDHISMUS

Verärgert über die Rolle, die buddhistische Geistliche beim tibetischen Aufstand 2008 spielten, gingen die chinesischen Behörden in den folgenden Monaten und Jahren hart gegen die Religion vor. Es wurden strenge Kontrollen von Mönchen und Nonnen, weitreichende neue Sicherheitsmaßnahmen in Klöstern und Einschränkungen für die Ausübung des tibetischen Buddhismus selbst eingeführt. Diese Restriktionen waren für das tibetische Volk sehr belastend; wohl kaum zufällig fand im Jahr 2009 die erste Selbstverbrennung in Tibet statt, kurz nachdem die chinesischen Behörden ein Gebetsfest abgesagt hatten, das an die im Jahr zuvor von der chinesischen Polizei getöteten Menschen erinnern sollte.

Beliebte religiöse Führungspersönlichkeiten wurden inhaftiert, wie etwa Khenpo Kartse, dessen Inhaftierung 2013 friedliche Proteste und eine stille Gebetsmahnwache auslöste. Trotz eines internationalen Aufschreis verbrachte Khenpo Kartse zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Die chinesischen Behörden nahmen wichtige buddhistische Einrichtungen wie das Larung-Gar-Institut ins Visier, wo sie Unterkünfte abrissen und Tausende von Mönchen und Nonnen zwangsweise vertrieben. Einige dieser Nonnen wurden später gezwungen, in einem Internierungslager Militärkleidung zu tragen und vor einem Publikum chinesischer Beamter zu singen und zu tanzen; Human Rights Watch urteilte später, die Aufführung habe wohl dazu dienen sollen, die Frauen zu demütigen.

Mönche und Nonnen sind zwar häufig Zielscheibe des Zorns der Volksrepublik China, doch ist dies nur ein Teil des Plans der Volksrepublik China, den tibetischen Buddhismus durch offene Unterdrückung und Kontrolle sowie durch den heimtückischen Prozess der „Sinisierung“, der erzwungenen Assimiliation einer eigenständigen Kultur an das chinesisch-kommunistische Modell, auszurotten.

Die anhaltenden Versuche der chinesischen Regierung, den Dalai Lama zu verleumden und diejenigen zu bestrafen, die auch nur das geringste Zeichen der Verehrung für ihn zum Ausdruck bringen, zeigen, wie weit die Kommunistische Partei Chinas bereit ist, bei der Verletzung der Religionsfreiheit zu gehen. Seit acht Jahrhunderten verbreiten die tibetischen Buddhisten ihre Lehren durch die Identifizierung der Reinkarnationen verehrter Führer, von denen der Dalai Lama der wichtigste ist. Diese Reinkarnationen werden durch eine Reihe überlieferter Prozesse und Verfahren ermittelt und stellen eines der charakteristischsten Merkmale des tibetischen Buddhismus dar.

Heute versucht das Regime der Volksrepublik China, diesen wichtigen Teil des tibetischen Buddhismus zu untergraben. Durch ein komplexes staatliches „Regelwerk“ wird von den Klostergemeinschaften verlangt, den Reinkarnationsprozess an die chinesische Regierung abzutreten. Um die volle Kontrolle über die religiösen Führer zu gewährleisten, verfügt die chinesische KP nun, dass die Suche nach reinkarnierten Lamas von Peking selbst genehmigt werden muss.

Die wichtigste tibetische Reinkarnation ist der Dalai Lama, und die VR China hat deutlich gemacht, dass sie sich über alle religiösen Präzedenzfälle – und den Willen der tibetischen Buddhisten selbst – hinwegsetzen wird, um nach seinem Tod eine eigene Marionette einzusetzen. Der Dalai Lama selbst hat erklärt, dass er möglicherweise der letzte in seiner Linie sein werde oder dass er sich für eine Reinkarnation außerhalb der Grenzen Chinas entscheiden wolle. Diese Aussagen wurden von China wütend angeprangert.

Chinas Angriffe auf den tibetischen Buddhismus sind auch heute noch allgegenwärtig. Im August 2021 wurden in der kleinen Stadt Dza Wonpo auf einen Schlag fast 60 Tibeter von der chinesischen Polizei verhaftet. Ihr Verbrechen? Sie hatten Fotos des Dalai Lama in ihrem Besitz.

