Pekings Ziel ist die
völlige Transformation
von Tibets Buddhismus

 

Foto: Tsering Dorje/Woeser

In unserem ersten Beitrag zu Chinas neuer Kulturrevolution in Tibet haben wir Pekings letztlich totalitären Ansatz geschildert, alle Bereiche der tibetischen Gesellschaft in ihrem Sinne zu verändern. So bekämpfen die chinesischen Machthaber praktisch jeden Aspekt von Tibets eigenständiger Kultur, Tradition und Lebensweise.

Eine zentrale Rolle spielt dabei der chinesische Buddhismus, dem wir uns an dieser Stelle schwerpunktmäßig widmen wollen. Wir beginnen dabei mit einer historischen Einordnung. In einem weiteren Teil wird es dann um die konkreten Maßnahmen der chinesischen Machthaber zur umfassenden Transformation des tibetischen Buddhismus in ihrem Sinne gehen. Er wird in Kürze ebenfalls als ICT-Blog erscheinen.

Während der ersten Kulturrevolution reihen sich Rote Garden unter einem Bild von Chinas Machthaber Mao Zedong auf. (Foto: Tsering Dorje/Woeser)

Während der ersten Kulturrevolution wurden tibetisch-buddhistische Klöster und Kulturgüter in großem Umfang schwer beschädigt und zerstört. Zahlreiche Mönche und Nonnen wurden gezwungen, ihre Klöster zu verlassen; viele von ihnen wurden in Arbeitslager oder Gefängnisse geschickt und kehrten teilweise nie zurück. Diese Maßnahmen haben nicht nur dem materiellen Kulturerbe des tibetischen Buddhismus schweren Schaden zugefügt. Sie hatten auch tiefgreifende psychologische Auswirkungen auf die tibetischen Buddhisten.

Seit den 1950er Jahren hat die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung Tibets fünf Phasen durchlaufen.

Die erste Phase dauerte von 1950 bis 1958. Die kommunistische Volksbefreiungsarmee besetzte Tibet, es begann die von den chinesischen Machthabern so genannte „friedliche Befreiung“. In dieser Phase drangen die chinesische Armee und Arbeitsteams der Kommunistischen Partei nach Tibet ein und schufen die institutionellen Grundlagen und die materielle Infrastruktur für die langfristige Annexion Tibets.

Nachdem Peking im Jahr 1955 im Norden und Osten von Tibet damit begonnen hatte die tibetischen Nomaden gegen ihren Willen sesshaft zu machen und die Kollektivierung des Landbesitzes zu erzwingen, reagierten die Tibeter mit Protest und Widerstand. Dieser wurde von chinesischen Soldaten brutal niedergeschlagen, es kam es zu massiven Gewalttaten, Morden und der Zerstörung von Klöstern.

Nach der gewaltsamen Niederschlagung des tibetischen Volksaufstands muss der Dalai Lama zusammen mit wenigen Getreuen seine Heimat verlassen. (Quelle: m10memorial.org)

Die zweite Phase dauerte von 1959 bis 1965, als die Besatzer nach dem Scheitern des tibetischen Volksaufstands vom 10. März 1959 den 14. Dalai Lama zur Flucht nach Indien zwangen. Die chinesischen Machthaber setzten die tibetische Regierung ab und errichteten ein sozialistisches Regime. Die Aufteilung Tibets fand mit der Schaffung der sogenannten Autonomen Region Tibet (TAR) im Jahr 1965 ihren Abschluss.

Die anderen Teile des Landes wurden als vorgeblich „autonome“ Präfekturen und Landkreise verwaltungsmäßig den chinesischen Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan zugeschlagen. Die chinesische Kommunistische Partei übernahm die vollständige Herrschaft in Tibet und trieb die Integration des Landes in das System der Volksrepublik China voran. Dazu gehörten groß angelegte Kampagnen, die von der sozialistischen Ideologie geleitet waren.

