Inspektionsreise von
«Chinas Chef-Strategen»
nach Osttibet
Quelle: news.cn
Innerhalb kurzer Zeit haben gleich zwei Mitglieder der absoluten Führungsspitze der Kommunistischen Partei Chinas Tibet besucht. Nach Xi Jinping reiste mit Wang Huning nun auch die Nummer 4 der KP nach Osttibet. Der 68-jährige Wang ist nicht nur Mitglied im siebenköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros der KP, sondern steht seit letztem Jahr auch der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes vor, einem sogenannten Beratungsgremium der KP-Machthaber.
Wie chinesische Propagandamedien berichteten, besuchte „Chinas Chef-Stratege“ vom 1. bis zum 3. Juli mehrere Orte in den beiden Präfekturen Kardze und Ngaba. Wang habe bei seinen „Recherchen“ betont, man wolle „die religiöse, soziale und ethnische Harmonie fördern“, wie es im typischen KP-Sprech heißt. Was für mache Ohren zunächst nicht ganz unangenehm klingen mag, ist letztlich nichts anderes als ein kompromissloses Bekenntnis zur „Sinisierungs“-Strategie der Kommunistischen Partei.
Hauptbotschaft: „Sinisierung“
Im Kern steht „Sinisierung“ für einen Frontalangriff auf die tibetische Sprache, Religion und Kultur. Sinisierung von Sprache und Kultur bedeutet, dass insbesondere die jungen Tibeter sich in erster Linie auf Chinesisch ausdrücken sollen. Dies beginnt beim Schulunterricht in den chinesischen Zwangsinternaten, in denen der Fachunterricht für die jungen Tibeter ausschließlich auf Chinesisch erteilt wird. Selbst in den Pausen wird der Gebrauch des Tibetischen mittlerweile schon sanktioniert. So wurde kürzlich ein tibetischer Lehrer dafür bestraft, dass er seine Schüler zur Verwendung ihrer Muttersprache aufgefordert hat.
Sinisierung der Religion bedeutet in Tibet, dass sich der Buddhismus mit all seinen Institutionen in den Dienst der KP-Herrschaft stellen soll. Wie Wang Huning es ausdrückte, solle der tibetische Buddhismus aktiv angeleitet werden, „sich an die sozialistische Gesellschaft anzupassen“. Die tibetisch-buddhistische Gemeinschaft solle „die Führung der KPCh und das sozialistische System unterstützen und die Einheit des Mutterlandes und die nationale Einheit schützen“.
Zusätzlich betonen KP-Funktionäre bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Verpflichtung tibetisch-buddhistischer Mönche und Nonnen, die Ausführungen des Generalsekretärs Xi Jinping zur religiösen Arbeit zu studieren. Auch in den Ausführungen von Wang Huning durfte der Verweis auf KP-Chef Xi nicht fehlen. Dem Bericht zufolge betonte er „die Fürsorge und Sorge des Generalsekretärs Xi Jinping und des Zentralkomitees der KPCh für die große Zahl tibetischer Landsleute“.
Bewusst orchestrierte Zusammenstellung der Reiseroute
Bezeichnend ist auch die Auswahl der Orte, die Wang während seiner dreitägigen Reise durch Osttibet besuchte. Im Reich der chinesischen Propaganda muss man davon ausgehen, dass die Zusammenstellung seiner Reiseroute bewusst orchestriert wurde und jedes Detail von Bedeutung ist. An erster Stelle wird die Gedenkhalle für den einstigen Oberbefehlshaber der kommunistischen Streitkräfte Zhu De genannt, ein klares Bekenntnis zur bewaffneten Macht, die 1949/1950 das unabhängige Tibet überfallen hat.
Ebenfalls großen Stellenwert nehmen wirtschaftliche Aktivitäten ein, die in Wangs Besuch eines „modernen landwirtschaftlichen Industrieparks“ ihren Niederschlag finden. Es folgt eine Visite in der Mittelschule des Kreises Ngaba (Foto ganz oben), wo die Schüler unter den wachsamen Augen von Xi Jinping lernen sollen. Erst zum Schluss geht es um den Besuch der „Tempel des tibetischen Buddhismus“. Diese Gewichtung dürfte kein Zufall sein.
Spekulationen um Zeitpunkt der Reise
Da hohe KP-Führer in der Regel nicht allzu häufig nach Tibet reisen, konnte es nicht ausbleiben, dass Wangs und Xis Besuche in der Region Anlass zu Spekulationen boten. Eine mögliche Erklärung für den Zeitpunkt der beiden Reisen dürfte in der anhaltenden internationalen Kritik an Pekings Zwangsinternaten in Tibet liegen. So war auffällig, dass sowohl Xi Jinping, als auch Wang Huning Schulen besuchten und Bilder davon einen prominenten Platz in der Berichterstattung erhielten.
Auch die aktuell erhöhte Aufmerksamkeit für Tibet rund um den 89. Geburtstag des Dalai Lama, seine Reise nach New York zu einer erfolgreich verlaufenen Knie-Operation und die Verabschiedung des „Resolve Tibet Act“ in den Vereinigten Staaten dürften hier eine Rolle gespielt haben. Bekanntlich hat der US-Präsident dieses wichtige Gesetz mittlerweile unterzeichnet.
Insofern könnten die Tibet-Reisen der chinesischen Machthaber auch ein Indiz dafür sein, dass sie sich ihrer Position doch nicht so sicher sind, wie sie die Öffentlichkeit gerne glauben machen wollen.