Tibetischer Forscher
sieht wissenschaftliche
Definition bestätigt

 

Foto: reurinkjan-CC-BY-2.0

Berlin, 19.10.2022. Kann man Chinas Herrschaft in Tibet als kolonial bezeichnen? Diese Frage, die derzeit an vielen Orten heiß diskutiert wird, versucht der tibetische Forscher Dr. Gyal Lo zu beantworten.

In einem Artikel der „Tibetan Review“ kommt er zum Schluss, „dass die chinesische Herrschaft in Tibet nach den Maßstäben eines international anerkannten wissenschaftlichen Diskurses typisch kolonial“ sei. Seiner Untersuchung legt er ein Rahmenwerk zu Grunde, das von sieben Stufen der Kolonisierung ausgeht. Dieses sei weltweit anwendbar, „wenn es darum geht, zu bestimmen, ob eine Nation grundsätzlich kolonisiert ist oder nicht“. In der Anwendung des Sieben-Stufen-Modells auf Kanada in einer Studie von 2009 erkennt Dr. Gyal Lo einen Bezugspunkt, der starke Parallelen zu Chinas Kolonisierung Tibets in den letzten sieben Jahrzehnten aufweise.

Von besonderer Bedeutung sei dabei das chinesische Internatsschulsystem in Tibet, das einem Bericht des „Tibet Action Institute“ zufolge derzeit von etwa 800.000 tibetischen Kindern besucht wird. Dr. Gyal Lo erkennt darin starke Parallelen zu den kanadischen Internatsschulen, mit denen die indigene Bevölkerung ihrer kulturellen Identität und Sprache beraubt werden sollte.

In seinen Ausführungen kommt er zum Schluss, „dass die Merkmale und Eigenschaften der sieben Phasen der Kolonisierung in Chinas Beziehung zu Tibet“ vollständig vorhanden seien. Im Einzelnen sind dies:

1) Das gewaltsame Eindringen der kolonisierenden Gruppe in ein geografisches Gebiet, konkret die militärische Invasion und brutale Besetzung Tibets durch die Armee der kommunistischen Volksrepublik China seit 1950.

2) Die soziale Zerstörungskraft. Peking hat seit Beginn seiner Herrschaft in Tibet die sozialen und kulturellen Institutionen der Tibeter angegriffen. Dies führte dazu, dass das tibetische Volk bis heute weitgehend aus dem Regierungssystem Tibets entfernt wurde.

3) Externe politische Kontrolle. Mittels seiner militärischen Invasion und Täuschungsmanövern vermochte es Peking, die Souveränität Tibets vollständig zu übernehmen. Bis 1959 beseitigten die Chinesen das tibetische Postsystem, die Banken, Schulen, Medien, kulturellen Aktivitäten und Regierungsbüros in Tibet. Insbesondere wurde die tibetische Währung abgeschafft und die Diplomatie zwischen 1950 und 1959 vollständig eingestellt.

4) Wirtschaftliche Abhängigkeit. In mehreren Schritten hat die kommunistische Führung in Peking Tibets Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht. Heute sind die Tibeter wirtschaftlich marginalisiert, ihre Abhängigkeit von der Wirtschaftstätigkeit in den städtischen Gebieten Chinas hat rapide zugenommen.

5) Deutlich schlechtere soziale Dienstleistungen. So wird etwa die Gesundheitsversorgung in Tibet mit minderwertigen Fachkräften und Einrichtungen erbracht. Bei schweren Krankheiten muss man beispielsweise in chinesische Städte reisen, um entweder eine Behandlung zu erhalten, die in Tibet nicht zugänglich ist, oder um eine qualitativ bessere Versorgung zu bekommen. Auch das Bildungswesen wird von China als wichtiges Instrument der kolonialen Transformation eingesetzt.

6 & 7) Soziale Schichtung. Die externe Gruppe setzt Standards und Normen, die die interne Gruppe nicht erfüllen kann. Dies hat in Tibet zur Folge, dass insbesondere die traditionell lebenden Tibeter „als von Natur aus minderwertig angesehen“ werden. Der „systemische Rassismus“ behandelt Gruppen als potenziell ungleich, „systemische soziale Barrieren“ hindern die Tibeter daran, soziale Gleichheit zu verwirklichen. Zudem wurde Tibet von den chinesischen Machthabern in klassischer Teile-und-herrsche-Manier verwaltungsmäßig zerstückelt und neu aufgeteilt.

Dr. Gyal Lo schließt daraus, „dass Tibet von China kolonisiert“ wurde. Die Erfahrung Tibets unter der Kontrolle Chinas, zeige „deutlich die gleichen Merkmale und die gleichen Charakteristika, die in den sieben Phasen der Kolonisierung beschrieben wurden.“

Dr. Gyal Lo promovierte an der Universität Toronto und unterrichtete über ein Jahrzehnt an der Abteilung für tibetische Sprache und Kultur der Northwest University for Nationalities. Er ist der Autor von Social Structuration in Tibetan Society: Education, society, and spirituality (Lexington Books, 2016).

 

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