Der Eingang des Jokhang-Tempels vorher (links) und im Mai 2020 mit den neuen Pavillons (rechts). Fotos: Tsering Woeser

In der vergangenen Woche diskutierte der UNESCO-Weltkulturerbeausschuss turnusmäßig von der UNESCO geschützte Kultur- und Naturerbestätten. Auch auf der Agenda: das „Historische Ensemble des Potala-Palastes“ in Tibets Hauptstadt Lhasa – zu dem auch der Jokhang-Tempel und der Norbulingka-Palast gehören.

Für Tibet von besonderer Bedeutung ist die diesjährige Befassung mit Lhasa, weil es seit langem schon Anzeichen für ein gravierendes Missmanagement der chinesischen Behörden und ein Versagen der UNESCO mit Blick auf den Schutz des tibetischen Kulturerbes gibt. Die UNESCO, eigentlich Hüter des Kulturerbes der aufgenommenen Stätten, belässt es bei Appellen und schaut indes über die Zerstörung unschätzbar wertvollen tibetischen Kulturerbes hinweg. Inzwischen ist der für die UNESCO maßgebliche „außergewöhnliche universelle Wert“ der Kulturstätten in Lhasa so beeinträchtigt, dass das „Historische Ensemble des Potala-Palastes“ auf die Liste der „Kulturerbestätten in Gefahr“ aufgenommen werden sollte.

Gastgeber der ursprünglich für 2020 geplanten und aufgrund der Covid-19-Pandemie verschobenen Konferenz ist Fuzhou in China. Auch wenn eine ernsthafte Diskussion über das „Historische Ensemble des Potala-Palastes“ aufgrund der politischen Empfindlichkeiten des Gastgeberlandes eher ausgeschlossen erscheint, ist es wichtig, Druck auf den Welterbeausschuss auszuüben, damit er die Vorgaben der Welterbekonvention erfüllt und die Einhaltung der „Operational Guidelines“ einfordert – sein eigentlicher Zweck.

Hintergrund: Besorgniserregende Reaktion auf den Brand im Jokhang-Tempel 2018

Unklarheit herrscht immer noch in Bezug auf das Feuer, das im Februar 2018 im Jokhang-Tempel wütete. Es gibt sehr wenige Informationen über die Brandursache, die Auswirkungen und die Reaktion auf das Feuer. Auch wenn eine „Monitoring-Mission“ 2019 zu dem Ergebnis kam, dass das Feuer von 2018 nicht das gesamte Gebäude, die Ausstattung und die Struktur des Jokhang-Tempels beschädigt hat, bleibt weiterhin ein hohes Maß an Unklarheit rund um den Vorfall zurück. Selbst der 2019 von China verlangte Zustandsbericht über die Kulturstätte wurde erst auf Nachfrage von ICT hin veröffentlicht. Einen Monat nach Deadline wurde eine zweiseitige Zusammenfassung vorgelegt, in der lediglich von einem geringfügigen Schaden die Rede war, ohne weitere Details über einen Restaurierungs- oder Schutzplan zu nennen.

Ungelöstes Problem der Pavillons vor dem Jokhang-Tempel

Weiterhin errichteten die chinesischen Behörden 2020 zwei Pavillons im chinesischen Stil direkt vor dem Jokhang-Tempel. Die Errichtung dieser zwei Pavillons, deren Baustil einen krassen Gegensatz zum Jokhang-Tempel darstellt, begann offenbar während des ersten Covid-19-Lockdowns und wurde erst am 28. April 2020 kurz vor ihrer Vollendung bekannt.

Wie bei Konferenzen des UNESCO-Weltkulturerbeausschusses üblich, veröffentlicht das Weltkulturerbezentrum der UNESCO, welches dem Ausschuss zuarbeitet, einen Zustandsbericht für jede Kulturstätte und formuliert dazu einen Beschluss. In seinem Beschluss zum historischen Ensemble des Potala-Palastes empfiehlt das Zentrum, die Pavillons umzugestalten, so dass sie optisch „weniger prominent und weniger historisch verwirrend“ wirken. Das International Council on Monuments and Sites (ICOMOS), eine Organisation die die UNESCO technischen Fachfragen berät, stellte fest, „dass die Pavillons sich negativ auf den kulturellen Hintergrund und den kulturellen Kontext im Jokhang-Tempel-Kloster auswirken” und empfahl, „dass alternative Lösungen in Betracht gezogen werden sollten“.

Der Bericht bezeichnet die Frage der neu errichteten Pavillons als „ungelöst“ („unresolved“). Tatsächlich erscheint die Empfehlung des Zentrums, die Pavillons „optisch weniger prominent“ und „historisch weniger verwirrend“ zu gestalten, noch als sehr moderat vorgetragene Bitte. Aus dem Wortlaut der Fachexperten von ICOMOS könnte man indes Anderes herauslesen. Die dort angesprochene „alternative Lösung“ könnte durchaus der Abriss der Pavillons sein. Das ansonsten bei anderen Kulturerbestätten der Welt wenig zimperliche Welterbezentrum hingegen lässt offen, wie man die „ungelöste“ Frage einer Lösung zuführen könnte. Ohne Zweifel ein bemerkenswerter Vorgang.

