Tibets religiöses Erbe
als bloße Kulisse für
Chinas Tourismus
Foto: Ryan Kilpatrick-CC-BY-ND-2.0

In unserem zweiten Beitrag zu Chinas neuer Kulturrevolution in Tibet widmen wir uns Pekings Versuch der Transformation des tibetischen Buddhismus. Haben wir uns in einem ersten Teil der historischen Einordnung gewidmet, soll es hier nun um die konkreten Maßnahmen gehen, die die chinesischen Machthaber zu diesem Zweck ergreifen.
An dieser Stelle werden wir in der Zukunft weitere Beiträge zu Einzelaspekten von Chinas neuer Kulturrevolution in Tibet veröffentlichen.
Zu Beginn der ersten Kulturrevolution im Jahr 1966 wurden fast alle verbliebenen Klöster zerstört und die Religionsausübung verboten. Erst nach dem Tod des obersten KP-Machthabers Mao Zedong im Jahr 1976 begann ein zunächst zögerlicher Wiederaufbau der teilweise dem Erdboden gleichgemachten religiösen Institutionen. Auch heute kommt es noch vor, dass die chinesischen Behörden religiöse Einrichtungen und Bauten ganz oder teilweise niederreißen lassen.
So wie unlängst etwa im buddhistischen Zentrum Larung Gar im osttibetischen Landkreis Serthar, wo 1.000 Mönche und Nonnen vertrieben wurden, und deren Behausungen einer Straße weichen mussten. Oder im gleichfalls osttibetischen Landkreis Drango, wo Pekings lokale Vertreter eine 30 Meter hohe Buddha-Statue und 45 buddhistische Gebetsmühlen abreißen ließen.
Ende 2021 ließen die chinesischen Behörden im osttibetischen Landkreis Drango eine 30 Meter hohe Buddha-Statue niederreißen. (Quelle: RFA)
Doch das ist nur der leicht einsehbare Teil der Gefahr für den tibetischen Buddhismus. Eine weitaus größere Bedrohung liegt in weniger offensichtlichen Entwicklungen, die sich teils im Inneren der Religion selbst abspielen. So haben die chinesischen Behörden mit der erzwungenen Einführung sogenannter Demokratischer Managementkomitees ihre Kontrolle verstärkt und zugleich darauf hingewirkt, Nonnen und Mönche auf KP Linie einzuschwören.
Klöster als attraktive Tourismusziele
Mehr noch, sollen die Klöster, ja der tibetische Buddhismus insgesamt, der von Peking erwünschten sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung dienen und sich der sozialistischen Gesellschaft anpassen. Dabei spielt der Tourismus eine große Rolle. Die Klöster werden als attraktive Tourismusziele vermarktet, was gleichermaßen soziale, ökonomische und politische Auswirkungen hat.
Die Kommerzialisierung des tibetischen Buddhismus und der damit verknüpften kulturellen Bereiche bedroht die Essenz der Religion und nutzt zugleich den wirtschaftlichen Zielen der chinesischen KP. So ist der weitere Ausbau des Tibet-Tourismus insbesondere für chinesische Reisende eines der erklärten Ziele der chinesischen Machthaber.
Chinesische Touristen besuchen das nordosttibetische Kloster Labrang. (Foto: Zen Zhuwei/Pixabay-CC0)
Verfolgte die erste Kulturrevolution noch das Ziel der vollständigen Beseitigung und Zerstörung des tibetischen Buddhismus, so hat Pekings neue Kulturrevolution im Prinzip durchaus ein Interesse an der Erhaltung von Klöstern. Allerdings sollen sich diese entsprechend Pekings Wünschen umfassend transformieren.
