Programmbeschwerde
von ICT gegen Doku

„Wildes China“ 

 

Quelle: Screenshot_ARD

Mitte März hat die ARD zur besten Sendezeit die erste Folge von „Wildes China“ ausgestrahlt. Ein „Naturfilm“, koproduziert von der BBC und dem chinesischen Staatssender CCTV, der sich in dieser ersten Episode mit Tibet befasste. Unmittelbar nach Ausstrahlung hat sich die International Campaign for Tibet bereits kritisch zu den in dieser Dokumentation platzierten Narrativen über den tibetischen Buddhismus und tibetische Nomaden geäußert und sich mit dieser Kritik direkt an den NDR gewandt. Die Reaktion des NDR hat uns enttäuscht und uns darin bestärkt, eine Programmbeschwerde einzureichen.

Wie gehen öffentlich-rechtliche Medien mit Material aus autoritär regierten Ländern um, in denen die Bevölkerung systematisch Repression und Verfolgung ausgesetzt werden und in dem ein Klima der Angst geschaffen wird, das sich dezidiert gegen bestimmte Volksgruppen richtet? Sind Medienschaffende sensibilisiert und geschult darin, Narrative einer selbstbewusst und expansiv auftretenden Diktatur zu erkennen? Ist es akzeptabel, dass Gebührengelder der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland auch nur mittelbar zur Finanzierung eines Instruments von Menschenrechtsverletzungen, wie es der chinesische Staatssender CCTV ist, verwendet werden?

Wir erwarten vom NDR eine Stellungnahme und eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Wir hoffen auf eine Positionierung, die der Situation in autoritär und repressiv regierten Staaten wie China gerecht wird und deutlich für grundlegende Menschenrechtsprinzipien eintritt.

Lesen Sie unsere Programmbeschwerde hier im Wortlaut:

 

NDR Rundfunkrat
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg

                                                                                                                                                             Berlin, 20.04.2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 15.03.2021 hat die ARD die Dokumentationsreihe „Wildes China“ mit einer ersten Episode über Tibet ausgestrahlt, weshalb wir uns mit einer Programmbeschwerde an Sie wenden.

Wir beanstanden die ungefilterte Übernahme von Narrativen der Kommunistischen Partei (KP) Chinas, die in dieser Dokumentation wiedergegeben werden. Der von der BBC mit dem chinesischen Staatssender CCTV produzierte Film ignoriert die menschenrechtswidrigen Zwangsansiedlungen von tibetischen Nomaden und Hirten, die nicht zuletzt auch unter dem Vorwand des Natur- und Umweltschutzes erfolgen. Er berichtet auch nicht von den massiven Staudammprojekten, die etwa Nationalparks im Süden Tibets, in der Provinz Yunnan, bedrohen. Wenn Kritik geäußert wird – etwa an den katastrophalen Folgen der Ausplünderung der Natur durch den Bergbau – dann wird sie lediglich als Verfehlung vergangener Politik beschrieben.

Der Film zeigt buddhistische Mönche in andächtiger Ausübung ihrer Religion, als gäbe es die massiven Repressionen in Klöstern und im Alltag der Tibeterinnen und Tibeter nicht. Damit wird bewusst die Realität verschleiert, in der die chinesischen Behörden die erklärte Politik verfolgen, die tibetische Kultur und gerade die auch im Film gezeigte Religionsausübung zu „sinisieren“, sie also zwangsweise an die von der KP Chinas definierte Ideologie anzupassen. Wahrheitswidrig verbreitet die chinesische Regierung unterdessen, dass sie Religionsfreiheit gewähre. Darstellungen des tibetischen Buddhismus wie in der Dokumentation untermauern diese falsche Darstellung.

In einer Stellungnahme zu unseren Kritikpunkten erklärt der verantwortliche Redaktionsleiter, dass „die Ausübung des Buddhismus und das Betreiben etwa eines buddhistischen Klosters in den Regionen, die politisch zu China gehören, tatsächlich mit deutlich größerer Liberalität möglich ist, als im Autonomen Gebiet Tibet“.

Dazu weisen wir darauf hin, dass es nicht zutreffend ist, dass außerhalb der sog. Autonomen Region Tibet (TAR), also in den als von China autonom deklarierten Präfekturen und Landkreisen in den Provinzen Sichuan, Gansu, Yunnan und Qinghai weniger repressiv gegen den tibetischen Buddhismus vorgegangen wird. So ereignete sich etwa in Ngaba, in Osttibet, 1965 der Provinz Sichuan zugeschlagen, seit 2009 eine Vielzahl von Selbstanzündungen tibetischer Mönche und Nonnen. Diese wandten sich damit gegen die massiven Repressionen, die auf die gewaltsame Niederschlagung der tibetweiten, auch in Gegenden außerhalb der TAR stattfindenden Proteste im Jahre 2008 folgten. Die chinesischen Behörden haben in der Folge gerade in den Regionen außerhalb der TAR mit weiteren Repressionen auf diesen Protest reagiert, etwa durch Kollektivstrafen gegen Klöster, gegen Dorfgemeinschaften, gegen Angehörige, Freunde und Verwandte. Das eklatant menschenrechtswidrige Vorgehen der chinesischen Behörden, darunter die weit verbreitete Anwendung von Folter und Misshandlung insbesondere gegenüber tibetischen Mönchen und Nonnen, hat die tibetische Gesellschaft auch außerhalb der TAR zutiefst erschüttert und zahlreiche Menschenleben gekostet.