Während der ersten Kulturrevolution verwüsteten Angehörige der Roten Garden das wichtigste Heiligtum des tibetischen Buddhismus, den Jokhang Tempel in Lhasa. (Foto: Tsering Dorje/Woeser)

In der dritten Phase zwischen 1966 und 1976 stand auch Tibet im Bann der ersten Kulturrevolution. Wie in der gesamten Volksrepublik China wüteten die von dem kultisch verehrten KP-Vorsitzenden Mao Zedong aufgepeitschten Roten Garden gegen die sogenannten „Vier alten Übel“. Dies traf vor allem die traditionellen gesellschaftlichen Eliten, Tibets eigenständige Kultur und nicht zuletzt den tibetischen Buddhismus. Tempel und Klöster wurden teils bis auf die Grundmauern niedergerissen, jahrhundertealte religiöse Schriften verbrannt, wertvolle Buddhastatuen und Kultgegenstände geraubt und nach China verbracht, wo sie teilweise eingeschmolzen wurden.

Die vierte Phase begann, als sich die politische Lage entspannte und im Jahr 1978 unter dem neuen KP-Führer Deng Xiaoping die „Reform- und Öffnungspolitik“ ausgerufen wurde. In der Folge kam es zu ersten Kontakten zwischen der chinesischen Führung und der tibetischen Exilregierung in Dharamsala. Doch die Lage in Tibet blieb weiter geprägt von anhaltender Unterdrückung. Von tibetischen Mönchen angeführte Proteste wurden brutal niedergeschlagen; drei Monate vor dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking verhängten die chinesischen Machthaber im März 1989 in Lhasa das Kriegsrecht.

Bei einer großen Demonstration in Lhasa im Jahr 1987 wird der Mönch Jampa Tenzin von anderen Demonstranten hochgehoben. (Foto: John Ackerly)

Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Tibets wurde zu einem neuen Schwerpunkt Pekings. Die Bildungseinrichtungen wurden auf den chinesischen Sozialismus eingeschworen, die kommunistische Ideologie begann, alle Aspekte der Gesellschaft zu dominieren. Überall wurden neue Regeln und Vorschriften eingeführt, um eine umfassende Kontrolle der Gesellschaft im Interesse der Kommunistischen Partei zu gewährleisten.

In der fünften Phase, die von 2012 bis heute andauert, verfolgt Peking in Tibet eine Politik der vollständigen Kontrolle aller Lebensbereiche. Mithilfe neuester Überwachungstechnologien und einer rigiden Abschottung ist es den Machthabern weitgehend gelungen, die öffentliche Kommunikation zu monopolisieren. Sie kontrollieren den Nachrichtenfluss aus und nach Tibet fast vollständig; Tibeter, die Informationen weiterleiten, bringen sich damit in große Gefahr.

Die chinesischen Machthaber stimmen die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes eng aufeinander ab und arbeiten an einer vollständigen Transformation der Gesellschaft. Die wirtschaftliche Ausbeutung Tibets auf den Feldern Rohstoffgewinnung, Energieerzeugung und Tourismus schreitet rapide voran, während die Tibeter selbst wenig davon profitieren und häufig einen hohen Preis bezahlen.

Die Verdrängung der tibetischen Sprache und Kultur wird insbesondere im Schulbereich massiv betrieben. Circa eine Million tibetische Kinder und Jugendliche besuchen chinesische Zwangsinternate.

In Tibet findet eine neue Kulturrevolution statt, die hinsichtlich der langfristigen Auswirkungen ihren historischen Vorläufer in den Schatten stellen könnte. Nicht zuletzt im Bereich des tibetischen Buddhismus hat sie bereits zu dramatischen Veränderungen geführt, beispielsweise mit der verpflichtenden Einführung der sogenannten Demokratischen Verwaltungskomitees in den Klöstern. Mit deren Hilfe kann die KP eine direkte Kontrolle über diese wichtigen Institutionen ausüben, die in der Vergangenheit so häufig Ausgangspunkte von Protest und Widerstand gegen Pekings Herrschaft in Tibet waren.

Die ihren Statuten nach dem Atheismus verpflichteten kommunistischen Machthaber erheben sogar den Anspruch, über die Nachfolge der Reinkarnationen des tibetischen Buddhismus zu entscheiden. Es ist offensichtlich, dass die chinesische Führung für sich reklamieren wird, auch hinsichtlich der Nachfolge des Dalai Lama über die Deutungshoheit zu verfügen.

* Foto oben: Die Roten Garden wüten in Lhasa: Buddhistische Schriften und Kultgegenstände gehen in Flammen auf. (Foto: Tsering Dorje/Woeser)

 

Autor: Martin Reiner, International Campaign for Tibet

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