DIGITALER AUTORITARISMUS: UNTERDRÜCKUNG IM 21. JAHRHUNDERT

Eine der bedrohlichsten Entwicklungen in Tibet seit den Olympischen Spielen 2008 ist die kombinierte Anwendung von Spitzentechnologie und einem massiven Aufgebot von Sicherheitskräften durch die Kommunistische Partei, um das tibetische Volk zu unterdrücken. Chen Quanguo, der Architekt von Chinas berüchtigtem System von Internierungslagern für Uiguren und andere muslimische Minderheiten in der Uigurenregion Xinjiang (Ost-Turkestan), war von 2011 bis 2016 als Sekretär der Kommunistischen Partei der sogenannten Autonomen Region Tibet (TAR) tätig. Während seiner Amtszeit begann Chen mit der Entwicklung des Systems intensiver Sicherheitsvorkehrungen und der Zwangsassimilation, das er später in Ostturkestan einführen sollte.

Erklärtes Ziel von Chens Programm ist es, „die Abstammung, die Wurzeln, die Verbindungen und die Ursprünge“ der Tibeter und Uiguren zu unterbrechen. Ein von Chen in Tibet durchgeführtes Überwachungsprogramm konzentrierte sich auf Personen, die als potenzielle „Probleme“ für die chinesische Regierung angesehen wurden. Eine von Chen geleitete Kampagne brachte mehr als 20.000 chinesische Beamte und Kader der Kommunistischen Partei in tibetische Dörfer, um deren Bewohner intensiv zu überwachen und „politisch umzuerziehen“. In jüngster Zeit wurden neue chinesische Richtlinien erlassen, die die Tibeter dazu zwingen, sich im Namen der nationalen Sicherheit Chinas gegenseitig zu bespitzeln. Ein Netz von Polizeistationen und eine ständige Videoüberwachung mit Gesichtserkennungssoftware sorgen dafür, dass auch diejenigen, die Zeugen verbotener Äußerungen oder Aktivitäten werden und diese nicht melden, in Verdacht geraten.

„Es geht jetzt über ein einfaches ‚Durchgreifen‘ hinaus und ist viel ausgefeilter und erschreckender“, sagte eine Quelle gegenüber ICT, nachdem sie mit einer Reihe von Tibetern aus verschiedenen Teilen Tibets gesprochen hatte. „Die Sicherheit ist unsichtbar und omnipräsent. Es sind nicht mehr nur bewaffnete Polizisten, die auf den Straßen patrouillieren. Oft wissen wir gar nicht, wer die Polizisten sind, da sie sich scheinbar in die Gesellschaft einfügen. Die Beamten kommen in unsere Häuser und fragen uns nach jedem Teil unseres Lebens.“

Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Wissenschaftler Adrian Zenz einen Bericht, in dem er ein groß angelegtes sogenanntes Arbeitsprogramm in der Autonomen Region Tibet dokumentierte, durch das allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 mehr als eine halbe Million ländliche Tibeter von ihrem Land in militärische Ausbildungszentren gezwungen wurden. Nach ihrer Zwangsausbildung wurden viele der Tibeter in andere Gebiete Tibets und Chinas geschickt, wo sie zu Niedriglöhnen in Fabriken und auf dem Bau arbeiten mussten. Als Reaktion auf die Ergebnisse von Zenz forderten mehr als 60 Parlamentarier aus 16 Ländern „sofortige Maßnahmen, um diese Gräueltaten zu verurteilen und weitere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern“. Die Parlamentarier wiesen darauf hin, dass das Arbeitsprogramm „erzwungene Indoktrination, aufdringliche Überwachung, militärische Durchsetzung und harte Strafen für diejenigen, die die Quoten für den Arbeitstransfer nicht erfüllen“ beinhaltet. Es habe erschreckende Ähnlichkeit mit dem Zwangsarbeitsprogramm in der Uigurenregion Xinjiang (Ost-Turkestan).

Ein anschauliches Beispiel für die Reichweite des chinesischen Überwachungs- und Polizeiapparats in Tibet: Tibeter, denen es gelang, die Volksrepublik China zu verlassen, um an einer großen buddhistischen Lehrveranstaltung des Dalai Lama in Indien teilzunehmen, wurden dort von der chinesischen Polizei einzeln kontaktiert und zur Rückkehr in ihre Heimat aufgefordert. Einige Jahre zuvor waren Rückkehrer von einer ähnlichen Veranstaltung mit dem Dalai Lama festgenommen worden; Hunderte von Tibetern, viele von ihnen ältere Menschen, wurden in Haftanstalten festgehalten. Religiöse Gegenstände wie Rosenkränze und Gebetsperlen wurden beschlagnahmt, und ein Tibeter aus Lhasa, der jetzt im Exil lebt, sagte, dass die Verhaftungen „unerträglichen psychologischen und finanziellen Druck auf Familien und Gemeinschaften“ ausübten.