„Patriotische Erziehung“ in Tibets Klöstern
Es geht um nichts weniger als die komplette „Sinisierung des tibetischen Buddhismus“. Die Religion soll sich an die Seite der Kommunistischen Partei stellen und ihre Interessen verteidigen. So müssen Mönche und Nonnen regelmäßig „Schulungen“ im Xi Jinping-Denken und anderen Aspekten der kommunistischen Ideologie über sich ergehen lassen. „Patriotische Erziehung“ ist in Tibets Klöstern wieder weit verbreitet, Mönche werden sogar gezwungen, den Dalai Lama öffentlich zu diffamieren.
KP-Funktionäre des osttibetischen Landkreises Palyul auf Besuschsreise durch mehrere Klöster. Dabei fordern sie Vertreter der Klöster auf, den Dalai Lama „zu entlarven und zu verurteilen“ sowie „die Einheit des Mutterlandes“ zu wahren. (Quelle: Baiyu United Front Work Department)
Die chinesischen Machthaber wollen erreichen, dass der Buddhismus komplett im Dienst der KP-Herrschaft steht, er soll „sich an die sozialistische Gesellschaft anpassen“. Im Kern geht es der KP-Führung darum, den Buddhismus von innen heraus zu zerstören; die äußere Hülle soll oberflächlich betrachtet intakt erscheinen, während die eigentliche Substanz längst verschwunden ist.
Mit der Buddhistischen Vereinigung Chinas (BAC) hat sich Peking einen weiteren Baustein seiner Strategie zur zwangsweisen Assimilation und Transformation des tibetischen Buddhismus geschaffen. Diese vermeintlich unpolitische Organisation soll dabei helfen, tibetisch-buddhistische Würdenträger im Sinne der Kommunistischen Partei zu benennen.
Mönche als KP-Propagandisten
Tibetische Mönche und Nonnen dabei zu zeigen, wie sie kommunistische Propaganda verbreiten, soll den Anschein erwecken, alles unter Kontrolle zu haben. So berichteten die chinesischen Propagandamedien über zwei Mönche, die bei einem Reiterfest traditionelle Sandmandalas legten. Statt der bekannten buddhistischen Symbole entstanden unter den Händen der Mönche kommunistische Embleme: Die rote Fahne mit Hammer und Sichel, die Flagge der Volksrepublik China sowie das Staatswappen.
Kommunistische Sandmandalas. Zwei buddhistische Mönche legen in traditioneller Technik Embleme des atheistischen KP-Staats. (Quelle: tibet.cn)
Darin erkennen die Schreiber der KP-Medien „die Liebe der tibetisch-buddhistischen Mönche zur Kommunistischen Partei“. In der Propagandasprache der Kommunistischen Partei Chinas heißt es weiter: „Der Partei zuzuhören, die Gnade der Partei zu spüren und der Partei zu folgen, vertieft die Liebe der Gläubigen zum Mutterland.“
Peking will Zustimmung durch buddhistische Funktionsträger suggerieren
Dieselbe Botschaft sollten auch Berichte über einen Kalligraphie-Wettbewerb transportieren, bei dem tibetische Mönche und Nonnen mit höchster Konzentration Slogans auf lange Papierbögen pinseln. Einer von ihnen lautet: „Liebe zur kommunistischen Partei, zum Mutterland und zum Sozialismus mit festem Glauben.“ Damit wollen die chinesischen Propagandamedien eine umfassende Zustimmung buddhistischer Funktionsträger zur kommunistischen Staatsideologie suggerieren.
Die offiziell atheistische KP beansprucht für sich sogar das Recht, letztgültig über die Reinkarnation buddhistischer Lamas und damit auch des Dalai Lama zu entscheiden. Zumindest so viel scheint aber klar zu sein: Die Tibeter werden einen Dalai Lama von Pekings Gnaden nicht akzeptieren.
* Das Bild ganz oben zeigt eine chinesische Touristin in tibetischer Tracht, die in Lhasa vor tibetischen Gebetsmühlen posiert. Rechts eine tibetische Bewohnerin der tibetischen Hauptstadt. (Foto: Ryan Kilpatrick-CC-BY-ND-2.0)
Autor: Martin Reiner, International Campaign for Tibet