Die Errichtung der Pavillons vor dem Jokhang-Tempel – was bisher geschah

  1. April 2020: Bewohner von Lhasa entdecken die fast fertiggestellten neuen Pavillons vor dem Jokhang-Tempel
  2. Mai 2020: ICT wendet sich in der Angelegenheit an das UNESCO-Weltkulturerbezentrum
  3. Mai 2020: Das UNESCO-Weltkulturerbezentrum bittet die chinesische Regierung um Informationen zu den Pavillon-Bauten.

Mai 2020 (genaues Datum unbekannt): Die chinesische Regierung legt dem Zentrum ein „Heritage Impact Assessment“ bezüglich des Kulturerbes für die Pavillons vor.

Juni 2020: Die chinesische Regierung stellt Informationen zu den Pavillon-Bauten zur Verfügung. ICOMOS prüft diese Informationen und empfiehlt „alternative Lösungen“ bzgl. der Pavillons.

  1. Januar 2021: ICT wendet sich in der Angelegenheit erneut an das Kulturerbezentrum, verlangt eine Klarstellung, ob die chinesische Regierung die „Operational Guidelines“ eingehalten hat und fordert den Ausschuss auf, eine Aufnahme der Kulturstätte in die Liste gefährdeten Weltkulturerbes in Erwägung zu ziehen.

Februar 2021: Die chinesische Regierung antwortet auf die ICOMOS-Empfehlung (nicht öffentlich). Das WHC gibt der chinesischen Regierung in seiner Antwort daraufhin weitere Empfehlungen (nicht öffentlich).

  1. Juni 2021: Das Weltkulturerbezentrum beschreibt die Angelegenheit als „ungelöst“.

Management von Kulturerbestätten ohne definierte Pufferzonen und Schutzplan

Das wahrscheinlich deutlichste Anzeichen für das Missmanagement tibetischer Kulturerbestätten in Lhasa sind nicht vorhandene Pufferzonen und Schutzplänen für das „Historische Ensemble des Potala-Palastes“. Seit 18 Jahren hat es die chinesische Regierung unterlassen, der UNESCO klar definierte Begrenzungen und Pufferzonen für die geschützten Stätten Lhasas vorzulegen. Ähnlich wurden die Auflagen für einen Schutz- und Erhaltungsplan der Kulturstätten seit 14 Jahren nicht erfüllt. Das bedeutet, die UNESCO kennt die Begrenzungen der Kulturerbestätten nicht und sie weiß auch nicht, wie das Management der Kulturerbestätten künftig umgesetzt werden soll. Auch hier: die UNESCO belässt es bei Appellen, wo Konsequenzen angebracht wären.

Touristen werden im Jokhang-Tempel gegenüber buddhistischen Gläubigen bevorteilt

Der Jokhang-Tempel und die anderen Bereiche des „Historischen Ensemble des Potala-Palastes“ sind Teil einer lebendigen Kultur. Die Gebäude sind keine archäologischen Stätten oder Museen, die eine in der Zeit erstarrte Kultur reflektieren. Tibeter aus Lhasa besuchen genauso wie Pilger aus ganz Tibet den heiligen Jokhang-Tempel, um sich niederzuwerfen, zu beten, Almosen zu geben, sich zu versammeln oder auf andere Weise den tibetischen Buddhismus zu praktizieren. Es sind die Menschen, ihr Wissen, ihre Beziehung zur Kulturstätte und ihre religiösen Bräuche, die all dem eine Bedeutung sowie einen Wert geben und eine einmalige Kultur entstehen lassen.

Unter dem Vorwand der Covid-Prävention führten die chinesischen Behörden am 19. Mai 2021 jedoch neue Regeln ein, um die Besuchszeiten von Pilgern und Touristen separat zu regeln. Touristen wurden dabei bevorteilt. Die neuen Regeln gestatten den buddhistischen Gläubigen, den Tempel von 8.00 bis 11.30 Uhr (dreieinhalb Stunden), zu besuchen, während Touristen ihn von 12.00 bis 19.30 Uhr (siebeneinhalb Stunden) besuchen dürfen. Auch damit werden Vorgaben der UNESCO missachtet. Konsequenzen: keine.

In den vergangenen Jahrzehnten musste Lhasa einen enormen Verlust tibetischen Kulturerbes hinnehmen. Wenn die UNESCO und ihre Mitgliedsstaaten ihre Rolle ernstnehmen, muss das langjährige Missmanagement UNESCO-geschützter Stätten, wie den Jokhang-Tempel und die ihn umgebende Altstadt von Lhasa Konsequenzen haben. Wenn die UNESCO nicht handelt, werden Lhasas UNESCO-geschützte Stätten und das tibetische Kulturerbe weiteren irreparablen Schaden erleiden. Unterdessen wird sich die chinesische Regierung im Prestige des UNESCO-Siegels sonnen und sich fälschlicherweise als Bewahrer tibetischen Kulturerbes präsentieren können.

Autorin: Palmo Tenzin, International Campaign for Tibet, übersetzt aus dem Englischen

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