Neue Technologien und Grenzsicherungsmaßnahmen haben es für Tibeterinzwischen fast unmöglich gemacht, in die Freiheit zu entkommen. Im Jahr 2007, dem Jahr vor den letzten Olympischen Spielen in Peking, flohen über 2.300 Tibeter aus Tibet. Im Jahr 2008 sank diese Zahl auf 588. Im vergangenen Jahr sank die Zahl auf fünf – ein Rückgang von 99,8 % in 13 Jahren.

 

Die Olympischen Winterspiele Peking 2022 sind für die chinesische Führung eine willkommene Gelegenheit, ihre Propaganda weltweit zu verbreiten. ICT appellierte gemeinsam mit weiteren Menschenrechtsorganisationen auch an die Olympiasender, ihre Übertragungsrechte nicht wahrzunehmen. Letztlich kamen diese der Forderung zwar nicht nach, doch immerhin haben im Rahmen der Olympiaberichterstattung auch durchaus kritische Beiträge ihren Weg in die Sportsendungen gefunden. So sendete das ZDF den Bericht „Chinas Umgang mit Tibet – Gastgeber China in der Kritik“, in dem auch ICT-Geschäftsführer Kai Müller zu Wort kommt.

 

Eine Strategie Pekings liegt in der Trennung der tibetischen Kinder von ihren Familien. Rund 80 Prozent sollen mittlerweile in Internaten leben, weit weg von den Eltern. Quelle: Screenshot ZDF

 SCHLUSSFOLGERUNG: EIN UNSICHTBARES NETZ WIRD IMMER ENGER GEKNÜPFT

Laut der aktuellen Rangliste von Freedom House ist Tibet heute zusammen mit Syrien das am wenigsten freie Land der Welt. Im Bericht „Freedom in the World 2021“ erreicht Tibet in der globalen Rangliste der Freiheit gerade mal einen von 100 möglichen Punkten.

Die chinesische Regierung scheint nicht gewillt zu sein, diese Situation in absehbarer Zeit zu ändern – zumindest nicht ohne größeren Druck seitens der internationalen Gemeinschaft -, denn seit 2010 weigern sich chinesische Beamte, mit der tibetischen Exilführung zu verhandeln. Stattdessen haben sie darauf bestanden, dass der Dalai Lama zunächst einer Reihe von unzumutbaren Vorbedingungen zustimmt, bevor sie den Dialog wieder aufnehmen.

 

Überwachungskamera vor dem Potala Palast. Foto: Erik Törner

Die miserable Bilanz der Kommunistischen Partei Chinas in Tibet seit den Olympischen Spielen 2008 ist eindeutig. Die Menschenrechte des tibetischen Volkes werden schwerwiegend und anhaltend verletzt, und die chinesischen Behörden haben den bestehenden Negativtrend weiter verschärft und zugleich neue Mittel der Unterdrückung und Kontrolle eingeführt.

Ausländische Regierungen und Organisationen wie das Internationale Olympische Komitee müssen deutlich machen, dass dieses Verhalten einen Preis hat. Wer ein Regime auch nur stillschweigend unterstützt, das so grundlegend gegen die grundlegenden und universellen Rechte verstößt, die das Geburtsrecht eines jeden Menschen sind, macht sich mitschuldig am Verhalten dieses Regimes.

EMPFEHLUNGEN

Das Internationale Olympische Komitee hat die eindeutige Verpflichtung zu überprüfen, ob China seinen ethischen Kodex und seine Verpflichtungen einhält.

Zumindest muss das IOC öffentlich und ohne Angst vor Repressalien, über die Rechtsverletzungen in Tibet, Xinjiang (Ost-Turkestan), der Inneren Mongolei, Hongkong und anderswo sprechen.

Wenn das IOC nicht in der Lage oder nicht willens ist, die chinesische Regierung zu konkreten, sinnvollen Reformen zu bewegen, sollte es seine Entscheidung, die Spiele 2022 nach Peking zu vergeben, widerrufen. Andernfalls macht es sich schuldig.

Das IOC und die nationalen olympischen Komitees müssen den Athleten bei den Spielen auch einen sicheren Ort bieten. Die Athleten dürfen von der chinesischen Regierung nicht für politische Propaganda missbraucht werden. Sie sollten umfassend über die Situation in Tibet und die Menschenrechtsverletzungen in China informiert werden und die Wahl haben, mit einem „Menschenrechts-Vorbehalt“ teilzunehmen.

ICT schließt sich erneut dem Aufruf anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen an, die Regierungen in aller Welt zu einem diplomatischen Boykott der Spiele aufzufordern.

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