Menschenrechte und Beziehungen zu Peking in den Koalitionsvertrag!

Foto: picture alliance/dpa, Arne Immanuel Bänsch

„Schluss mit der deutschen Liebe zu China!“, schrieb Ashutosh Pandey in einem Kommentar für die „Deutsche Welle“ wenige Tage vor der Bundestagswahl am 26. September. Berlin habe „Peking viel zu lange umschmeichelt, in der Hoffnung, dass Milliardeninvestitionen das Land dazu bringen würden, seinen autoritären Kurs aufzugeben“, so Pandey. Doch diese Taktik habe nicht funktioniert. Merkels „Hätschel-Kurs“ sei kläglich gescheitert, Peking habe sich unter Präsident Xi Jinping „zum Schlechten gewandelt“ und begehe ungestraft Menschenrechtsverletzungen.

Mit dieser dezidiert vorgetragenen Meinung sticht der Kommentator der „Deutschen Welle“ in der allgemeinen Debatte vielleicht etwas hervor, doch steht Pandey damit keineswegs allein da. Ganz im Gegenteil: Es verfestigt sich der Eindruck, dass derzeit weite Kreise in den Ruf nach einer neuen deutschen (und europäischen) China-Politik einstimmen. So hält auch Barbara Pongratz vom Berliner Merics-Institut, eine Anpassung der deutschen China-Politik für „dringend nötig“. Im Gespräch mit der „Deutschen Welle“ sagt die Analystin des China-Forschungsinstituts, „mit den großen Veränderungen in China in Richtung autoritärerer systemischer Strukturen und einer ehrgeizigeren Wirtschaftspolitik ist eine neue Lage eingetreten“. Umfragen zufolge wünsche sich auch die deutsche Bevölkerung mehrheitlich einen kritischeren Kurs, selbst wenn dieser „negative Folgen für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern haben könnte“. Ein Blick in die Kommentarspalten der deutschsprachigen Zeitungen, aber auch der internationalen Presse scheint dieses Bild zu bestätigen.

Deutschlands Beziehungen zu China sind also stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, und das nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der breiten Bevölkerung. Im deutlichen Kontrast dazu die nur marginale Befassung mit Außenpolitik und der Rolle Chinas im Wahlkampf, von Menschenrechten ganz zu schweigen. Auch in den ersten Nachwahlgesprächen ist von unserem Verhältnis zu China wenig zu hören. Und wenn SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil andeutet, dass im Großen und Ganzen alles so weiter gehen soll wie zuvor, dann ist das enttäuschend.

Peking bedroht mittlerweile die Grundlagen der internationalen Ordnung und versucht auf vielfältige Weise Einfluss zu nehmen auf den demokratischen Prozess und die Meinungsbildung in westlichen Ländern, und gerade auch in Deutschland. Die Kommunistische Partei arbeitet mit großer Energie daran, internationale Rechtsprinzipien umzudefinieren und die letzten unabhängigen Menschenrechtsinstitutionen der Vereinten Nationen kalt zu stellen. „Making the world safe for autocracy“, offenbar ein Leitmotiv Pekings, verändert die internationalen Beziehungen, und auch Deutschland muss sich mit den Einflussoperationen und den mehr oder weniger offenen Erpressungsversuchen der KP auseinandersetzen.

Die Beziehungen zu China sollten daher künftig eine Hauptrolle spielen. Und ermutigend wäre es, wenn der Koalitionsvertrag der zukünftigen Regierungsparteien sich zu ihnen dezidiert äußert. Wertebasiert müssten diese sein, geerdet in Transparenz und die Realitäten anerkennend. Sie müssen also grundsätzliche Wertentscheidungen unserer Verfassung als Leitmotiv haben, dürfen nicht den Partikularinteressen von Konzernen überlassen werden und müssen die beschönigenden und falschen Narrative der KP entlarven. Menschenrechte sollten zentraler Bestandteil dieser Neuausrichtung sein.