Die offiziell erklärte Sinisierungspolitik der chinesischen Regierung, von der insbesondere die Klöster des tibetischen Buddhismus betroffen sind, will den gesamten tibetischen Buddhismus im Sinne der KP Chinas umformen, und sie beschränkt sich daher selbstverständlich nicht auf die Autonome Region Tibet. Die Behauptung, es läge eine „größere Liberalität“ außerhalb der TAR vor, ist daher unzutreffend, wobei wir überdies irritiert darüber sind, dass die fundamental menschenrechtswidrige Religionspolitik der chinesischen Regierung mit den Begriffen „liberal“ oder „liberaler“ beschrieben werden soll.

Inwiefern die in der Dokumentation gezeigten tibetischen Nomaden und Mönche freiwillig an der Dokumentation mitgewirkt haben, ist fraglich. Die chinesischen Behörden haben Berichten zufolge mehr als zwei Millionen tibetischer Nomaden und Hirten zwangsangesiedelt oder umgesiedelt, ohne dass diese die Möglichkeit haben, sich in einem rechtsstaatlichen Verfahren gegen derart einschneidende Maßnahmen der Behörden zu wehren. Daten über Widerspruchsverfahren oder andere Rechtsmittel, die in einem rechtsstaatlichen Umfeld zu erwarten wären, sind schlichtweg nicht verfügbar, da in Tibet ein Klima der Angst herrscht, in dem Betroffene wissen, dass Widerspruch mit großer Wahrscheinlichkeit zu Sanktionen durch die Behörden führen wird. Es ist daher ganz grundsätzlich die Frage zu stellen, ob derartige Dokumentationen, auch „Naturfilme“, die in autoritären Staaten nur unter der Mitwirkung der Behörden entstehen können, überhaupt vertretbar sind. Diese Frage kann auch vom NDR nicht ignoriert werden und „Wildes China“ hat sie mit Nachdruck aufgeworfen. Wir erwarten, dass sich der NDR hierzu deutlich im Sinne von menschenrechtlichen Grundprinzipien positioniert.

„Wildes China“ ist Werbung zur besten Sendezeit für eine autokratische Regierung, die für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Tibet ist wiederkehrender Gegenstand von Desinformation durch die chinesische Regierung, die inzwischen nicht nur brachial, sondern teilweise auch sehr subtil und gerade mit Koproduktionen in westlichen Medien ihre Propaganda verbreitet. Gut dokumentiert ist in diesem Sinne die strategische Entscheidung der chinesischen Regierung und Xi Jinpings, die „Geschichte Chinas gut zu erzählen“. Wir bedauern, dass „Wildes China“ offensichtlich zu dieser „guten Erzählung“ Chinas beiträgt, indem es diese Erzählungen reproduziert.

Wir kritisieren schließlich mit großem Nachdruck die Nutzung von Material des chinesischen Staatssenders CCTV. CCTV hat mehrfach unter Folter erzwungene „Geständnisse“ von Dissidenten, Menschenrechtsanwälten, Anhängern der Demokratiebewegung, Journalisten und NGO-Mitarbeitern gezeigt und sich damit zum Werkzeug von Menschenrechtsverletzungen der KP Chinas gemacht. Die Organisation „Safeguard Defenders“ hat vor kurzem einen Offenen Brief von Opfern dieser „Geständnisse“, die auf CCTV-4 und dem CCTV verbundenen Auslandssender CGTN ausgestrahlt wurden, veröffentlicht. In diesem Aufruf fordert mehr als ein Dutzend von Opfern dieser „Geständnisse“ Medienbehörden weltweit dazu auf, CGTN aus ihren Programmen zu nehmen.

In dem Schreiben heißt es unter anderem:

“Most victims are rights lawyers, NGO workers and journalists, who stand up for the rule of law and human rights. As punishment, we have been placed in solitary confinement, held incommunicado and been subjected to physical and mental torture. All this to ensure that when the camera faced us, we had no choice but to repeat the lines given to us by the Chinese police. Our footage is used to spread fake news and fear among the rights communities we belong to.”

Die ARD und der NDR als öffentlich-rechtliche Sendeanstalt sollten unter keinen Umständen zur Finanzierung von Einrichtungen beitragen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, auch nicht mittelbar. Noch sollte eine öffentlich-rechtliche Medienanstalt in Deutschland die Narrative eines autoritär herrschenden Staates verbreiten, der Menschenrechte mit Füßen tritt. Vor diesem Hintergrund rügen wir die Ausstrahlung von „Wildes China“ am 15.3.2021 mit Nachdruck und erwarten eine Stellungnahme des NDR.

Mit freundlichem Gruß

Kai Müller
Geschäftsführer

 

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