Was könnten Leitlinien dieser menschenrechtsbasierten Außenpolitik gegenüber China sein? Einige Vorschläge:

  • Deutschland sollte auf EU-Ebene und in den internationalen Institutionen, etwa im UN-Menschenrechtsrat dafür eintreten, dass die Menschenrechtsverletzungen der KP Chinas Konsequenzen haben. Dazu zählen Sanktionen gegen Staats- und Parteifunktionäre, die sich systematischer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben. Begrüßenswerte Initiativen in UN-Generalversammlung und im Menschenrechtsrat sollten konsequent auf andere internationale Institutionen ausgeweitet werden, etwa auf die UNESCO oder die Weltklima- und Umweltkonferenzen.
  • Deutschland sollte sich sichtbar und viel stärker als bisher mit denen solidarisieren, die sich der aggressiven Politik Pekings entgegenstellen oder Verfolgung erleiden. Dazu gehören Solidarität mit EU-Partnern wie etwa Litauen und regelmäßige feste Gespräche mit Vertretern der Tibeter, der Uiguren, der Demokratiebewegung Hongkongs und mit chinesischen Menschenrechtsverteidigern. Die zukünftige Bundesregierung sollte sich also von der Kommunistischen Partei emanzipieren und insbesondere mit Vertretern Taiwans und der tibetischen Zentralverwaltung in Indien treffen. Sie sollte das auch öffentlich machen.
  • Deutschland sollte nicht nur reaktiv, sondern aktiv und konfliktpräventiv gegenüber der KP Chinas agieren und schon am Horizont erkennbare massive Krisen, etwa die Haltung der KP zur Nachfolge des Dalai Lama, nicht von sich wegschieben. Sie sollte überdies Alternativen zum autoritären Herrschaftsmodell der KP aktiv unterstützen. Dazu gehören die Demokratiebewegung in Hongkong genauso wie der „Mittlere Weg“ des Dalai Lama.
  • Solange die Volksrepublik die ILO-Konventionen gegen Zwangsarbeit nicht ratifiziert und keine nachprüfbare Zusicherungen über die Einhaltung der ILO-Standards über Zwangsarbeit abgibt, darf die EU dem CAI-Abkommen mit China nicht zustimmen. Dies gilt insbesondere angesichts von Berichten über systematische Zwangsarbeit in Xinjiang und zwangsweise „Arbeitsprogramme“ in Tibet. Die nächste Bundesregierung muss sich dafür aktiv einsetzen.
  • Die Kooperation mit China beim Klimawandel darf nicht stillschweigend gegen Menschenrechtsverletzungen aufgerechnet werden. Im Gegenteil: die Rolle von Menschenrechten beim Klimaschutz muss eine zentrale Rolle in den bilateralen Beziehungen zu China spielen. Das bedeutet, dass die auf Erhaltung der Artenvielfalt und der natürlichen Ressourcen angelegte Rolle lokaler Gemeinschaften bei der Bekämpfung des Klimawandels gegenüber Peking betont und ihre Anerkennung eingefordert werden. Die Lage im Hochland von Tibet ist dabei von besonderer Relevanz.
  • Pekings Einflussoperationen in Deutschland müssen ernstgenommen werden, ob in Politik, Medien, Wissenschaft, Bildung bis hin zum Sport und als Manipulation der freien Meinungsbildung in Deutschland begriffen werden. Opportunismus und Selbstzensur deformieren schon jetzt den offenen Diskurs in der Gesellschaft.
  • Zugang zu technischer Infrastruktur etwa in der Telekommunikation sollte chinesischen Unternehmen verwehrt bleiben, da die Gefahr der Überwachung, Ausspähung, Zensur und letztlich Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern durch die chinesischen Behörden besteht.
  • Die Bundesregierung sollte öffentlich erklären, dass sie keinen Vertreter zu den Olympischen Spielen in Peking, die im Februar 2022 beginnen, entsendet und dies mit der schlechten Menschenrechtslage in Xinjiang, Tibet und Hongkong, sowie mit der nicht erfolgten Aufarbeitung der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste in Tibet 2008 begründen.
  • Der Menschenrechtsdialog mit China muss kritisch überprüft werden und die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung mehr Kompetenzen und mehr Mittel bekommen. Der turnusmäßige Menschenrechtsbericht der Bundesregierung sollte ein festes Brennpunktthema über einflussreiche Autokratien und Diktaturen wie China und Russland enthalten. Sein Berichtsanteil über Ländersituationen sollte ausgeweitet werden.

Tibeter, Uiguren und andere können nicht hinnehmen, Kollateralschaden unserer Handels- und Wirtschaftsinteressen in China zu sein. Die Gesellschaft insgesamt sollte sich daher die Frage stellen, ob Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Deutschland so bewahrt werden können, dass Menschenrechte geschützt werden und nicht die profitieren, die diese mit Füßen treten. Alternativen zu entwickeln, ist dringende Aufgabe der Politik. Die Hoffnung ist, dass der nächsten Bundesregierung dazu etwas einfällt. Sie könnte mit einigen hier skizzierten Punkten anfangen.

Autor: Kai Müller, Geschäftsführer der International Campaign for Tibet

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